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Großübung im Blautalcenter: Kliniken testen Notfallversorgung bei Terrorangriff

Ulm

Fiktives Attentat im Blautalcenter: So lief die Großübung in den Kliniken ab

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    Bei der Großübung fielen 160 Verletzte an. Wie läuft die Versorgung einer solch großen Anzahl ab? Das wurde am Samstag trainiert.
    Bei der Großübung fielen 160 Verletzte an. Wie läuft die Versorgung einer solch großen Anzahl ab? Das wurde am Samstag trainiert. Foto: Thomas Heckmann

    Eine Übung mit 160 Verletzten nur am Ereignisort stattfinden zu lassen und dann die Verletzten lediglich an der nächsten Ecke wieder aus dem Rettungswagen aussteigen zu lassen, war den Organisatoren zu wenig. Die große Anzahl von Verletzten muss bei einem echten Einsatz in den Krankenhäusern versorgt werden und die Ulmer Kliniken haben diese Übung bis hinein in das Krankenhausbett umgesetzt.

    Seit sieben Jahren gibt es in Ulm die „Klinikübergreifende Sicherheitskonferenz“ (KLÜSIKO), in der nicht nur die Kliniken miteinander über Sicherheitskonzepte sprechen, sondern auch mit allen Hilfsorganisationen. Dabei geht es um gegenseitige Unterstützung und auch Großeinsätze. Diese Vorplanungen für eine Zusammenarbeit in der Krise haben sich von Ulm aus in Baden-Württemberg ausgebreitet. In Ulm gibt es zwei Krankenhäuser der höchsten Versorgungsstufe, die täglich im Umgang mit Schwerverletzten geübt sind. Durch das Bundeswehrkrankenhaus (BwK) kommt zusätzlich noch die Erfahrung aus Auslandseinsätzen hinzu.

    Verletzte kommen bei Attentaten direkt mit Privat-Pkw ins Krankenhaus

    Besondere Herausforderungen gibt es dabei, wenn es nicht nur zahlreiche Verletzte sind, die bei einem großen Unfall zu versorgen sind. Dort dauert es oft rund eine Stunde, bis die ersten Verletzten in den Krankenhäusern ankommen. Damit bleibt Zeit für die Vorbereitung, die Alarmierung von zusätzlichem Personal, das aus der Freizeit anfahren muss. Bei einem Terror-Angriff kommen die ersten Verletzten schon nach wenigen Minuten, denn die Leichtverletzten können mit der Straßenbahn direkt zur Uniklinik oder dem BwK fahren. Übungsleiter Rainer Benedens vom DRK Rettungsdienst hatte genau diesen Umstand eingeplant und gerade einmal eine Viertelstunde nach den ersten Schüssen im Blautalcenter fuhr der erste Geländewagen am BwK vor, bei dem ein Schwerverletzter auf der Rückbank saß.

    Neben der Großübung muss auch die Versorgung aller Patienten weiterlaufen und auch in den Notaufnahmen kommen während der Übung echte Patienten an. Im Ulmer BwK wurde daher binnen weniger Minuten die Akutstation geräumt und die dortigen Patienten auf andere Stationen im Haus verteilt. Alle Patienten der Notaufnahme wurden in die Akutstation verlegt, Neuankömmlingen dort direkt versorgt und Jochen Lührs, der Leiter der Notaufnahme, konnte binnen 15 Minuten den Notfallbetrieb aufnehmen. Dazu wurden vorbereitete Wagen aus den Lagern geholt, in denen zusätzliche Krankentragen, Funkgeräte, Dokumentationsmaterial und medizinisches Material für solche Notfälle gelagert sind.

    In der Fahrzeughalle der Uniklinik Ulm können Patienten versorgt werden

    Auch an der Uniklinik wurden in den vergangenen Jahren viele Vorbereitungen für besondere Einsatzlagen geschaffen. In der Fahrzeughalle der Notaufnahme wurden an den Wänden zusätzliche Sauerstoffleitungen und Anschlüsse angebracht, auch auf dem Boden sind Markierungen für Betten aufgemalt. Es wurden die vorbereiteten Wagen mit dem Notfallmaterial herangeholt und gleichzeitig die Versorgung echter Patienten sichergestellt. Während auf dem Gang ein Übungspatient nach dem anderen per Ultraschall untersucht wurde, blieb ein Schockraum gesperrt für Realeinsätze. In so einem Schockraum stehen bis hin zum Computertomograph alle Geräte bereit, um schwerste Verletzungen oder Erkrankungen schnell behandeln zu können. Auf dem Gang wurde weiter Hand in Hand gearbeitet.

    Elf Monate Planungszeit gibt Rainer Benedens vom DRK Rettungsdienst Heidenheim-Ulm als Vorbereitungsdauer der großen Einsatzübung am Samstag im Ulmer Blautalcenter an. Fast 1 100 Einsatzkräfte haben sich um 160 Darsteller gekümmert, vom besorgten Angehörigen über den Verletzten bis zum Todesopfer. 

