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Foto: Dominik Gerstner
Foto: Dominik Gerstner

Er liebt seinen Job als Wiesn-Bedienung, das merkt man Dominik Gerstner einfach an. Heuer arbeitet er zum dritten Mal auf dem Oktoberfest.

Bergheim/München
30.09.2022

Wiesn-Wahnsinn: So erlebt ein Bergheimer das Oktoberfest als Bedienung

Von Katrin Kretzmann

Plus Dominik Gerstner bedient im Hackerzelt auf dem Münchner Oktoberfest, es ist seine dritte Wiesn. Wie er dazu kam, was er erlebt und wann er Gänsehaut bekommt.

Sein Hemd war viel zu groß, die Lederhose passte auch nicht so richtig und was ihn in den nächsten Tagen erwarten wird, das war ihm nicht wirklich bewusst. Dominik Gerstner stand das erste Mal bevor, als Bedienung, auf dem Feuerwehrfest 2005 in Theißing. Acht durstige Männer warteten an einem Tisch. „Und ich fragte meinen Kollegen: Wie oft muss ich laufen, wenn die jetzt acht Maß Bier wollen?“, erzählt der Bergheimer rückblickend und lacht. Heute schafft er 16 Maß auf einen Streich und gehört zu den Bedienungen im Hackerzelt auf dem Münchener Oktoberfest.

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Es war seine Mama, die Gerstner auf den Geschmack gebracht hatte. Sie war Chef-Bedienung auf dem Eichstätter Volksfest und dem Tittinger Kellerfest – und knapp zehn Jahre auch im Hackerzelt auf der Wiesn. „Irgendwann hat sie zu mir gesagt: ,Freund, du kommst jetzt mal mit und verdienst dein eigenes Geld!’“, erzählt der 32-Jährige. Es folgte seine Premiere in Theißing und seither hat er auf unzähligen Festen in der ganzen Region bedient. Im Jahr 2016 stemmte Gerstner die Bierkrüge dann zum ersten Mal auf dem Oktoberfest. Das Hackerzelt, der Himmel der Bayern, war es aber noch nicht, „das Team war leider schon voll“. Also ging es ins Schützenfestzelt – „und das war überhaupt nicht meins“.

Dominik Gerstner arbeitet als Bedienung im Hackerzelt auf dem Oktoberfest

Mit der Münchener Schickeria könne er überhaupt nichts anfangen, es sei mehr Laufsteg als Festzelt, zudem gebe es Weinschorle und Champagner. „Das ist nicht mein Verständnis von Oktoberfest“, sagt Gerstner, der nach zwei Jahren berufsbedingter Pause 2019 schließlich im Hackerzelt die Maß-Krüge stemmte. „Und das ist einfach meins: bodenständige Leute wie du und ich, die ins Bierzelt gehen, weil sie feiern und Bier trinken wollen.“ Zudem sei er unter Weggefährten, denn „die gesamte Bedienungsbrut aus Eichstätt arbeitet hauptsächlich im Hacker“.

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Foto: Dominik Gerstner
Foto: Dominik Gerstner

In seinem Element: Dominik Gerstner hat schon auf unzähligen Volksfesten bedient, 2016 das erste Mal auf dem Oktoberfest. Heuer stemmt er zum zweiten Mal die Maßkrüge im Hackerzelt, dem berühmten Himmel der Bayern.

Insgesamt 275 Bedienungen arbeiten im Himmel der Bayern. Gerstner bildet mit zwei Kolleginnen ein Team, das für zehn Tische zuständig ist. Nimmt man das gesamte Zelt mitsamt Biergarten und Balkon, dann haben dort 9000 Menschen Platz. Bis zu 32 Hendl trägt der Bergheimer auf seinem großen Tablett, dem sogenannten Schlitten, „das dürften knapp 30 Kilo sein“. Mit Bier gefüllt trägt er 16 Maßkrüge auf einmal, leer 22. Sein Ziel für dieses Jahr: 20 volle Bierkrüge. Das geht natürlich ordentlich in die Knochen, wiegt schließlich ein Maßkrug ohne Inhalt schon knapp 1,3 Kilogramm. „Da muss man von Haus aus schon Kraft mitbringen, sonst geht das nicht.“ Hinzu kommt eine gewisse Ausdauer. Knapp 20.000 Schritte bringen Gerstner und seine Kollegen pro Arbeitstag, der etwa 13 Stunden lang ist, zusammen. Das sind gut 15 Kilometer.

