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Foto: Andreas Brücken (Archivbild)
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Nach zwei Jahren Zwangspause findet diesen Karfreitag wieder der "Lebendige Kreuzweg" in Ulm und Neu-Ulm statt. Hier ein Bild von 2017: Salvatore Tarantello als Jesus am Kreuz.

Ulm/Neu-Ulm
12.04.2022

Dieser Ulmer Friseur spielt den Jesus beim "Lebendigen Kreuzweg" am Karfreitag

Von Jonas Klimm

Plus Gianni Crusafio spielt beim diesjährigen "Lebendigen Kreuzweg" die Hauptrolle. Dass es dazu kam, verdankt er dem Zufall - und einer Frau aus Vöhringen.

Nach zwei Jahren coronabedingtem Ausfall ist es am kommenden Freitag, dem Karfreitag, wieder so weit: Der "Lebendige Kreuzweg" findet statt. 2004 hatte diesen Nicola Albarino von der italienischen katholischen Gemeinde Ulm ins Leben gerufen, mittlerweile ist er in Ulm und Neu-Ulm zum festen kulturellen Bestandteil geworden. Die Geschichte, die gezeigt wird, ist bekannt und quasi uralt. Neu ist in diesem Jahr aber der Darsteller der wichtigsten Person: Jesus. Er wird gespielt vom Ulmer Friseur Gianni Crusafio. Kaum fünf Jahre ist es her, da durchlebte der heute 43-Jährige die "Hölle auf Erden". Seine Frau lag monatelang im Koma. Es war unklar, ob sie wieder aufwachen wird. Jetzt, kurz vor dem großen Auftritt, ist die Erinnerung an die schreckliche Zeit bei ihm wieder präsent.

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Damals war er zusammen mit seiner Frau und den zwei kleinen Töchtern von seiner Wahlheimat Neu-Ulm in seine alte Heimat nach Süditalien aufgebrochen. Urlaub mit der Familie sollte es sein, im Gepäck: wenig Stress und möglichst viel gemeinsame Zeit mit alten Freunden und Bekannten. Vier Wochen am Meer waren angedacht, anschließend in entspanntem Zustand die Rückkehr in den Neu-Ulmer Alltag. Nach einiger Zeit aber klagte Crusafios Frau über heftige Kopfschmerzen, sie fuhren ins örtliche Krankenhaus, die Diagnose war erschütternd: Ein Hirnaneurysma hatte sich gebildet. Drei Monate lag die damals 36-Jährige im Koma, unklar, ob sie wieder aufwachen wird oder nicht. Aus den geplanten vier Wochen Aufenthalt wurden neun Monate, aber die junge Mutter überlebte.

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Foto: Alexander Kaya
Foto: Alexander Kaya

Er ist der neue Jesus-Darsteller beim traditionellen "Lebendigen Kreuzweg" in Ulm und Neu-Ulm am Karfreitag: Der Friseur Gianni Crusafio.

Nun, fünf Jahre später, spielt Gianni Crusafio zusammen mit seiner Frau und den sechs- und achtjährigen Töchtern beim traditionellen "Lebendigen Kreuzweg" in Ulm und Neu-Ulm mit. Dass er die zentrale Rolle des neuen Jesus annahm, hat maßgeblich mit dem einschneidenden Ereignis vor fünf Jahren zu tun, in dessen Folge er als Alleinverdiener arbeitete, die Kinder versorgte und seine schwerkranke Frau pflegte. "Der Glauben hat mir viel Halt gegeben", erinnert er sich. "Täglich habe ich gebetet, dass alles wieder gut wird." Und es ist wieder gut geworden. Zumindest größtenteils, denn mit Beeinträchtigungen hat Crusafios Frau bis heute zu kämpfen. "Ihr Kurzzeitgedächtnis funktioniert nicht mehr richtig", sagt er. Das heiße auch, dass sie nach wie vor kaum Deutsch beherrsche, weil sie sich schlichtweg die Vokabeln nicht merken könne. "Das ist eine schwierige Situation, denn unsere Töchter wachsen mit der Sprache auf."