Sven Vrancken, der Pressesprecher des Polizeipräsidium Ulm, betont, dass es keinen Bezug zu aktuellen Ereignissen gibt. Doch das Szenario klingt erschreckend. Fünf Attentäter sind mit Maschinenpistolen im Einkaufszentrum unterwegs und schießen um sich. Das zum Teilabriss vorgesehene Blautalcenter bietet mit den zahlreichen leerstehenden Läden die perfekte Umgebung für diese Übung. Hauptthema ist dabei die Zusammenarbeit der vielen beteiligten Organisationen. Jeder für sich beherrscht seine Aufgaben, doch funktioniert in der Realität das Zusammenspiel? „In Krisen Köpfe kennen“ überschreibt Benedens daher das Ziel der Übung. Wenn die Polizei in ein Gebäude geht, auf was muss sich dann der Rettungsdienst einstellen. Der Rettungsdienst bringt dann eine dreistellige Anzahl Patienten in die Kliniken, doch dort muss auch der normale Patientenandrang weiterhin abgearbeitet werden. Der Krisenstab der Stadtverwaltung muss die Auswirkungen auf das Stadtleben im Auge behalten. 

Hinter verschlossenen Türen läuft der Einsatz im Blautalcenter, denn die Polizei will potentiellen Attentätern nicht ihre Taktik verraten. Bemerkbar ist lediglich, dass die Polizei nicht auf das SEK wartet, sondern es gehen die ganz normalen Streifenpolizisten auf die Suche nach den Tätern. Seit einigen Jahren führen die Streifenwagen eine umfangreiche Schutzausrüstung mit, die so ein schnelles Eingreifen auch unter Gefahr möglich macht. Auch Landespolizeidirektor Norbert Schneider hat sich die Arbeit der Polizisten des Polizeipräsidium Ulm angesehen. Im Innenministerium ist er verantwortlich für die Koordination von landesweiten Einsätzen und leitet das Referat Einsatz, Lagezentrum und Verkehr. 

Schnell gelingt es der Polizei die insgesamt fünf Attentäter kampfunfähig zu machen, mit Handschellen wird einer von ihnen nach draußen geführt und aufgrund der hingeschminkten Verletzungen dem Rettungsdienst übergeben. Auch eine schwerverletzte Kollegin nach drau0en getragen werden, es gehört für die Polizisten dazu, auch solche Ereignisse sicher abarbeiten zu können. Aus der sogenannten „roten Zone“, in der akute Gefahr herrscht, bringen die Polizisten alle Unverletzten und Verletzten in die „gelbe Zone“, die als teilweise sicher gilt. Hier übernimmt der Rettungsdienst die Betroffenen und bringt versorgt sie in der „grünenZone“, die als sicher eingestuft wird. 

Die Unverletzten bereiten den Rettungskräften mit die meiste Arbeit, denn sie schreien laut herum, diskutieren, rennen weg oder wollen zurück ins Gebäude, um Angehörige herauszuholen. Ein Verletzter läuft in Panik weg, obwohl er dringend medizinische Hilfe benötigt. Die Rettungshundestaffel macht sich auf die Suche nach ihm und ein Hund kann seine Spur aufnehmen. In über einem Kilometer Entfernung kann der Verletzte gefunden werden und schließlich in ein Krankenhaus gebracht werden. 

Dutzende Verletzte werden im „Ulmer Transportkonzept“ dann mit zahlreichen Rettungswagen und Krankenwagen in die Ulmer Kliniken gebracht. Dieses Verfahren weicht von den üblichen Verfahren bei Großeinsätzen ab, bei denen erst einmal Zelte in der Nähe der Einsatzstelle aufgebaut werden und dort die Verletzten nach schwere ihrer Verletzungen sortiert und erstversorgt werden. Im innerstädtischen Bereich fehlt oft der Platz für solch eine Zeltstadt und in Ulm sind die Wege zur Klinik so kurz, dass die Sichtung der Verletzten direkt vor den Eingang der Klinik verlegt werden kann. Hier arbeiten alle Hilfsorganisationen Hand in Hand zusammen, um den schnellen Transport zu gewährleisten und unterstützen die Kliniken bei der Sichtung und Versorgung. 
Am Samstagnachmittag bestand die Gelegenheit auch diese Abläufe mit den 160 Betroffenen zu üben und forderte die Kliniken heraus. Diese Abläufe beleuchten wir in einem separaten Beitrag. 
Text/Foto: Thomas Heckmann
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    Fünf Attentäter sind mit Maschinenpistolen im Ulmer Einkaufszentrum unterwegs und schießen um sich. Kräfte mehrerer Blaulicht-Organisationen und Kliniken üben den Ernstfall.

