
Der Professor hat immer Recht

Das Theater Neu-Ulm zeigt „Die Unterrichtsstunde“ als aufwühlende Groteske. Die Unterhaltung kommt trotzdem nicht zu kurz.
Es braucht schon Mut, die 1951 uraufgeführte Groteske „Die Unterrichtsstunde“ von Eugene Ionesco heute auf die Bühne zu bringen. Denn das Stück, das bei ihrer Premiere noch Stürme der Entrüstung entfachte, ist heute schon Teil des Klassiker-Kanons und der Zuschauer durch Meldungen aus der deutschen G8-Wirklichkeit an Bildungs-Absurditäten gewöhnt. Mut beweist also das Theater Neu-Ulm mit seiner Inszenierung des Stoffes, der als fröhliche Farce beginnt und dann fast unmerklich ins Absurde kippt.
In Günther Brendels Bühnenbild, das genug Requisite ist, um der Fantasie alle nötigen Hinweise zu geben, beschleicht Heinz Koch als „Professor“ eine gute Stunde lang eine unschuldig-kokette Schülerin (Katrin Wolf). Diese will sich auf das „totale Doktorexamen“ vorbereiten. Der Professor fragt sie nach der Hauptstadt Frankreichs, nach den vier Jahreszeiten, er übt mit ihr das Zusammenzählen von eins bis zehn. Die Schülerin aber, vollgestopft mit auswendig gelernten Wissensbrocken, scheitert an der Frage, wie viel vier weniger drei ist.
Die flotte Burleske, die immer wieder zum Schmunzeln reizt, steigert sich ins Absurde: Aus Wortgefechten wird Gehirnwäsche, der Professor mutiert vom liebenswert-zerstreuten Sonderling zum despotischen Rechthaber, der sich zuletzt mit einer ungeheuerlichen Tat das letzte Wort sichert.
„Ich lasse mich von einer anderen Logik, von einer anderen Psychologie führen. Wir geben das Prinzip der Identität und der Einheit des Charakters auf zugunsten der Bewegung, einer dynamischen Psychologie“, erklärte Ionesco zu seinem Stück. Koch, mit ansteckender Spielfreude ganz nah an seinem Professor, ist sicher: „Das Stück ist so aktuell wie nie. Der Vertrauensverlust in Autoritäten und Machtmenschen – darum geht es“.
Die Inszenierung von Claudia Riese lässt vergessen, dass das Stück über 50 Jahre auf dem Buckel hat. Gewitzt wird der Missbrauch von Vertrauen, umkippende Ideologien und der Missbrauch der Sprache auf die Bühne gebracht. Im Zentrum: Die Bildung, die mehr ist als reines Aufzählen von auswendig Gelerntem. Damit wird ein brisantes Thema mit Theatermitteln angepackt. Die Dynamik des Finales ist hervorragend: Was schon beinah naturalistisch beginnt, wird so sehr ins Absurde gesteigert, dass Entsetzen und befreiendes Lachen ganz dicht beieinander liegen. Das flotte Tempo und die reizvollen Gedankenspiele des absurden Theaters sind vielleicht nicht jedermanns Geschmack, sollten aber dennoch zum Theaterbesuch verführen. Zumal das Theater Neu-Ulm die aufgewühlten Eindrücke nach jeder Vorstellung mit einem Publikumsgespräch aufbereitet und so die vielen Dimensionen dieses modernen Klassikers zugänglich macht.
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