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Foto: Ole Spata, dpa (Symbolfoto)
Foto: Ole Spata, dpa (Symbolfoto)

Die Impfpriorisierung fällt weg, doch für Patienten im Kreis Neu-Ulm ändert sich dadurch wohl vorerst wenig.

Landkreis Neu-Ulm
19.05.2021

Corona: Welche Folgen hat das Aus der Impfpriorisierung im Kreis Neu-Ulm?

Von Sebastian Mayr

Plus Ein richtiger Schritt oder ein falsches Signal, das zu Enttäuschung führt? Das Aus für die Impfpriorisierung ist wohl beides. Was Ärzte im Kreis Neu-Ulm planen.

Richtiger Schritt zur falschen Zeit - so sehen Hausärzte im Kreis Neu-Ulm die Entscheidung der bayerischen Staatsregierung, die Impfpriorisierung von Donnerstag an aufzuheben. In Baden-Württemberg darf sich schon seit Montag jede und jeder in einer Arztpraxis des Vertrauens gegen das Coronavirus impfen lassen. In der Theorie gilt das nun auch in Bayern. In der Praxis ändert sich im Landkreis aber zunächst wenig. Nur die Zahl der Enttäuschten könnte steigen, fürchtet ein Mediziner.

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Dr. Stefan Thamasett betreibt eine Praxis im Neu-Ulmer Stadtteil Offenhausen und ist als Versorgungsarzt unter anderem dafür zuständig, dass die medizinische Behandlungen im Kreis Neu-Ulm auch während der Corona-Pandemie sichergestellt sind. Mit dem Aus für die Impfpriorisierung in Praxen ist der Mediziner nicht glücklich: "Für uns ist das im Grunde ein Bärendienst. Und die Politik klopft sich mal wieder auf die Schultern", kritisiert er. Die Probleme sieht Thamasett nicht in der Prioritäten-Liste, die regelt, wer wann an der Reihe ist. Zum einen fehle immer noch Impfstoff, für die Woche vor Pfingsten habe er gerade einmal zwölf Impfdosen bekommen für Erstimpfungen bekommen - halb so viele wie bestellt. Zum anderen sei da ja auch noch das ganz normale Tagesgeschäft. An zwei Nachmittagen wird in Thamasetts Praxis in der Augsburger Straße gegen das Coronavirus geimpft, eine Mitarbeiterin kümmert sich ausschließlich um dieses Thema. Auch, weil manchmal Patienten einfach nicht erscheinen. Dann wird die Warteliste abtelefoniert, damit keine Dosis verfällt. Bei Biontech klappe das gut, bei AstraZeneca erfordere dies viel Arbeit, so Thamasett. "Es ist ein Draufzahlgeschäft", fasst er zusammen.

Immer mehr Patienten im Kreis Neu-Ulm wollen Impftermine

Schon seit der vergangenen Woche, als Ministerpräsident Markus Söder (CSU) die Entscheidung angekündigt hatte, sei die Nachfrage nach Impfterminen zusätzlich gestiegen. "Der Druck wird noch höher", berichtet Thamasett. Viele Anrufer glaubten, nun sofort dran zu sein. Doch Thamasett bleibt bei seiner Warteliste. Er will die bisher priorisierten möglichen Impflinge weiterhin zuerst an die Reihe nehmen. "Sonst verlieren die Schwächeren", kommentiert er.

Thamasett fürchtet, dass die Zahl der Unzufriedenen nun steigt. Denn auch 20-Jährige rechneten nach der politischen Abschaffung der Prio-Liste damit, schnell an die Reihe zu kommen. Doch er müsse sie enttäuschen: "Der 60-Jährige kommt nach wie vor zuerst dran." Was in der Offenhauser Praxis gilt, wollen auch anderen Ärzte im Landkreis beibehalten: Die Patienten auf der Warteliste kommen auch nach der Entscheidung der Staatsregierung vielerorts weiterhin zuerst an die Reihe, wie zu erfahren ist.

Corona-Impfung: Praxen in Neu-Ulm und Illertissen am Anschlag

Auch mit Terminverschiebungen kann Stefan Thamasett nicht dienen. Denn die Dosen müssen innerhalb von sechs Stunden verimpft werden. Also gibt es feste Tage - und einen festen Rhythmus. Alle Impflinge, die am gleichen Tag an der Reihe waren, bekommen auch den gleichen Termin für die Zweitimpfung. Anders, sagt der Neu-Ulmer Arzt, sei das organisatorisch nicht möglich. Einen Vorteil aber sieht er im Ende der Priorisierung: Ärzte müssten sich künftig wohl weniger dafür rechtfertigen, wer wann und warum eine Dosis des Vakzins gespritzt bekomme. Der Sendener Arzt Dr. Peter Czermak, Ärztlicher Leiter der Impfzentren im Landkreis, glaubt zudem: Den Praxen könnte es nun leichter fallen, kurzfristig Interessenten für übrige Impfdosen zu finden, wenn jemand unerwartet nicht erscheint. "Das lässt sich jetzt vermutlich unbürokratischer lösen", meint er.

Versorgungsarzt Thamasett spricht nicht nur von eigenen Erfahrungen. Viele Kollegen bestätigten seine Beobachtungen in Mittagspausentelefonaten, berichtet er. Auch Dr. Matthias Kohlmann, der in der Gemeinschaftspraxis Dr. Biesenberger in der Illertisser Hauptstraße arbeitet, bestätigt viele dieser Beobachtungen. "Unsere Kapazitäten sind im Prinzip ausgeschöpft", sagt Kohlmann. Mehr Menschen als derzeit könnten in der Illertisser Praxis und vermutlich auch bei allen weiteren Ärzten nicht gegen das Coronavirus geimpft werden. Dennoch findet der Arzt: "Es ist die richtige Entscheidung." Am Wochenende habe das Team zwölf bis 14 Stunden lang telefoniert, um die priorisierten Impflinge zusammenbekommen. Das sei auf Dauer nicht zu stemmen. Langfristig werde man ohne die Priorisierungen besser fahren, die politische Entscheidung gehe in die richtige Richtung. Auf die Schnelle werde sich aber nichts ändern - wegen der Überlastung der Praxen und der zu geringen Zahl an verfügbaren Impfdosen. Das ist übrigens auch in Baden-Württemberg nicht anders: Die Kassenärztliche Vereinigung hat am Mittwoch darauf hingewiesen, dass in den Arztpraxen dort aktuell keine Termine für Erstimpfungen vergeben werden können.

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