    Unverzichtbarer Bestandteil neben Hunderten Klinikmitarbeitern sind die ehrenamtlichen Einsatzkräfte des Katastrophenschutzes. Im Ulmer Transportmodell ist bereits eingeteilt, welche Einheit welches Krankenhaus unterstützt. So assistieren Rettungssanitäter den Chirurgen, was jeder Rettungssanitäter bereits in seiner Ausbildung im Klinik-Praktikum gelernt hat, doch im Alltag nicht braucht. Für die Großeinsätze ist diese Zusammenarbeit essentiell wichtig. Da sich nicht jeder kennt, hat die Uniklinik ein einfaches System erdacht. Jeder Mitarbeiter trägt eine farbige Baseball-Kappe, um seine Qualifikation sichtbar zu machen. Chirurgen tragen eine grüne Kappe und Anästhesisten sind blau bemützt. Die Träger der roten Kappen betreiben die Sichtung und beurteilen in rund einer Minute pro Patient die Schwere der Verletzung und die nächsten Behandlungsschritte.

    Im RKU werden überwiegend Leichtverletzte vom Rettungsdienst versorgt

    Im RKU werden überwiegend Leichtverletzte vom Rettungsdienst angeliefert und dort versorgt. Während der Sichtung fällt jedoch ein Patient auf, bei dem sich der Zustand während des Transports arg verschlechtert hat. Er braucht unbedingt mehr Versorgung als im Moment im RKU möglich ist. Eine Ärztin schultert den Notfallrucksack und zwei Rettungssanitäter schieben den Verletzten über den Fußweg vom RKU in das benachbarte BwK. Auch diese schnelle Art der Verlegung gehört zum Konzept der Ulmer Kliniken.

    Auch wenn eine Übung als Spiel angesehen werden kann, sind die Teilnehmer hochmotiviert. So brauchte BwK-Kommandeur Benedikt Friemert keinen Befehl, um das Personal für die Übung heranzuholen. Auf einen Aufruf meldeten sich mehr als ausreichend viele Mitarbeiter, die an ihrem freien Samstag in das Krankenhaus gekommen sind.

    Essen, Patientenakten und mehr: Es geht im Ernstfall nicht nur um Verletzungen versorgen

    Abgerundet wurde die Großübung durch die Aktivierung der Krankenhaus-Einsatzleitungen in der Uniklinik und im BwK, um auch zu testen, ob die weiteren Bereiche der Kliniken mit der plötzlichen Patientenmenge zurechtkommen. So benötigen beispielsweise Personal und Patienten Essen und es müssen zahlreiche Patientenakten angelegt werden. Genauso war auch der Führungs- und Krisenstab der Stadt Ulm einberufen worden, um alle Anforderungen neben den medizinischen Problemen zu lösen.

    Auch die Nachbereitung der Übung ist für den Erfolg der Übung wesentlich. So waren Dutzende Beobachter an allen Einsatzstellen unterwegs und haben zahlreiche Notizen und Fotos gemacht, um zu dokumentieren, was gut gelaufen ist und wo verbessert werden kann. Unter den Beobachtern war auch Professor Felix Walcher aus Magdeburg, der im Dezember im Universitätsklinikum Magdeburg den Einsatz nach dem Attentat auf den dortigen Weihnachtsmarkt leiten musste und neben seiner Lehrtätigkeit auch in der Praxis einen ähnlichen Einsatz erleben musste. 230 Verletzte wurden vom dortigen Klinikverbund versorgt, dank sehr guter Vorbereitung waren nach fünf Stunden die Patienten versorgt und konnten sich in den Krankenhausbetten von ihren Verletzungen erholen.

    Lob aus Magdeburg: Kollegen in Ulm sind „extrem gut vorbereitet“

    Er berichtete, dass die Magdeburger Einsatzkonzepte dem Ulmer Konzept ähnlich sind und auf den Erfahrungen der Bundeswehr basieren. Falls es in Ulm zu einem echten Einsatz kommt, „sind die Kollegen extrem gut vorbereitet“, urteilte Walcher nach der Übung.

    Klare Worte fand der Fachmann jedoch für einen anderen Umstand. Für solche Großübungen gibt es keinen Etat von Land oder Bund. Die Kliniken und Rettungsdienste müssen die komplette Übung, Personal- und Materialkosten aus eigener Tasche bezahlen. „Auf keinen Fall kann es so weitergehen“, stellte der Magdeburger Professor fest, auch, da in seiner Wahrnehmung die Terroranschläge zunehmen. Auch die Leistung des Ehrenamtes im Katastrophenschutz hob Felix Walcher hervor, doch auch hier sollten verbesserte Strukturen und eine bessere finanzielle Ausstattung umgesetzt werden.

    Das „Ulmer Transportmodell“ und auch die Großübung haben bundesweites Interesse an der Arbeit der Ulmer Einsatzkräfte hervorgerufen. Übungsleiter Rainer Benedens hatte schon vor Abschluss der Übung die ersten Anfragen erhalten, ob er zum Thema Vorträge halten kann und in Fachzeitschriften die Übungserkenntnisse publizieren möchte.

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