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Neue Ausstellung in Ingolstadt: Menschliche Präparate und ihre ethischen Fragen

Ingolstadt

Wollen Sie das sehen? Ausstellung thematisiert Umgang mit menschlichen Präparaten

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    In der Sonderausstellung „Ansichtssache“ im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt sind mehr als 100 Objekte zu sehen.
    In der Sonderausstellung „Ansichtssache“ im Deutschen Medizinhistorischen Museum in Ingolstadt sind mehr als 100 Objekte zu sehen. Foto: Dorothee Pfaffel

    Wer auf den ersten Raum der neuen Sonderausstellung des Deutschen Medizinhistorischen Museums in Ingolstadt zugeht, erblickt eine schwarze Wand. Davor in warmes Licht getaucht in einer gläsernen Vitrine ein einzelnes Exponat: ein menschliches Herz. Und zwar ein echtes - hautfarben, mit bläulichen Äderchen und einem Klecks Rot, leicht schimmernd. Dahinter sind mit weißer Farbe Fragen an die Wand gepinselt, die sich vermutlich die meisten Leute stellen, wenn sie das Herz sehen. Etwa: Ist es wirklich real? Wem hat es einmal gehört? Braucht es menschliche Präparate in der heutigen Zeit noch für die Forschung? Wer sich dann nach links wendet und um die Ecke biegt, entdeckt rund 100 Leihgaben aus Sammlungen in Berlin, Erlangen und München, die in Ingolstadt unter dem Titel „Ansichtssache. Menschliche Präparate im Museum“ zusammengetragen wurden.

    Dieses menschliche Herz eröffnet die Ausstellung.
    Dieses menschliche Herz eröffnet die Ausstellung. Foto: Dorothee Pfaffel

    Die Ausstellung, die bei ihren Besucherinnen und Besuchern unterschiedliche Reaktionen hervorrufen dürfte, beschäftigt sich mit einem Thema, das derzeit vor allem in der Wissenschaft häufig und kontrovers diskutiert wird: Wie umgehen mit menschlichen Präparaten, insbesondere in Museen? In der Gesellschaft erreichte die Debatte bereits Mitte der 1990er Jahre einen ersten Höhepunkt, als der deutsche Mediziner und Anatom Gunther von Hagens die umstrittene, aber äußerst erfolgreiche Wanderausstellung „Körperwelten“ initiierte, in der er der breiten Öffentlichkeit erstmals einen Blick ins Innere menschlicher Körper ermöglichte und Anatomie sichtbar machte.

    Es gibt europaweit keine einheitliche Regelung, wie mit menschlichen Präparaten umzugehen ist

    Marion Ruisinger, die Leiterin des Medizinhistorischen Museums, erklärt, warum sie sich für das doch recht spezielle Ausstellungsthema entschieden hat: Vor zwei Jahren sei sie auf einer internationalen Tagung gewesen und schon damals sei man in jeder Diskussion irgendwann zur Frage des Umgangs mit menschlichen Präparaten gekommen. Eine Antwort darauf erhält man Ruisingers Ansicht nach allerdings nur, wenn man die Präparate in einer Ausstellung thematisiert und die Besucher anschließend dazu befragt. Und genau das geschieht nun Ingolstadt. Die Ausstellung gibt keine Antworten, sie wirft Fragen auf. Deshalb gebe es auch keinen Ausstellungskatalog, sagt die Museumsleiterin, sondern: Am Ende des Rundgangs sollen die Besucher an einer Online-Befragung teilnehmen. Die Antworten werden von einer Studentin in ihrer Bachelorarbeit ausgewertet. Nächstes Frühjahr soll das Ergebnis dann in einem Dokumentationsband veröffentlicht werden. Ruisinger hofft, dass andere Museen die Dokumentation als Empfehlung nutzen können und künftig vielleicht selber Befragungen durchführen, sodass mittelfristig ein Leitfaden entstehen kann.

