Wilde Jagd zweier Erz-Improvisatoren
Michel Portal (Piano) und Roberto Negro (Klarinette) liefern einen Jazz-Abend für die Ewigkeit
So geht Jazz: Der Grauhaarige an der Bassklarinette beginnt, haucht milde Atemstöße ins Mundstück, lässt langsam die Finger über die Klappen tanzen. Ein dunkles Motiv entsteht. Dann kreiselt er seinen rechten Zeigefinger in der Luft wie ein Druide, übergibt an den jüngeren Schwarzhaarigen am Piano. Der übernimmt und fingert mit der Linken mitten ins Instrument, lässt über die Rechte federleichte Läufe zum donnernden Knall anschwellen. Eine wilde Jagd beginnt. Die beiden sprinten, stoppen, drehen sich nach links oder rechts, kehren um, springen, schleichen. Sie hören aufeinander, saugen die Ideen und die kreative Kraft des jeweils anderen förmlich auf, verzahnen sich und erschaffen ein eigenes Instrument: das Duo!
Das alles geht tatsächlich nur im Jazz – ohne Noten, ausschließlich der Intuition folgend. Wenn jemand die Magie dieser Musik in ihrer ganzen Pracht entfalten kann, dann der große französische Bassklarinettist und Sopransaxofonist Michel Portal und sein kongenialer italienischer Partner Roberto Negro am Bösendorfer-Flügel. Zwei Erz-Improvisatoren, die im Neuburger „Birdland“-Jazzclub vor den Mikrofonen des BR, der dieses denkwürdige Konzert im Rahmen des 9. Birdland Radio-Jazz-Festivals aufzeichnete, einen Abend für die Ewigkeit lieferten. Und das Publikum klatscht sich schier die Finger wund, um noch mehr von dieser zauberhaften, grandiosen Musik zu bekommen. Man ahnte es: Wenn eine Leuchtturm-Figur wie Michel Portal in den Jazztempel der Ottheinrichstadt kommt, dann bleibt einem dieser Abend noch lange in Erinnerung. Aber irgendwie stand zu befürchten, dass es eine ziemlich kopfige, ballast-reiche Darbietung dicht an der Schwelle zum atonalen Freejazz werden könnte. Weit gefehlt! Selbst mit bald 84 Jahren ist der Meister an der Bassklarinette an der Seite eines seelenverwandten Partners noch immer für eine Überraschung gut. Portal zelebriert den Augenblick, genießt jede Sekunde der spontanen Interaktion mit Negro und feiert mit den Gästen im Hofapothekenkeller ein Fest der radikalen Modernität. Der ewige Selbstzweifler, Nonkonformist und Humorist liebt es, immer wieder wie ein Maler mit einer leeren Leinwand zu beginnen. „Den Spiegel zu reinigen“ lautete ein Lieblingssatz John Coltranes. Die Türen aufstoßen, das Licht hereinzulassen, etwas noch nicht Gespieltes zu erfinden: voilà, der nomadische Geist des vielseitigen Genies Michel Portal.
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