
Kabarett in Ulm: Urban Priol bleibt wütend und treffgenau

Plus Urban Priol gastiert mit seinem Jahresrückblick im CCU und präsentiert eine glänzende Kanonade von bitterkomischen Zeitanalysen.
Ein Stehtisch, darauf ein Bier, das Manuskript mit Stichworten, mehr braucht das Kabarett-Kraftwerk Urban Priol nicht, um in Fahrt zu kommen. Nach zwei Jahren Auszeit ist er wieder mit TILT! auf Rückblickmission, und das in bewährt scharfzüngiger Manier. Es habe in jedem Jahr viel Material für den Kabarettisten gegeben, findet Priol, aber doch selten so viel wie in dieser Achterbahnfahrt 2022.
Der Aschaffenburger wurde vor allem durch seine ZDF-Kabarettsendung „Neues aus der Anstalt“ bekannt, hatte davor aber schon seit 1982 Kleinkunstbühnen aufgemischt. Die scharfzüngige, hochintelligente Kunst des Franken, seine Mitmenschen und, im Besonderen, die Politik zu durchschauen, ist zu einem Markenzeichen geworden. Im Grunde ist Priol nicht kopierbar, wie er im Congress Centrum Ulm deutlich machte. Er trat auf die Bühne, ohne Aufwärmen, ohne Muntermacher, legte sofort los. Erstes Thema: Die Fußball-WM in Katar, Aufreger und Kopfschüttelthema, und, im Falle Priols, ein gefundenes Fressen für die geübte Lästerzunge. Er empfinde Hochachtung für die iranische Mannschaft, die „sehr vorsichtig“ spielen und agieren müsse, da sie sonst „als Hängende Spitze endet".
Warum man die Sklavenarbeiter in Katar nicht sehen kann
In Priols Fantasie soll Franz Beckenbauer bei der gemeinsamen Betrachtung der Situation in Katar zu Sepp Blatter gesagt haben: "Ich sehe hier keine Sklavenarbeiter" - woraufhin Blatter geantwortet hätte: "Die kannst du nicht sehen, Franz, die sind unterm Rasen". Ätzende Spitzen scheute Priol nie. Wenn das Publikum auch mal hörbar die Luft einzieht, weil er sich an hochsensible Themen heranmacht, zieht er nicht zurück oder relativiert. Jede Pointe, jede kleinere oder größere Provokation dient seiner Agenda: Das Publikum soll sich amüsieren, aber bitte mit eingeschaltetem Denkapparat.
Nichts und niemand wird geschont. Der "Oberste Angstschürhaken" Professor Wieler habe, im Verbund mit Jens Spahn, "Panikattacken" aufs Volk verübt. Über den einstigen Gesundheits"wächter" Spahn urteilt er: „Wer keinen Plan A hat, muss wenigstens einen Plan B haben“. Die Energiekrise erfährt ebenso eine treffende Aburteilung: „Jetzt kaufen Leute Holzbriketts, die nicht mal einen Ofen haben“, wundert er sich; was für ein Kontrast zum Sommer, der "Sintglut". Die Klimakrise sei wie ein vernachlässigter Ehepartner, der immer lauter jammere, aber kein Gehör finde. Immerhin fehle es derzeit, wo Lieferketten zusammenbrechen und plötzlich Alltägliches Mangelware wird, an einem nicht: an Experten. "Wir erleben eine Expertenschwemme", ätzt Priol, „eine Experteninflation“. Wer nur einmal in einer Eisdiele am Zitroneneis lecke, finde sich kurze Zeit später "bei Lanz als Experte für den Klimawandel".
Politische Naivität und Blauäugigkeit watscht Priols scharfe Zunge besonders gründlich ab. Deutschland glaube, gegen Cyberattacken schon gerüstet zu sein, „wenn wir die Patronen aus dem Drucker nehmen“. Der Ukraine-Krieg? Ein Debakel: "Die schicken 5000 Helme in die Ukraine und glauben, jetzt gibt Putin auf!" Fast schon tue ihm die Bundeswehr leid, bei der die Soldaten hinter ihren verrosteten Gewehren "Bumm!" sagen müssen, weil die Munition aus ist. So wehrlos sei Deutschland mittlerweile, dass "wir sofort kapitulieren müssen, sobald Putin allein auf dem Fahrrad ins Land kommt!" Die "einzigen funktionierenden Blendgranaten" bei der Bundeswehr seien stets die Verteidigungsminister und -ministerinnen gewesen.
Urban Priol überzeugt in Ulm mit höchster Pointendichte und galliger Politikschelte
Extraapplaus gibt es, als der gewitzte Wortkanonier über seine eigene Rolle spricht: "Ich werde gefragt, ob man in diesen Zeiten Kabarett machen darf, ob man überhaupt etwas Humorvolles machen darf. Da sage ich immer: Man darf nicht, man muss!" Und seufzt: "Braucht es immer eine Katastrophe, damit wir etwas ganz Selbstverständliches begreifen?"
"TILT! 2022" bietet den Priol-typischen Kosmos aus Themen von globaler Bedeutung, die aufs Regionale heruntergebrochen werden, journalistisch präzise, bloßlegend, und bewusst nicht immer lustig. Denn dort, wo sich Priol ins Dickicht von Hochfinanz und Politik begibt, wo er die Verknüpfungen von Ursache und Wirkung geradezu pädagogisch sensibel offenlegt, bleibt einem schon mal das Lachen im Hals stecken. Die Zielgenauigkeit, mit der Priol manche Pointe vorbereitet, lässt ebenso staunen wie die unverminderte Lust, sich an heißen und kontroversen Themen abzuarbeiten – das aber nicht mit platten Gags und Vereinfachungen, sondern auf konstantem Höchstniveau. Und so lässt sich festhalten, dass in etwas über zwei Stunden Programm kein Gag, keine Pointe, keine Zuspitzung ins Leere geht. Wer außer ihm hat schon eine solche Trefferquote?
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