Für einen 42-Jährigen kam im Oktober vergangenen Jahres jede Hilfe zu spät. Der Mann war bei einem Polizeieinsatz in Ulm von Beamten fixiert worden, er kollabierte daraufhin und starb. Was sich an jenem Sonntagabend im Ulmer Stadtteil Lehr genau abspielte, war lange unklar. Mittlerweile ist das Ermittlungsverfahren gegen die beschuldigten Polizisten abgeschlossen und eingestellt worden, wie Christof Lehr, Leitender Oberstaatsanwalt in Ulm im Gespräch mit unserer Redaktion mitteilt. Lückenlos aufgeklärt ist der Fall aber offensichtlich nicht. Auch, weil die sechs eingesetzten Beamten zur Sache keine Angaben machten.
Passiert ist der tödliche Vorfall am 27. Oktober 2024. Wie am Tag danach das Landeskriminalamt (LKA) Baden-Württemberg und die Staatsanwaltschaft Ulm mitteilten, war die Polizei durch die Mutter des 42-Jährigen gegen 22.10 Uhr gerufen worden, weil der Sohn in der gemeinsamen Wohnung randaliert habe. Beim Eintreffen der Polizei sei der Mann aufgrund seines „renitenten Verhaltens“ durch Kräfte der Polizei fixiert worden, hieß es.
Mann stirbt bei Polizeieinsatz in Ulm: Sechs Beamte waren vor Ort
Oberstaatsanwalt Lehr konkretisiert diese Angaben nun: Insgesamt seien drei Streifenbesatzungen mit je zwei Beamten im Einsatz gewesen. Die ersten beiden Streifen seien relativ zeitgleich eingetroffen, die dritte etwas später, als der Mann bereits fixiert gewesen sei. Den Beamten sei bereits bewusst gewesen, dass der 42-Jährige psychisch erkrankt war. Er sei aufgrund dessen zuvor schon auffällig geworden. Nähere Angaben dazu will der Leiter der Ulmer Staatsanwaltschaft aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht machen.
Als die Streife eintrifft, soll der 42-Jährige bereits auf das Polizeiauto zugekommen sein. Die Beamten seien ausgestiegen. Der Mann soll sich daraufhin auf den Beifahrersitz gesetzt haben. „Das geht nicht, aus Sicherheitsgründen. Vorne ist der Funk und viele Dinge. Da kann ein Mann mit psychischer Erkrankung nicht sitzen“, sagt Lehr. Die Polizisten hätten zunächst versucht, den 42-Jährigen zu überreden, dass er vom Beifahrersitz weg muss. „Das macht er nicht, aus welchen Gründen auch immer“, so Lehr weiter. Die Beamten hätten ihm anschließend angedroht, ihn herauszuziehen. Weil der Mann auch darauf nicht reagiert habe, wird gehandelt. „Dagegen wehrt er sich heftig“, sagt der Oberstaatsanwalt.
Toter bei Polizeieinsatz in Ulm-Lehr: Unmittelbare Augenzeugen gibt es nicht
Unmittelbare Augenzeugen des Geschehens gab es laut Lehr nicht. Lediglich Nachbarn hätten berichtet, was sie gehört haben. Deren akustischen Wahrnehmungen würden mit diesem Verlauf übereinstimmen. Die Beamten hätten zunächst normal mit dem Mann geredet, seien dann bestimmter geworden. Schlussendlich sei es zu „Geschrei“ gekommen. Die Beamten sollen den 42-Jährigen auf dem Boden fixiert und mit Handschellen sowie Kabelbindern gefesselt haben. Er sei aber nicht gewürgt worden. Auch auf den Kopf soll keine Druck ausgeübt worden sein. „Doch plötzlich ist er still“, gibt Lehr wieder, was sich vor Ort wohl zugetragen hat. „Die Polizisten schauen ihn an, aber er reagiert nicht mehr.“

Weil er auch nicht mehr geatmet habe, werden ihm die Fesseln abgenommen, sofort mit der Reanimation begonnen und der Notruf abgesetzt. Der sei „sehr schnell“, binnen fünf oder sechs Minuten, da gewesen. Jedoch ohne Erfolg. Der Mann stirbt im Universitätsklinikum Ulm.
