Er war ein Patriarch, ein angesehener Mann, mächtiger Herausgeber des Donaukurier, ein Wohltäter und Ehrenbürger der Stadt Ingolstadt. Doch Wilhelm Reissmüller war noch etwas anderes: ein aktiver Nationalsozialist. „Mehr Nazi geht nicht“, zitiert der Journalist Thomas Schuler den Historiker Daniel Siemens.
Neben Reissmüller wurde auch anderen Ingolstädtern die Ehrenbürgerwürde aberkannt
Schuler hat alte Akten zu Reissmüller ausgegraben und mit seiner Arbeit dafür gesorgt, dass der Ingolstädter Stadtrat ihm in seiner jüngsten Sitzung posthum die Ehrenbürgerwürde entzogen hat. Damit reiht sich Reissmüller ein in eine Riege von Männern, die ihre Vergangenheit ebenfalls eingeholt hat. Dazu zählt Reissmüllers Schwiegervater Ludwig Liebl (1874-1940) ebenso wie der ehemalige Ingolstädter Oberbürgermeister Josef Listl (1893-1970); beiden sind wegen ihrer politischen Verstrickungen im Dritten Reich die Ehrentitel bereits vor drei Jahren aberkannt worden. In Neuburg wurde jüngst die Vergangenheit des Komponisten Paul Winter aufgearbeitet. Auch hier hat man sich im vergangenen Jahr deutlich von dem einst renommierten Neuburger distanziert. Eine nach ihm benannte Schule wurde umbenannt, auch sein Ehrengrab wird seitens der Stadt nicht mehr gepflegt.
Reissmüller wurde 1911 im heutigen Landkreis Göppingen in Baden-Württemberg geboren. Später studierte er in München unter anderem Philosophie und promovierte in diesem Bereich. Während des Studiums lernte er Elin, die Tochter des Ingolstädter Arztes Ludwig Liebl, kennen. Doch Liebl war nicht nur Mediziner, sondern auch Gründer des Donauboten, eines nationalsozialistischen Hetzblatts. 1937 heiratete Reissmüller Liebls Tochter Elin, im selben Jahr wurde er auch Verlagsleiter des Donauboten.
Wilhelm Reissmüller hatte stets seine Nähe zum Nationalsozialismus abgestritten
Zu Lebzeiten hatte Reissmüller stets seine Nähe zum Nationalsozialsozialismus dementiert. Nicht nur das: Gegen diejenigen, die vor allem in den 60er und 70er Jahren seine Vergangenheit zum Thema machten, ging er gerichtlich vor und ließ sich auch von juristischen Niederlagen nicht davon abbringen, seine Verstrickungen weiterhin vehement zu leugnen. Reissmüller, der ab 1949 Verleger des Donaukurier war und als mächtiger Zeitungsmann großen Einfluss in Ingolstadt hatte, inszenierte sich stattdessen gar als jemand, der den Widerstandskämpfern nahestand. Grünen-Stadträtin Agnes Krumwiede bezeichnete Reissmüller in der Sitzung des Stadtrats als „bemerkenswerten Lügenbaron“.
In den Jahrzehnten nach dem Krieg bis zu seinem Tod 1993 trat Reissmüller als Förderer von Kunst und Kultur auf, er engagierte sich außerdem im sozialen Bereich. Eine Stiftung, die die Städtepartnerschaft zwischen Ingolstadt und dem italienischen Carrara fördert, erhielt seinen Namen, genauso eine Wohnstätte der Lebenshilfe. Wegen seines Wirkens in den Jahrzehnten nach dem Krieg haben die Ingolstädter Stadträte Reissmüller 1976 die Ehrenbürgerwürde verliehen. Einer, der damals dagegen gestimmt hatte, war Manfred Schuhmann. Fast 50 Jahre später sagt der SPD-Mann, der noch immer dem Stadtrat angehört: „Die Aberkennung hätte schon lange, lange sein müssen.“
Eine Studie soll die NS-Vergangenheit von Ingolstadt erforschen
In der Tat gab es bereits länger Forderungen für diesen Schritt. Ein Antrag der Linken hatte zunächst aber keinen Erfolg. Man wolle erst die Ergebnisse einer Studie abwarten, hieß es damals aus dem Stadtrat. Dieses Gutachten mit dem Titel „Ingolstadt in der NS-Zeit“ hatte die Stadt 2022 beim Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in Auftrag gegeben. Doch es könnte noch rund drei Jahre dauern, bis ein Ergebnis vorliegt. Inzwischen aber gibt es neue Erkenntnisse zum Wirken Reissmüllers in der NS-Zeit.
Thomas Schuler hatte bei seinen Recherchen Zugriff auf die Studienkarte und die Promotionsakte von Reissmüller, die belegen, dass Reissmüller nicht nur Mitglied verschiedener NS-Organisationen war, sondern ab 1933 auch in der SA und der SS war. Schuler veröffentlichte seine Ergebnisse in einem Beitrag in Band 17 der Reihe „Täter, Helfer, Trittbrettfahrer“, der im Herbst vergangenen Jahres erschienen ist. Angesichts dieser neuen Erkenntnisse hat nun auch die Stadtverwaltung einen Antrag zur Aberkennung der Ehrenbürgerwürde gestellt. „Eine unverzügliche Distanzierung der Stadt Ingolstadt ist aus Sicht der Verwaltung erforderlich, um den eigenen ethischen Maßstäben zu genügen und den Ruf der Stadt vor Schaden zu bewahren“, heißt es in der Vorlage. Bis auf die Gegenstimme von Sepp Mißlbeck (UWG), der die Ergebnisse aus dem Gutachten abwarten wollte, hat sich der Stadtrat für den Vorschlag der Stadtverwaltung ausgesprochen. Auch wenn der Akt rein symbolisch ist, denn rechtlich erlischt die Ehrenbürgerschaft mit dem Tod.
Doch die Causa Reissmüller ist mit der Entscheidung noch nicht zu Ende. Aktuell werde geprüft, welche Auswirkungen die Entscheidung auf die nach Reissmüller benannte Stiftung habe, erklärte Kulturreferent Marc Grandmontagne. Doch deren aktueller Zustand sei ohnehin recht dürftig.
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