Migration, Flucht, interkulturelle Gesellschaften: Das sind Begriffe, die in den Debatten unserer Zeit allgegenwärtig sind. Es sind aber auch Themen, die sich quer durch die Menschheitsgeschichte ziehen, sagt Tamás Szalay. Der gebürtige Ungar leitet in Ulm ein Museum, das sich am Beispiel der Donauschwaben mit diesen Themen auseinandersetzt. Er findet: Das Donauschwäbische Zentralmuseum (DZM), ist heute sogar noch relevanter als bei seiner Eröffnung vor 25 Jahren.
Wer sind die Donauschwaben?
Donauschwaben – das sind Menschen, die im 18. Jahrhundert über die Donau Richtung Osten, zumeist in das Ungarische Königreich, ausgewandert sind. Gefolgt waren die Siedler einem Aufruf des habsburgischen Kaisers und anderer Grundherren, die ihr Land nach den Osmanenkriegen mit diesen Auswanderern besiedeln und aufbauen wollte. Die einstigen Siedlungsgebiete liegen in den heutigen Ländern Ungarn, Rumänien und den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien.
Der Begriff „Donauschwaben“ ist dabei eigentlich irreführend, sagt Tamás Szalay. Denn natürlich kamen die Auswanderer nicht nur aus Schwaben, sondern überwiegend aus Bayern, aber auch aus Baden, dem Elsass, Lothringen, Rheinlandpfalz und Österreich zogen die Menschen ostwärts. Dort lebten sie Seite an Seite mit den Einheimischen – in multikulturellen Gesellschaften. An vielen Orten habe dieses Zusammenleben gut funktioniert, sagt Szalay. Er spricht auch aus Erfahrung: Er ist selbst in einem dieser multikulturellen Orte aufgewachsen. In Pécs (Fünfkirchen) mischen sich Elemente vieler Kulturen. „Wenn es da in meiner Jugend ein Musikfestival gab, war immer klar, dass da serbische, ungarische und kroatische Musik gespielt wurde. Das war alles unsere Musik.“
Auch früher begegneten sich die Menschen mit Neugier. Museumsdirektor Szalay erzählt von der Tradition der „Tauschkinder“, die in manchen Regionen üblich war. Für etwa ein bis zwei Jahre tauschten dabei ungarische und deutschstämmige Familien ihre Kinder. Während diese bei der fremden Familie lebten, lernten sie die Gepflogenheiten und die Sprache der anderen.
Das DZM will im ganzen Donauraum präsent sein
Ganz so weit würde man heute wohl nicht mehr gehen. Interkultureller und internationaler Austausch ist aber ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des DZM. „Unsere Aufgabe ist auch, im Donauraum präsent zu sein“, sagt Szalay. Das Museum beschäftigt etwa eigens eine Kulturreferentin, die Projekte in den Donausländern organisiert, um gerade für junge Leute europäische Vielfalt erlebbar zu machen. Und Sonderausstellungen, wie die derzeit in Ulm gezeigte Schau „Lifeline“, die sich künstlerisch dem Thema Flucht annähert, sind auch in anderen Donauländern zu sehen. „Lifeline“ stellte das DZM beispielsweise erst in Rumänien und Serbien aus, ehe es die Schau nach Ulm holte.
Flucht und Vertreibung bestimmten vor und während des Zweiten Weltkriegs auch das Leben der Donauschwaben. Als Heimatvertriebene kamen viele Nachfahren der Auswanderer nach Deutschland zurück – in ein kriegszerstörtes Land, in dem sie längst nicht überall willkommen waren. Schwierige Bedingungen für eine erfolgreiche Integration. Denn durch Kleidung und ihren Dialekt waren die Heimatvertrieben oft leicht als solche erkennbar.
Dem Aufbruch, der Vertreibung und dem Neubeginn der Donauschwaben widmet sich das DZM. Dass es in Ulm gegründet wurde, ist dabei kein Zufall, wie Tamás Szalay erklärt. Das Land Baden-Württemberg hatte nach dem Krieg viel Verantwortung und auch eine bis heute bestehende Patenschaft für die Donauschwaben übernommen. Die Stadt Ulm selbst hat für die Donauschwaben ebenfalls eine große historische Bedeutung. Ab Ulm war die Donau mit den Ulmer Schachteln, flachen Holzbooten, befahrbar. Dort war die erste Zustiegsmöglichkeit für die Reise ins Unbekannte, in die neue Heimat.
Ausstellung „Donaus: Flussgeschichten“ ist mit dem German Design Award ausgezeichnet
Das Donauschwäbische Zentralmuseum öffnete am 8. Juli 2000 erstmals seine Türen. Es feiert nun seinen 25. Geburtstag, zu dem es sich aber nicht altbacken, sondern – im Gegenteil – sehr frisch präsentiert. 2022 wurde es nach einer Neugestaltung wiedereröffnet. Zwischen zwei Dauerausstellungen können die Besucher nun wählen: „Donauschwaben – Aufbruch und Begegnung“ und die mit dem German Design Award in Gold prämierte Schau „Donau: Flussgeschichten“, die eher generell den Kultur- und Naturraum Donau in den Blick nimmt.
Direktor Tamás Szalay weiß, wie wichtig es ist, mit dem Museum auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Er ist überzeugt, dass das Haus wichtige Werte vermitteln kann, dass es 25 Jahre nach der Eröffnung sogar wieder an Relevanz gewinnt. Szalay sagt: „Als das DZM gegründet wurde, war das eine Zeit der Euphorie. Der Kalte Krieg war vorbei und der Weg und das Ziel waren klar: die europäische Integration. Aber heute ist unsere Botschaft von Vielfalt und einem Miteinander leider wieder viel zu aktuell.“
Info: Gefeiert wird das Jubiläum am Samstag, 28. Juni, mit einem Museumsfest von 10 bis 20 Uhr. Es gibt Infostände, Vorträge und Führungen für Besucher von jung bis alt.
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