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Ulmer Zelt: Kabarettist René Sydow schaut genau hin

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Ulmer Zelt: Kabarettist René Sydow schaut genau hin

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    Kabarettist und "Spracharbeiter" René Sydow bei seinem ersten Auftritt im Ulmer Zelt.
    Kabarettist und "Spracharbeiter" René Sydow bei seinem ersten Auftritt im Ulmer Zelt. Foto: Michael Vogt

    Vielleicht entstehen die besten Kabarett-Programme dann, wenn man ratlos ist. René Sydow, auf der Bodensee-Insel Höri aufgewachsener Kabarettist, Schriftsteller und Schauspieler, trat erstmals im Ulmer Zelt auf und begeisterte sein Publikum einen langen und ziemlich warmen Zelt-Abend lang mit seinem Programm „In ganzen Sätzen“. 2024 gewann er damit den Hauptpreis des baden-württembergischen Kleinkunstpreises. Sydow tritt mit solcher Verve auf, dass schon mal die Blätter seines Manuskripts fliegen.

    Alles hat mehrere Seiten

    Den einen zu rechts, den anderen zu links, Pazifist, Verteidiger des freien Wortes und des Witzes – und einfach verzweifelt: So beschreibt sich der 45-jährige Satiriker. Sydow beobachtet nämlich genau und sieht: Es gibt bei allem, je nach Betrachtungsweise, mehrere Seiten. CO2 sparen ist zweifellos richtig, sagt er. Da gebe es die jungen Generationen, denen das so wichtig sein soll, aber das sind dann eben auch die, die ihr Geld in Kryptowährungen investieren. Letztere verursachten pro Jahr 98 Millionen Tonnen CO2 und damit doppelt so viel wie die Schweiz insgesamt. Und der Ukraine-Krieg hat bislang schon mehr CO2 produziert als mindestens 90 Millionen Verbrennerautos, sagt Sydow, zitiert Franz Josef Strauß‘ Satz, dass dem die Hand abfallen solle, der nochmal ein Gewehr in die Hand nimmt, und bezeichnet die Grünen als die einzige Friedenspartei, mit der man bestens Krieg führen könne.

    Wenn man genau hinschaut, ist eben nichts schwarz oder weiß, sondern extrem komplex, oft genug absurd, und weil René Sydow ganz genau hinschaut, ist sein hintergründiger Zelt-Abend alles andere als lockere Comedy. Mitdenken ist angesagt und manchmal auch heftig Schlucken beim Lachen. Zum Beispiel dann, wenn es schlicht auf die Betonung ankommt. „Rechte verteidigen“ – das kann man ganz verschieden meinen. Es ist Konsens, dass man Schwarze nicht diskriminiert – aber darf man deswegen auch Friedrich Merz nicht diskriminieren? Es ist schon ein Übel mit der Deutbarkeit von Worten.

    Auf die Betonung kommt es beim Spiel mit der Sprache an

     Worte, Sprache, liebt René Sydow über alles. Ein „Spracharbeiter“ sei er, sagt er. Gerade deshalb sind die Sprache der Angst, die „Leitplanken“ des Denkens, die Freiheit der Sprache und die Angst der Mächtigen vor der Sprache große Themen bei Sydow. Ihm selbst, der auf die Präzision von Sprache größten Wert legt, ist Gendern ein Dorn im Auge, denn ein Student im Urlaub ist so wenig ein Studierender wie ein Lehrer außerhalb der Schule ein Lehrender, denn das Partizip beschreibe den aktuellen Moment, legt er dar – und beschreibt, dass das Indogermanische ursprünglich nur ein Geschlecht für die belebte Welt und eines, das Neutrum, für die unbelebte Welt kannte. Der weibliche Artikel entstand erst später. „Danken“ und „Gedanken“ sind verwandte Worte, während die beiden Begriffe „Macht“ und „machen“ tatsächlich etymologisch aus unterschiedlichen Begriffen stammen. Und das Adjektiv „modern“ und das Verb „modern“? Auf die Betonung kommt es halt an, wenn man mit Worten spielt – sonst könnte ein Weingummi auch als trauriges Kondom verstanden werden.

    Am Ende zeigt sich René Sydow begeistert vom Zelt – und demütig dankbar für die Lebenszeit, die ihm sein Publikum an diesem Abend geschenkt hat.  

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