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Studie der Uni Ulm: 12,7 Prozent der Jugendlichen erleben sexualisierte Gewalt in Deutschland

Ulm

Studie der Uni Ulm: Fast 13 Prozent der Deutschen haben als Kinder oder Jugendliche sexualisierte Gewalt erlebt

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    12,7 Prozent der Befragten gaben an, im Kindes- oder Jugendalter sexualisierte Gewalt erfahren zu haben – etwa jeder Achte. 
    12,7 Prozent der Befragten gaben an, im Kindes- oder Jugendalter sexualisierte Gewalt erfahren zu haben – etwa jeder Achte.  Foto: Julian Stratenschulte, dpa (Symbolbild)

    Sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ist ein verbreitetes Phänomen. Der Kinderschutz und der Umgang mit den Folgen stellt die Medizin vor große Herausforderungen. Die Ulmer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie forscht zum Thema und veröffentlicht neue Zahlen zu Betroffenen und Tätergruppen.

    Seit vielen Jahren werde kritisiert, dass es keine wissenschaftlich verlässlichen Daten zum Ausmaß sexualisierter Gewalt in Deutschland gibt, teilt die Uni mit. Nach wie vor sei auch zu wenig über die genauen Tatkontexte bekannt, um gezielt und effektiv vorbeugen zu können. Gemeinsam mit dem Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) im Rahmen des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit (DZPG) und dem Institut für Kriminologie der Universität Heidelberg haben die Ulmer eine Studie angestrengt. Laut Universitätsklinikum Ulm sei es die erste deutschlandweite, repräsentative Studie, die neben dem Ausmaß auch die Umstände und Folgen der Taten berücksichtigt. Demnach gaben 12,7 Prozent der Befragten an, im Kindes- oder Jugendalter sexualisierte Gewalt erfahren zu haben – etwa jeder Achte.

    Opfer sind laut Ulmer Studienergebnis öfter weiblich – aber es gibt auch weibliche Täter

    Die Betroffenenrate bei Frauen lag mit 20,6 Prozent deutlich höher als bei Männern (4,8 Prozent). Das bedeutet, mehr als 20 Prozent aller befragten Frauen gaben an, von sexualisierter Gewalt im Kindes- und Jugendalter betroffen zu sein. In der jüngeren Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen war dieser Anteil mit 27,4 Prozent sogar noch höher.

    „Die Ergebnisse weisen auf ein erhebliches Dunkelfeld hin, das im Vergleich zu früheren Untersuchungen nicht abgenommen hat, obwohl das Bewusstsein um die Problematik gewachsen ist und Präventionsmaßnahmen in Deutschland ausgeweitet wurden“, sagt Professor Harald Dreßing, Koordinator der Studie und Leiter der Forensischen Psychiatrie am ZI. Auf die Frage nach dem Täter oder der Täterin gab ein Großteil der Betroffenen einen männlichen Täter an. 4,5 Prozent der befragten Personen haben sexualisierte Gewalt durch eine Frau erfahren.

    Männliche Opfer erleben Übergriffe eher in anderen Zusammenhängen

    Auch der Kontext der Taten wurde in der Studie erfragt. Demnach berichteten Betroffene am häufigsten, in der Familie oder durch Verwandte sexualisierte Gewalt erfahren zu haben. Auffällig war, dass Männer deutlich häufiger sexualisierte Gewalt in Sport- und Freizeiteinrichtungen, im kirchlichen Kontext und im Rahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe erlebten. Das Forschungsteam macht deutlich, dass diese Unterschiede die Notwendigkeit zeigten, differenzierte Schutzkonzepte für Kinder und Jugendliche zu entwickeln.

    Bei fast einem Drittel der Fälle (31, 7 Prozent) spielten digitale Kanäle, also beispielsweise Social Media, Messenger-Dienste und Chats, eine wichtige Rolle. In diesen Fällen ging es unter anderem um die ungewollte Zusendung pornografischen Materials, Aufforderungen zu sexuellen Handlungen oder Zwang und Druck, sexuelle Bilder und Videos zu teilen. 61,9 Prozent der Betroffenen, die sexualisierte Gewalt in der realen Welt erfahren haben, haben auch sexualisierte Gewalt in den sozialen Medien erlebt.

    Dunkelfeld ist erheblich, geschützte Räume fehlen

    Mehr als ein Drittel (37,4 Prozent) der Betroffenen hatte bisher nicht mit anderen Personen über die erlebte sexualisierte Gewalt gesprochen. Als Grund hierfür berichteten Betroffene häufig Schamgefühle und die Angst, dass ihnen nicht geglaubt werde. „Das zeigt, dass es immer noch ein erhebliches Dunkelfeld gibt und es vielfach an geschützten Räumen fehlt, in denen Menschen das Erlebte offen ansprechen können, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen“, sagt Dreßing. 

    Zusammen mit dem Umfrageinstitut Infratest dimap wurden deutschlandweit 10.000 Personen zwischen 18 und 59 Jahren schriftlich kontaktiert. Knapp über 3000 Personen haben an der Befragung teilgenommen. Diese Rücklaufquote sei hoch und erlaube belastbare Aussagen, sagen die Forscher.

    Befragungen an der Haustür und per Post

    „Mir war es vor allem wichtig dafür zu sorgen, dass die neuen digitalen Gefährdungen durch sexuelle Grenzverletzungen im Internet und sexuellen Missbrauch und kommerzielle sexuelle Ausbeutung in der digitalen Welt bei dieser Studie mit in den Fokus genommen werden“, betont Professor Jörg M. Fegert, Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Ulm. „Diese Studie bestätigt nun, mit einer völlig anderen Methode, nämlich einer postalischen Befragung, unsere jüngst veröffentlichten Ergebnisse einer repräsentativen Haushaltsbefragung, bei der die Befragten an der Haustür aufgesucht wurden. Gerade in der jüngsten Erwachsenengruppe der 18 – 30-Jährigen, also bei den ersten ‚Digital Natives‘ betreffen diese neuen Gefährdungen eine erschreckend hohe Zahl junger Menschen.“ Es sei deshalb wichtig, dass die neue Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag Kinder- und Jugendschutz in einer digitalen Welt als ressortübergreifendes Thema aufgegriffen habe. (AZ)

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