
Zwist und Zweisamkeit

Mit „Anderthalb Stunden zu spät“ zeigt das Theater Neu-Ulm unterhaltsame Facetten des Themas Mann und Frau. Ein starker Auftritt eines beliebten Bühnen-Duos.
Denn Ehefrau Laurence legt keinerlei Eile an den Tag, im Gegenteil. Auf Pierres Mahnung hin, man komme zu spät, antwortet sie nonchalant: „Dann hab ich ja noch Zeit!“ Im letzten Moment beschließt sie, dass sie keine Lust mehr hat mitzukommen. Sie will zu Hause bleiben – und zwar mit ihm. Sie möchte endlich über alle offenen Baustellen in ihrem Leben sprechen: über das Älterwerden, über den Auszug des letzten Kindes, über die Beziehung und Pierres anstehenden Ruhestand. Vor allem aber möchte Laurence über die vielen gemeinsamen Jahre reden und über die gemeinsam verpassten Chancen. Warum hat man keinen Seitensprung gewagt? Was hätte man anders machen können – oder sollen? Und was gibt es, auf das man sich in den kommenden Jahren freuen kann? Oder ist es doch so, wie Laurence meint: „Wir stehen im Endspurt zum Sarg! Man muss lernen zu resignieren!“
So viel sei schon verraten: Irgendwann kommen Pierre und Laurence schon noch zum Essen der Freunde. Sie werden das gemeinsame Haus wieder verlassen und ihr Eheleben fortführen. Bis dahin sezieren die Autoren Gérald Sibleyras und Jean Dell anderthalb Stunden lang in einem amüsanten Wortgefecht das Eheleben eines gleichermaßen wohlsituierten wie in Alltäglichkeiten feststeckenden „Vorruhestandpaares“. Laurence hadert mit ihrer Rolle als Großmutter („Ich? Eine Großmutter? Um Gottes Willen!“). Zugleich sehnt sie sich zurück nach den Tagen, als die Kinder im Haus waren. Diese leben nun weit weg und haben Partner, mit denen die studierte Malerin herzlich wenig anfangen kann.
Und dann ist da Ehemann Pierre, der eben seine Steuerkanzlei verkauft hat. Dessen Verständnis für Laurences jähe Stimmungswechsel lässt zu wünschen übrig; anfangs begegnet er der heraufziehenden Ehekrise mit einer halbernsten Mischung aus Humor und Ignoranz: „Wenn ich da bin, fühlst du dich alt, wenn ich weg bin, bist du jung“, fasst er ratlos die Tiraden seiner Gattin zusammen. Die allerdings weiß selbst nicht so recht, was mit ihr los ist: „Lass mich lästern, das tut mir jetzt gut“.
„Anderthalb Stunden zu spät“ hatte erst am 28. September dieses Jahres seine deutschsprachige Erstaufführung in der Komödie am Kurfürstendamm. Und es bringt nach längerer Pause die beiden Theatermacher wieder gemeinsam auf die Bühne: Mit Claudia Riese als Laurence (zugleich Regie) und Heinz Koch als Pierre vergehen die anderthalb Stunden als fröhliche Beziehungskomödie, deren flotter verbaler Schlagabtausch auch manchen Moment der Nachdenklichkeit auslöst. Man kann Laurence’ Angst vor der Zukunft nachvollziehen, wenn Ehegatte Pierre seine Zukunftspläne wie folgt umreißt: „Du wirst malen und ich werde essen!“ Und wenn er sagt „Du sollst meine Seele begehren, nicht meinen Körper“, dann kehrt sich nicht zum ersten Mal in diesem Stück die Perspektive von Männlichkeit und Weiblichkeit um. Ein gefundenes Fressen vor allem für Riese, die den Figurenkontrast lustvoll auskostet.
„Anderthalb Stunden zu spät“ vergeht wie im Fluge. Staunend nimmt man wahr, dass das ewige Thema Mann-Frau auch im Jahr 2014 immer noch zünden kann – wenn gute Dialoge und spielfreudige Akteure aufeinander treffen.
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