Lebedinger Kreuzweg in Ulm und Neu-Ulm: Jesus-Darsteller Crusafio ist "total aufgeregt"

Am Freitag folgt der große Auftritt. Und Crusafio ist "total aufgeregt", wie er sagt. An fünf Stationen in Neu-Ulm und Ulm wird die Leidensgeschichte Jesus von rund 80 Laiendarstellern nachgespielt. Insgesamt sind sogar 180 Personen involviert, schätzt Organisator Albarino. Neben den Darstellern sind das die Organisatoren, Sicherheitspersonal oder auch diejenigen, die während der Vorstellungen durch die Reihen gehen, um Spenden zu sammeln. "Ich hoffe einfach, dass alles klappt", so Jesus-Darsteller Crusafio. Das Wetter sollte natürlich auch mitspielen, denn die Bekleidung des Hauptdarstellers wird spärlich sein. Oberkörperfrei muss er die knapp drei Stunden und fünf Stationen bewältigen. "Zurzeit schaue ich täglich auf den Wetterbericht, aber die Prognosen sehen nicht allzu schlecht aus", sagt er.

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Rückblick auf 2019: Tausende verfolgen den Lebendigen Kreuzweg
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Wenn Crusafio nicht gerade den Sohn Gottes verkörpert, findet man ihn in der Ulmer Altstadt in seinem Friseursalon. Hier arbeitet er seit acht Jahren, zunächst als Angestellter, mittlerweile führt er das Geschäft. Dass Crusafio für die Arbeit in Ulm gelandet ist und zusammen mit seiner Familie in Neu-Ulm lebt, war einer Aneinanderreihung von Zufällen geschuldet. "Eigentlich komme ich aus Nordrhein-Westfalen, aus Mettmann", erzählt er. Dort sei er aufgewachsen, bis es ihn als junger Mann nach Italien gezogen habe, wo seine Familie ursprünglich herstammt. Als Friseur habe er zunächst im süditalienischen Lecce, anschließend in Bologna, in Norditalien, gearbeitet. Dort lebt er auch, als 2012 heftige Erdbeben die Region erschüttern - 24 Menschen sterben. "Darüber spreche ich nicht gerne, es war eine schreckliche Zeit", sagt er wortkarg.

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Seinen Weg in die Region fand Crusafio über eine Frau aus Vöhringen. "Ein guter Bekannter von mir war im Urlaub in Italien und brachte seine Frau mit." Diese habe ihn auf einen Job in Ulm aufmerksam gemacht, seinen heutigen Arbeitsplatz. "Ulm? Was ist Ulm?", habe er sich zunächst gefragt. "Ich hatte noch nie von der Stadt gehört", sagt er und lacht. Trotzdem: Crusafio setzte sich in sein Auto und fuhr über die Alpen ins Ungewisse, seine späteren Chefs wollten sich zunächst bei einer Probearbeit von ihm überzeugen. Und er überzeugte. "Der Beginn war hart. Meine Frau war schwanger, und wir lebten im Hotel. Ich hatte Arbeit, aber keine Wohnung", erinnert sich Crusafio. Auch diese schwere Zeit habe er aber gemeinsam mit seiner Frau überstanden. "Das schweißt zusammen."

Auf die "Rolle seines Lebens", den Jesus Christus, bereitet sich Crusafio seit mehreren Wochen akribisch vor: "Es gibt ein Drehbuch mit klaren Anweisungen, die Texte habe ich auswendiggelernt. Außerdem studiere ich Videos der vergangenen Aufführungen und schaue, wie es meine Vorgänger gemacht haben." Zudem: Proben über Proben. Jeden Samstag in einem Saal der italienischen katholischen Gemeinde. "Ich bin mittlerweile in die Rolle hineingewachsen", resümiert er. Ob er noch einen Wunsch für den großen Tag hat? "Ja", sagt Crusafio mit klarer Stimme. "Ich möchte niemanden enttäuschen, der an mich glaubt."

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