Doch eine Wiesn-Bedienung muss noch mehr mitbringen als körperliche Fitness, aus Gerstners Sicht vor allem mentale Stärke und Schlagfertigkeit. „Du musst zach sein, wie man in Bayern so schön sagt, und blöd daher reden gehört natürlich auch dazu, aber das mögen die Leute.“ Über seine Erlebnisse mit den Menschen könnte er ein Buch schreiben. „Betrunkene Amerikaner sind schon witzig, aber man denkt sich auch: Mein Gott, das Niveau kann so tief sinken.“ Einmal habe er einen Gast dabei beobachtet, wie er mit aufgeblähten Backen durch einen Gang gewankt ist. „Ich wusste, dass das nicht gut gehen wird“, erzählt Gerstner. Ein junges Mädchen habe den Weg des torkelnden Mannes zufällig gekreuzt und sein gesamter Mageninhalt landete auf ihr und ihrem Dirndl. „Da schämt man sich dann schon für seine eigene Spezies.“ Doch das seien die Ausnahmen und es geht auch gesitteter zu, wie die „Hacker-Herren“ beweisen.

Im Hacker-Festzelt auf dem Oktoberfest arbeiten 275 Bedienungen, 9000 Menschen haben Platz

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Foto: Dominik Gerstner
Foto: Dominik Gerstner

Mit Melli und Mira bildet der Bergheimer ein Team im Hacker-Festzelt.

Das ist laut Gerstner eine Gruppe von Amerikanern aus allen Ecken der Vereinigten Staaten, die sich jedes Jahr für ein paar Tage treffen – und zwar nur auf der Wiesn. „Sie haben Trikots an mit einer Nummer auf dem Rücken, die besagt, wie oft sie schon auf dem Oktoberfest waren – und die Truppe ist einfach der Wahnsinn.“ Daneben erlebt der Bergheimer spontanverliebte Paare, die ihr Schäferstündchen bei strömendem Regen gerne mal in eine dunkle Ecke vor dem Zelt verlegen, die verrücktesten Charaktere in unmöglichen Trachten und Kostümen aus sämtlichen Nationen, Gäste, die jedes Jahr an jedem Tag da sind, oder solche, die einfach begnadet zu jedem Lied mitgrölen, zwar total schief, aber voller Leidenschaft. Das meiste Trinkgeld gibt laut Gerstner übrigens die bayerische Mittelschicht.

Der Bergheimer arbeitet hauptberuflich als Planer in der Beschaffung bei Audi. Die 17 Tage auf der Wiesn sind für ihn „wie mentaler Urlaub“. Er bekomme den Kopf frei, sei wie in einer Blase und weit weg vom Alltag. Wobei es etwas gibt, das er nicht ausblenden kann: Seine Tochter Laura, die vor drei Monaten auf die Welt kam. „Ich vermisse die Kleine und meine Frau sehr, aber wir telefonieren jeden Tag per Video, das hilft“, sagt der frisch gebackene Papa.

Für Dominik Gerstner aus Bergheim ist die Wiesn wie "mentaler Urlaub"

Das Bedienen auf dem Oktoberfest hat für Gerstner einen einzigartigen Charme. „Es ist ein magischer, unbeschreiblicher Flair.“ Dazu trage nicht nur die Atmosphäre im Bierzelt bei, sondern auch die ganze Hackerfamilie, wie er betont. „Es ist diese tolle Stimmung untereinander, von den Chefs, über die Bedienungen und das Küchenpersonal bis zur Klofrau, einfach alle haben diesen Spirit, helfen zusammen.“ Darüber hinaus lerne er so viele neue Menschen kennen „und das feiere ich so, so sehr“.

Doch trotz aller Freude hinterlässt die Wiesn auch ihre Spuren. Der Körper zwickt an mancher Stelle, die Augenringe werden dunkler und die Stimme rauer. „Ab dem elften Tag wird man dann auch für kurze Zeit mal zum Menschenhasser.“ Doch das nimmt Gerstner, der mit einem Wiesn-Kollegen eine Wohnung in der Nähe der Theresienwiese für die 17 Tage angemietet hat, in Kauf. „Wenn am letzten Tag „Sierra Madre“ erklingt, alle Wunderkerzen in den Händen halten und sich teilweise weinend in den Armen liegen ist das ein unbeschreibliches Gefühl. Auf der einen Seite verspüre man die Erleichterung, den Stolz, dass man es wieder einmal geschafft hat und auf der anderen Wehmut, dass es vorbei ist.

Zwei Tage nach dem letzten Wiesn-Tag hat Gerstner Urlaub, es wieder nach Hause und zurück in die Arbeit – und das mit einem prall gefüllten Geldbeutel im Gepäck. Über die Höhe seines Verdiensts auf dem größten Volksfest der Welt schweigt der 32-Jährige. Nur so viel wird mit einem schelmischen Grinsen verraten: „A bisserl was bleibt scho’ über.“

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