Das hat die Obduktion des Toten ergeben
Der 42-Jährige wird obduziert. Dabei wird festgestellt, dass der Mann infolge eines sogenannten exzitierten Delirs gestorben ist. Lehr erklärt, wie es ihm erklärt wurde: Der Körper sei dauernd in Überlast, in höchstem Erregungszustand gewesen. Hinzu sei eine Dosis Amphetamin gekommen, die allein schon als „todeswürdig“ eingeordnet wurde. Der Mann sei dadurch „so in Rage“ gebracht worden, dass der komplette Stoffwechsel entgleist war und der Tod eintrat.
Die Beamten sowie der eintreffende Notarzt hätten nach Auffassung des Leitenden Oberstaatsanwalt „alles richtig“ gemacht. Es sei eine „überaus tragische Geschichte“. Für die Beamten sei trotz des Vorwissens um die Erkrankung aber nicht erkennbar gewesen, dass es zu einem solchen Erregungszustand in Kombination mit den Drogen hätte kommen können. Daher wurde das Verfahren eingestellt.
Warum redet jemand nicht, der sich nichts vorzuwerfen hat?
Lehr hatte den sechs Beamten, die weiterhin im Dienst sind, bis Mitte April eine einmonatige Frist gesetzt, um sich zum Sachverhalt äußern zu können. Er hatte gehofft, dass die Angaben der Polizisten dazu beitragen, die Tat lückenlos aufzuklären. „Immerhin kam ein Mensch zu Tode“, so Lehr. Auch wenn er sich sicher ist, dass es sich wie beschrieben zugetragen hat, eine 100-prozentige Gewissheit gebe es so eben nicht. Angehörige werden sich so auch weiterhin die Frage stellen können: Warum redet jemand nicht, der sich nichts vorzuwerfen hat? Als Beschuldigte müssen sie das nicht und können von ihrem Schweigerecht Gebrauch machen. Der Staatsanwalt gibt zu bedenken: „Für die Beamten ist es auch schlimm, in ihrem Beisein kam jemand zu Tode.“
Die Todesursache ‚exzitiertes Delir‘ wirft für mich mehr Fragen auf als sie beantwortet. Wenn der Zustand stressinduziert war – woher kam der Stress? Und wenn bekannt war, dass der Mann psychisch krank und unter Drogen stand, warum war kein Notarzt dabei? Schließlich wurde die Polizei gerufen, offenbar nicht ohne Grund. Dass der Einsatz tödlich endet und das Verfahren gegen die Beamten eingestellt wird, ist für mich schwer nachvollziehbar. Bei einem normalen Bürger hätte man mit voller Härte ermittelt – Hausdurchsuchung, Vernehmung, vielleicht Untersuchungshaft. Wenn aber der Staat selbst handelt, scheint plötzlich eine andere Messlatte zu gelten. Gerade hier sollte doch besonderes Interesse an Transparenz und lückenloser Aufklärung bestehen – sonst verliert man das Vertrauen in unseren Rechtsstaat.
Wie soll denn jedesmal bei allen Ruhestörungen etc ein Notarzt gerufen werden? Müssen nun Ärzte Polizeiarbeit machen? Wie sollen die Beamten in sekundenschnelle diagnostizieren und die richtigen Maßnahmen einleiten können? Das Aufputschmittel Amphetamin sorgt für übermäßigen Herzschlag und Puls, entrückt von der Realität und macht hochgradig aggressiv. In Psychiatrien werden solche Patienten ebenso fixiert, zum Schutz vor Fremd- und Eigengefährdung. Die Polizei hat aber leider kein Fixierbett dabei.
Hier wird doch in keiner Weise mit zweierlei Maß gerechnet. Wie aus dem Bericht erkennbar, hat sich die Situation mehr und mehr eskaliert. Notwendige Maßnahmen mussten durchgeführte werden auch gegen den Widerstand des Betroffenen. Bedarfsgerecht wurden diese bei Verschlechterung der Situation objektiv aufgehoben. Da der Betroffene sich selbst auch noch unter Drogen setzte, wovon die Beamten nicht auszugehen hatten, stellt ein Eigenverschulden dar. Man sollte sich wieder in Erinnerung rufen, dass notwendige Maßnahmen auch durch den Einsatz von körperlicher Gewalt erwirkt werden können und müssen.
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