
„Früher war es ein Virus“

Lange vor Sebastian Deisler, Robert Enke und Markus Miller kosteten Depressionen Reinhold Mathy die Karriere. Heute lebt der 49-Jährige glücklich in Mindelheim.
Immer wieder Hannover 96: 2009 beging Nationaltorhüter Robert Enke, der unter Depressionen litt, Selbstmord. 2011 begibt sich Hannovers Ersatzkeeper Markus Miller wegen mentaler Erschöpfung in stationäre Behandlung (wir berichteten). Einer, der diesen Zustand kennt, wie kaum ein anderer, ist Reinhold Mathy (49). Die Karriere des ehemaligen Bundesligaprofis endet ebenfalls in Hannover. Doch die schwerste Krise hatte er da schon überwunden. Heute lebt der gebürtige Memminger in Mindelheim, arbeitet bei einer großen Spielerberaterfirma und trainiert seit einer Woche die E3-Jugend des TSV Mindelheim.
Reinhold Mathy, der gebürtige Memminger, wechselt 1979 vom FC Memmingen in die Jugend des großen FC Bayern München. Nur ein Jahr später steht der damals 18-Jährige im Profi-Kader. Nicht wenige halten ihn für den legitimen Nachfolger von Karl-Heinz Rummenigge. Mathy feiert vier Meistertitel und drei Pokalsiege. Insgesamt 100 Spiele absolviert er für die Bayern, darunter das Europapokalfinale 1982 gegen Aston Villa (0:1). Beim zweiten Landesmeisterfinale 1987 gegen den FC Porto (1:2) war er nicht mehr im Kader. Er war krank. „Ende 1986 hatte ich einen totalen Zusammenbruch. Ich war körperlich, seelisch und geistig total leer“, sagt Mathy.
Parallelen zum "Fall Sebastian Deisler"
Den Begriff „Burn-Out“ gab es damals genausowenig wie eine entsprechende Diagnose. Vielmehr will eine Heilpraktikerin ein ominöses Virus erkannt haben. „Ich habe ein Vierteljahr ausgesetzt und bin dann 1987 wieder ins Training eingestiegen. Das ging ganz gut – bis ich Ende der Saison wieder einen Rückfall hatte“, sagt Mathy. Zu diesem Zeitpunkt sei nicht klar gewesen, ob er überhaupt je wieder spielen würde. Die Parallelen zum „Fall Sebastian Deisler“ sind unübersehbar: Der Verein, allen voran Manager Uli Hoeneß, standen ihm immer bei. Natürlich auch, weil man ein solches Talent wie Mathy ungern versauern lassen wollte. Im Mannschaftskreis scherte man sich weniger um den jungen Allgäuer, immerhin gab es damit einen Konkurrenten weniger. „Bis auf Michael Rummenigge hat mich in der Zeit keiner angerufen“, sagt Mathy.
Mathy geht schließlich in die Bundesligageschichte ein, weil er 1987 als erster Profi von sich aus bei den Bayern kündigt. „Ich wusste nicht, ob ich noch einmal rankomme.“ Es folgen die branchenüblichen Reflexe: Mathy wird als „ewiges Talent“ bis hin zum „Weichei, das es eben nicht packt“ tituliert. Dabei machte Mathy unter Druck seine besten Spiele. „Ich habe immer gut gespielt, wenn es um etwas ging“, sagt er. Etwa beim Europapokal-Achtelfinale 1987 gegen Austria Wien, als er beim 4:2-Sieg drei Tore erzielte. Doch im Sommer 1987 ging nichts mehr. „Ich wusste, dass die Karriere damit quasi vorbei war. Aber in erster Linie zählte meine Gesundheit.“
Wechsel nach Uerdingen
Es folgt der Wechsel nach Uerdingen. „Das war für Uerdingen ein hohes Risiko, immerhin kostete ich damals über eine Million D-Mark. Und keiner wusste, ob ich je wieder spielen würde“, erinnert sich der 49-Jährige. Es ging dann doch noch drei Jahre und 78 Spiele lang gut. Nach einem kurzen Gastspiel in der Schweiz beim FC Wettingen wechselt er 1992 in die 2. Bundesliga zu Hannover 96 und bestreitet dort noch elf Spiele. Am 25. Mai 1993 beendet Reinhold Mathy seine aktive Karriere beim Spiel in Homburg. „Ich kann mich eigentlich nicht beklagen. Ich habe sehr viel erlebt und große Erfolge feiern dürfen“, sagt Mathy, der nach der aktiven Karriere die Fußballlehrerlizenz erhält.
In der Folgezeit geht er für das Entwicklungshilfeprojekt des Deutschen Fußballbundes (DFB) nach Afrika und Asien. In Swasiland und Kambodscha bildet er Fußballtrainer aus. 2001 nimmt er das Angebot des tunesischen Fußballverbandes an, als Co-Trainer neben Eckhard Krautzun die tunesische Nationalelf zu trainieren. Das Team qualifiziert sich sogar für die WM 2002, doch ein halbes Jahr vor WM-Start wird das deutsche Trainerduo entlassen. „Es gab Probleme mit dem Sportminister, der wollte uns immer reinreden“, sagt Mathy.
Fußballer mit Leib und Seele
Von sportlichen Rückschlägen lässt sich Mathy nicht mehr unterkriegen. Private Krisen treffen ihn dagegen. Eine solche führt dazu, dass er sich 2009 im Memminger Klinikum wegen Depressionen behandeln lassen muss. In dieser Zeit findet er den Weg zu Gott. In der Freikirche Paulus-Gemeinde fühlt er sich gut aufgehoben. Heute betet er täglich und praktiziert seinen Glauben. Ob ihm dieser Glaube 1987 geholfen hätte? „Ich glaube schon“, sagt Mathy, der sich immer noch als Fußballer mit Leib und Seele sieht. Kein Wunder, dass er sich, kaum dass er nach Mindelheim gezogen ist, beim TSV Mindelheim als Jugendtrainer angetragen hat. Jetzt ist er Coach der E3-Junioren. „Autogramme musste ich noch keine geben“, sagt Mathy lachend.
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