Die Produktion bei der Brauerei und dem Getränkehersteller Oettinger ist am Dienstag stillgestanden. Rund 200 Beschäftigte legten die Arbeit nieder und beteiligten sich von zwölf bis 16 Uhr am Warnstreik. Dazu aufgerufen hatte die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Aktuell laufen Tarifverhandlungen zwischen Oettinger und der Gewerkschaft über den
Haustarifvertrag, der für alle Standorte des Unternehemens gilt.
Auch in Mönchengladbach und Braunschweig waren die Beschäftigten deshalb zum Streik aufgerufen. Der Interessengegensatz der laufenden Tarifverhandlungen ist besonders groß: Denn die NGG hatte zum 31. Mai den Entgelttarifvertrag gekündigt, da sie 6,6 Prozent mehr Entgelt sowie 200 Euro mehr für alle Auszubildenden fordert. Die Geschäftsführung hingegen hat den Manteltarifvertrag gekündigt und will die Arbeitskonditionen im Sinne der Wettbewerbsfähigkeit anpassen. Aus Sicht der Gewerkschaft und der Beschäftigten handelt es sich dabei um deutliche Verschlechterungen.
Das wurde bei der Kundgebung an der Braustätte Süd in fast allen Redebeiträgen deutlich. Es sprachen dort Laura Schimmel (Geschäftsführerin der NGG-Schwaben), Oliver Bosch (Betriebsratsvorsitzender), Wolfgang Peitsch (DGB-Gewerkschaftssekretär) und Markus Köbe (Betriebsratsvorsitzender bei den Neuburger Milchwerken). Bosch, der auch als Mitglied der Tarifkommission bei der ersten Verhandlungsrunde am 4. Juni dabei war, sagte: „Wir sind schon in vielen Tarifverhandlungen gesessen – aber das war eigentlich ein Fiasko.“ Nachdem die Gewerkschaft ihre Forderung nach mehr Entgelt vorgetragen habe, habe die Arbeitgeberseite diese nicht nur vollständig abgelehnt, sondern darüber hinaus die Verschlechterungen des Manteltarifvertrags gefordert. Oettinger wolle demnach eine 40-Stundenwoche statt der bisherigen 38-Stundenwoche einführen, so die NGG. Außerdem soll die bezahlte Pause im Schichtbetrieb wegfallen. Für einen Schichtarbeiter (in Tarifgruppe sechs) bedeute dies, so Schimmel, 13 Tage unbezahlte Mehrarbeit. Außerdem soll das Weihnachtsgeld gekürzt werden und der tarifliche Kündigungsschutz für ältere Mitarbeiter verschlecherter werden - für Beschäftigte ab dem 52. Lebensjahr und bei mehr als elf Jahren Betriebszugehörigkeit. Mitarbeiter ab 60 Jahren und mit einer Betriebszugehörigkeit von zehn Jahren haben bislang 15 zusätzliche Urlaubstage - auch diese sollen laut der Gewerkschaft gestrichen werden. Des Weiteren soll der Anspruch auf Haustrunk halbiert werden, also der Anspruch auf Freigetränke, die die Mitarbeiter mit nach Hause nehmen dürfen. In Summe seien dies „massive Verschlechterungen“, meinte Schimmel, „das ist natürlich kein Zeichen von Wertschätzung und Anerkennung“. Und weiter: „Oettinger muss merken, dass die Belegschaft am Verhandlungstisch sitzt. Wenn Verhandlungen so laufen, dann macht die Gewerkschaft genau das: streiken.“
Oettinger-Sprecherin: Streik ist kontraproduktiv
Wie blickt die Geschäftsführung auf den Streik? Eine Unternehmensssprecherin teilt mit, dass man nach der ersten Verhandlungsrunde „weiterhin im produktiven Gespräch mit der NGG“ sei. „Vor dem Hintergrund der allgemeinen Branchenentwicklung und unserer darauf aufbauenden strategischen Neuausrichtung ist ‚Streik’ als aggressiver Verhandlungsakt jedoch kontraproduktiv. Die Inhalte der Verhandlungen sind vertraulich. Daher äußern wir uns natürlich nicht dazu.“ Zum gekündigten, aber momentan trotzdem noch geltenden Tarifvertrag heißt es weiter: „Er ist über 20 Jahre alt und in vielen Punkten weder zeitgemäß noch zielführend, um als Unternehmen wettbewerbsfähig bleiben zu können.“ Gegenüber unserer Zeitung sagt Betriebsratsvorsitzender Oliver Bosch: „Die Situation ist angespannt, nachdem die Arbeitgeber uns kein Angebot zur Lohnerhöhung auf den Tisch gelegt haben. Die Mitarbeiter haben kein Verständnis dafür. Es betrifft hauptsächlich Schichtarbeiter, ältere und langjährige Mitarbeiter.“ Seiner Berechnung nach könne sich die versteckte Lohnkürzung für einen Drei-Schicht-Arbeiter monatlich auf 450 Euro belaufen. „Das ist überhaupt nicht akzeptabel“, so Bosch. Die Belegschaft habe gute Arbeit gemacht und Krisen wie die Pandemie und zuletzt einen Cyberangriff gemeistert – und jetzt solle sie so „abgewatscht“ werden. Andreas Husel, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender sagt zum Streik: „Es ist die Reaktion darauf, dass die Arbeitgeber uns kein Angebot gemacht haben. Ich sehe das leider als Auftakt zu einer längerfristigen Auseinandersetzung.“ Ein anderer Beschäftigter, Anton Kohler, meint: „Wir sind alle total frustriert.“ Er sehe nicht ein, dass den Mitarbeitern das alles weggenommen werde. Mitarbeiter Sandor Zoboki meint: „Ich verstehe nicht, wieso wir das alles aufgeben sollen, wenn es dem Unternehmen so gut geht, wie die Geschäftsleitung uns sagt.“
NGG: Oettinger ist profitabel
Laut NGG schrieb das Unternehmen trotz Absatzrückgang 2023 und 2024 schwarze Zahlen, sei also profitabel gewesen. Oettinger produziert Bier, Biermixe und klassische alkoholfreie Getränke wie Limos, Eistees und Fassbrausen. Seit der Neuausrichtung vor zwei Jahren setzt es verstärkt auf neue alkoholfreie „funktionale Getränke“, die einen Zusatznutzen bieten. Wie die Unternehmenssprecherin hervorhebt, sei Oettinger nach wie vor ein familiengeführtes Unternehmen und nicht Teil eines Großkonzerns wie AB InBev oder Heineken. Die nächste Verhandlungsrunde bei Oettinger steht am 8. Juli an.
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