    Marion Ruisinger hat „Ansichtssache“ nicht alleine konzipiert. Die Ausstellung entstand in Kooperation mit anderen Wissenschaftlern: Udo Andraschke von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, Thomas Schnalke vom Berliner Medizinhistorischen Museum der Charité und Stephan Schwan vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in Tübingen. Wie sie sagen, hätten auch sie über die Art und Weise der Ausstellung der Exponate viel diskutiert. Wie uneinig sich die Fachwelt in dem Thema ist, zeigen jüngste Entwicklungen. In Deutschland ist der Umgang nicht gesetzlich geregelt. Dennoch habe das Museum Anatomicum in Marburg seine Pforten bis auf Weiteres geschlossen und sei nur noch für Fachpublikum zugänglich, erzählt Andraschke. Derweil setzt sich der langjährige Schwabinger Leichenpräparator Alfred Riepertinger Medienberichten zufolge für ein neues Medizinhistorisches Museum in München ein. In England ist die Entnahme, Lagerung und Verwendung von menschlichem Gewebe seit 2004 im „Human Tissue Act“ geregelt. So sind im Hunterian Museum in London menschliche Präparate zu sehen - fotografieren darf man sie allerdings nicht. In Spanien hat das Kulturministerium erst vor ein paar Tagen entschieden, dass aus ethischen Gründen keine menschlichen Überreste mehr gezeigt werden sollen, was zur Folge hat, dass staatliche Museen beispielsweise ihre Mumien ins Lager verbannen müssen.

    Medizinhistorisches Museum Ingolstadt: Keine Präparate aus NS-Zeit

    Wie man mit den großen anatomischen und pathologischen Lehrsammlungen, die in den letzten Jahrhunderten entstanden sind, umgehen soll, ist unter anderem deshalb derart umstritten, weil zahlreiche Objekte sehr alt sind und die Menschen, zu denen sie gehörten, nicht mehr um Erlaubnis gebeten werden können, wie Schnalke erläutert. Hinzu kommt, dass viele Präparate aus sogenannten Unrechtskontexten stammen, das heißt, aus Zeiten des Kolonialismus, des Nationalsozialismus oder von politischen Hinrichtungen während der DDR. Hier helfe nur eine Herkunftsrecherche zu jedem einzelnen Objekt, so Schnalke. Natürlich stelle man in Ingolstadt keine Exponate aus Unrechtskontexten aus, betont Ruisinger.

    Sie haben die Ausstellung konzipiert (von links): Thomas Schnalke, Marion Ruisinger, Udo Andraschke und Stephan Schwan.
    Sie haben die Ausstellung konzipiert (von links): Thomas Schnalke, Marion Ruisinger, Udo Andraschke und Stephan Schwan. Foto: Dorothee Pfaffel

    Die Wissenschaftler, die alle nach Ingolstadt gekommen sind, um ihre Ausstellung zu eröffnen, sind sich bewusst, dass es sich um ein schwieriges Thema handelt. Sie haben sich bemüht, sensibel damit umzugehen. Eine Altersbeschränkung oder ein Fotoverbot gibt es bewusst nicht. Auch keine Warnung vor besonders heiklen Objekten wie den siamesischen Zwillingsbabys oder fetalen Fehlbildungen - denn so würde man das Ergebnis der Befragung verfälschen, meint Ruisinger. Die Museumsleiterin selbst hat eine klare Meinung: „Man kann alles zeigen, aber es kommt auf den Zusammenhang an. Menschen haben ein Recht darauf, ihre eigene Anatomie kennenzulernen.“

    Rahmenprogramm

    Die Sonderausstellung läuft bis 11. Januar. Das Museum ist Dienstag bis Sonntag, jeweils von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Es gibt auch ein Rahmenprogramm mit kostenlosen Vorträgen (vor Ort und über Zoom), die immer um 19 Uhr beginnen und circa 90 Minuten dauern:

    • 23. April: Präparator Alfred Riepertinger (München)
    • 14. Mai: Pathologe Patrick Adam (Ingolstadt)
    • 2. Juli: Anatom Michael Scholz (Erlangen)
    • 23. Juli: Kuratorin Sara Doll (Heidelberg)
    • 22. Oktober: Medizinhistoriker Fritz Dross und Tim Goldmann (Erlangen)
    • 19. November: Anatom Lars Bräuer (Erlangen)
    • 1. Juni bis 14. September: Intervention I: Gestrickte Anatomie mit Katharina Sabernig (Wien)
    • 2. Oktober bis 11. Januar: Intervention II: PräparA(r)te mit Thomas Neumaier (Ingolstadt)
    Noch weitere Herzen sind in der Ausstellung zu sehen.
    Noch weitere Herzen sind in der Ausstellung zu sehen. Foto: Dorothee Pfaffel
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