Auf Tuchfühlung mit dem Tod
Hunderte Läufer jagen jedes Jahr durch die Altstadt von Pamplona - immer die Stiere im Rücken. Auf Tuchfühlung mit dem Tod. Von Ralph Schulze
Von Ralph Schulze
Pamplona - Wenn die Herde angedonnert kommt, warnt Carmelo Orduna die Neulinge, "dann musst du in der Mitte der Gasse laufen. Nicht umdrehen. Immer nach vorne gucken, um Stürze zu vermeiden." Kein einfaches Unterfangen, wenn man die rund 500 Kilo schweren Kampfbullen mit ihren spitzen Hörnern hinter sich schnauben hört.
"Du musst die Spannung aushalten", sagt der Stierhatz-Veteran Orduna, der seit vielen Jahren beimberühmtesten Stiertreiben der Welt in der nordpanischen Stadt Pamplonadabei ist. Punkt acht Uhr morgens geht es los. Eine Rakete steigt in den Himmel der 200.000-Einwohner-Stadt. Die schweren Tore, hinter denen die Kolosse schonwütend mit den Hufen scharren, springen auf. Zuerst stürmen sechs weißbrauneLeitbullen, mit Glocken am Hals, heraus. Dahinter sechs fast pechschwarzeund ziemlich feurige Kampfstiere. Hunderte Läufer, die mozos, mit weißen Hosen, weißen Hemden und roten Halstüchern, setzten sich johlend in Bewegung. Vor, neben und hinter der Herde. Auf Tuchfühlung mit dem Tod.
Plötzlich stürzen mehrere dieser sich auch gegenseitig rempelnden mozos: Bleiben auf dem Pflaster liegen. Schützen ihre Köpfe mit Händen und Armen.Warten regungslos, bis die Meute vorbei ist. Zweieinhalb Minuten dauert die lebensgefährliche Stierjagd über knapp einen Kilometer durch die enge Altstadt. Vorbei an zehntausenden schreienden Zuschauern, die hinter Barrikaden und auf Balkonen stehen. Am Abend werden die sechs Kampfbullendann von professionellen toreros in der Stierkampfarena getötet.
Dieses Mal geht das Stiertreiben zu Ehren des Stadt-Schutzheiligen San Fermin vergleichsweise harmlos aus. Nur ein paar Knochenbrüchen und Dutzende Prellungen. Das ist normal, sagen die Organisatoren dieser fiesta.Niemand wurde aufgespießt, keine Toten. Nur vier Verletzte im Krankenhaus,darunter zwei lebensmüde Möchtegern-Stierkämpfer aus den USA und ausSchottland. Dafür mussten die Sanitäter in der Nacht zuvor 350 Besucherdieses feuchtfröhlichen Stierkampfestes behandeln. Meist wegenAlkoholvergiftung oder Stürzen im volltrunkenen Zustand.Das insgesamt achttägige und schon jahrhundertealte Spektakel lockt mehr als 500.000 Touristen aus aller Welt an. Noch bis zum 14. Juli werden jeden Morgen die Stiere losgelassen. Jedes Jahr protestieren Tierschützer gegendiese größte Stierquälerei der Welt. _Pamplona: Blut, Folter und Tod, steht auf Plakaten, welche Demonstranten in die Höhe recken.
Thomas Schrödervom Deutschen Tierschutzbund spricht von einer als Kulturtraditiongetarnten Qual. Spanien sei Schlusslicht des Tierschutzes in Europa.Jährlich würden in dem EU-Land mindestens 30.000 Stiere zu Tode gequält.Doch auch die Proteste können die Popularität dieser Stier-Volksfeste kaummindern. Spaniens König Juan Carlos ist ein großer Stierkampf-Fan. Und deramerikanische Schriftsteller Ernest Hemingway hat mit seinem euphorischenRoman Fiesta dafür gesorgt, dass Pamplonas Stiertreiben in derenglischsprachigen Welt legendären Ruhm hat. Wohl auch deswegen befindensich Amerikaner besonders häufig unter den Opfern.
In den letzten Jahrzehnten gab es tausende Verletzte, 14 Menschen kamen bei der Stierhatz um. Die bisher letzten Todesopfer: 1995 wurde ein Amerikaner aufgespießt, 2003 starb ein Spanier.
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