Ein krasser Gegensatz
Der Kammerchor Oettingen singt die „Zigeunerlieder“ von Johannes Brahms. Werner Eisenschink referiert, wie Sinti und Roma im Dritten Reich verfolgt wurden
Der Kammerchor Oettingen hat mit seinem Konzert einen krassen Spagat gewagt. Den hochemotionalen, romantischen „Zigeunerliedern“ aus der Feder des feinfühligen Johannes Brahms stand ein wissenschaftlicher Vortrag des Historikers Werner Eisenschink über die gnadenlose Verfolgung der Sinti und Roma im Dritten Reich gegenüber. Eine große Zuhörerschar – der Saal des Evangelischen Gemeindehauses konnte die Besucher kaum fassen – erfuhr viele Einzelheiten über die Verfolgung dieses nach Lesart der Nazi-Rassenlehre unwerte Leben und über die radikale, verantwortungslose Beeinflussung der Bevölkerung durch die nationalsozialistischen Herrscher.
Das Wissen über die Verachtung und die pseudowissenschaftlich begründete Vernichtung einzelner Menschengruppen im Nazireich ist im Zusammenhang mit der Erinnerung an das Reichspogrom 1938 sicher von großer Bedeutung. Die Zuhörer erlebten allerdings in dieser Kombination, in welchen unterschiedlichen Welten und mit welchem, oft verächtlichen, öffentlichen Ansehen die Sinti und Roma leben mussten. Johannes Brahms griff das Thema auf, als man das Zigeunerleben romantisierte. Tanz und Musik, vermeintlich lustiges Leben und große Freiheit, Liebe und Lagerfeuer weckten bei den Leuten Sehnsüchte und Lust auf Abenteuer. Schon allein die Titel der Lieder gaben Kunde darüber, was die Menschen der Zeit vor 1900 von diesem Völkchen hielten, das immer wieder in den Dörfern auftauchte und über Nacht wieder verschwand. Ihr ungebundenes Leben war in ihren Augen bestimmt von Musik „He, Zigeuner, greife in die Saiten!“, und Tanz „Brauner Bursche führt zum Tanze“, von Liebe „Röslein dreie in der Reihe“ und Natur „Brennnessel steht an Weges Rand“. Im Grunde ist dies eine Sammlung von Liebesfreud und Liebesleid, Liebesschwüren und Abschiedsschmerz, die wesentlichen Themen der romantischen Empfindungen. Sie bietet die Gelegenheit, die ganze Bandbreite lyrischer Stimmungen musikalisch einzufangen, empfindsame Ruhe und schmerzliches Leiden gestatten äußerstes Pianissimo und lautstarkes Klagen. Es waren sicher nicht nur die nüchternen und aufrüttelnden Schicksale der Zigeuner in der von Eisenschink geschilderten schlimmen Zeit, sondern vor allem die schwierige Harmonik mit chromatischen und schwer beladenen Akkorden, die einen Chor leicht überfordern können, und vielleicht auch die schüchterne Furcht vor allzu großer Emotionalität, dass das Wesen romantischen Ausdrucks nicht voll ausgeschöpft wurde. Sicher spielten dabei auch die räumlichen und akustischen Bedingungen eine Rolle.
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