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Berlin: Auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof herrscht die große Freiheit

Berlin

Auf dem stillgelegten Flughafen Tempelhof herrscht die große Freiheit

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    Der stillgelegte Flughafen Tempelhof dient vielen Berlinern als Erholungszone. Das könnte bald ein Ende haben.
    Der stillgelegte Flughafen Tempelhof dient vielen Berlinern als Erholungszone. Das könnte bald ein Ende haben. Foto: Jan-henrik Dobers

    Wenn der Wind das Segel am Skateboard von Michael Bineck erfasst, dann breitet sich auf dem Gesicht des 42-Jährigen ein zufriedenes Lächeln aus. Endlich ist sie da, die frische Brise an diesem lauen Sommerabend. Der Landsurfer hat darauf gewartet. Sein Brett beginnt auf dem warmen Asphalt zu rollen. Es rollt mit ihm auf dem Flugfeld des im Jahr 2008 stillgelegten Berliner Flughafens Tempelhof in Richtung Horizont.

    Wohnungen und Gewerbe sollen  Geld in die Kasse bringen

    Seit Mai 2010 darf jeder Bürger das Rollfeld kostenlos betreten, ein Stückchen Freiheit auf knapp 300 Hektar mitten in der Hauptstadt. „So oft ich Zeit habe, komme ich hierher“, sagt Bineck. Die Berliner nutzen das Tempelhofer Feld mittlerweile für ganz unterschiedliche Aktivitäten. Jogger findet man neben Yoga-Gruppen, junge Familien kommen zum Picknicken und Sportbegeisterte lassen sich mit Skateboard und Fallschirm auf den Start-und-Lande-Bahnen in die Höhe treiben. Aber auch Entspannung finden viele, die sich auf einem Fleckchen Grün einfach mit ihrer Picknickdecke niederlassen.

    Doch nun möchte die Wirtschaftssenatorin Berlins, Cornelia Yzer (CDU), die Fläche kommerziell nutzen und darauf Wohnungen und Gewerbe ansiedeln. Die Nutzer des Feldes sind über die Pläne empört und sehen sich schon jetzt in ihrer Freiheit eingeschränkt. Eine Freiheit auf einem alten Flughafengelände, die in Europa in dieser Form einzigartig ist.

    Das erste Mal auf dem Feld, das war für Michael Bineck kurz nach der Eröffnung. „Ich bin mit Freunden mal zum Schauen hierhergekommen. Das war ja alles neu für uns“, sagt der 42-Jährige. Ein bisschen später erkundete er dann das riesige Areal als Landsurfer. Den großen Vorteil, den er sieht: In der Stadt brauche man nach dem Surfen nicht den Sand aus den Schuhen pusten und muss sich gegen die Kälte auch nicht mit einem Neoprenanzug schützen.

    "Krass, was man hier alles machen kann"

    Mittlerweile ist die Gemeinde der Landsurfer und -kiter und Lenkdrachenbesitzer auf dem Feld auf etwa 500 Menschen angestiegen. Sie kommen regelmäßig und treffen sich meist nach Feierabend in der Nähe des Osteingangs. „Ein Bierchen in der Hand und den Sonnenuntergang genießen, deswegen sind viele hier.“

    „Dit is einfach krass, was man hier alles machen kann“, sagt Bineck in schönstem Berliner Dialekt. In Sichtweite liegt eine Art Kleingartensiedlung. Auf einer Fläche können sich Bürger ein paar Quadratmeter pachten und etwas anbauen. Versteckt zwischen hochragenden Sonnenblumen, tiefgrünem Schnittlauch und duftenden Tomaten trifft man die Schweizer Eric Devanthery, seine Frau Rachel Gordy und ihren Sohn Sven. Sie wohnen im angrenzenden Neukölln und haben selbst keinen eigenen Garten. „Mit dem Kind ist das hier wunderbar, und es ist ein schönes Miteinander rundherum“, sagt Devanthery.

    Auf ihrer Picknick-Decke liegen Forelle, Radieschen, Olivenpastete und es gibt französischen Weißwein. Der 21 Monate alte Sven erkundet krabbelnd die Umgebung. „Das ist hier alles so locker und unverbindlich“, sagt Katharina Stalder, eine Freundin der Schauspielerin und des Theaterregisseurs.

    Die Wirtschaftssenatorin will eine „ökologische Modellstadt“

    Ob das so bleibt und sich die Künstler-Familie auch in Zukunft abends noch ein Plätzchen im Grünen suchen kann, steht aber in den Sternen. Wirtschaftssenatorin Yzer hat angekündigt, das Tempelhofer Gelände zu einer „Smart City“ umgestalten zu wollen. Ihrer Vorstellung nach könnte dort eine „ökologische Modellstadt“ entstehen. Das sorgt derzeit für hitzige Diskussionen.

    Viele fragen sich: Wie würde so etwas aussehen? „Die Ränder der riesigen Freifläche sollen bebaut werden. Dabei geht es sowohl um Wohn- als auch Gewerbenutzung“, sagt Alexander Dennebaum, Sprecher der Wirtschaftssenatorin. Wenn es verträglich sei, könne man sich auch eine Mischung aus beidem vorstellen. Die Freiflächen in der Stadt, auf denen Gewerbe angesiedelt werden könnte, seien wichtige Bestandteile für die Entwicklung des Wirtschaftsstandorts Berlin. „Neueste Technologien wie intelligente Energie- und Heizsysteme, Vernetzung über IT, Logistiklösungen oder Elektromobilität sollen in Tempelhof zum Einsatz kommen.“ Damit die Pläne aber realisiert werden könnten, betont Dennebaum, benötige man auch private Investoren, denn Berlin fehlt für ein solches Projekt das Geld.

    Gegner arbeiten an Volksbegehren für den Erhalt der Freifläche

    Dennebaum nimmt den Gegnern aber auch ein bisschen Wind aus den Segeln. Gleichzeitig solle eine große Freifläche für die Berliner erhalten bleiben: Alles in allem könnte nach den Vorstellungen der Senatsverwaltung „eine Referenzstadt entstehen, bei der andere Metropolen sehen, wie eine Stadt der Zukunft funktionieren kann“.

    Ganz und gar nicht begeistert von den Plänen ist die Bürgerinitiative „100 Prozent Tempelhofer Feld“. Diese arbeitet im Moment an einem Volksbegehren für den Erhalt der Freifläche im jetzigen Zustand. Wenn man deren Sprecher, Julius Dahms, fragt, dann hat er nur einen Seufzer übrig. Weil der Senat ein solches Projekt erst einmal nicht auf dem Flughafengelände Tegel realisieren kann, suche man nun einen neuen Weg. Denn der neue Flughafen Berlin-Brandenburg ist noch nicht fertig und wird auch nicht vor Anfang 2015 in Betrieb genommen. Deswegen bleibt Tegel weiter in Betrieb. „Bei uns gehen die Alarmglocken an.“

    Die Bürgerinitiative fordert, dass der jetzige Charakter des Feldes erhalten bleiben soll. „Vor allem die große Wiesenfläche. Wenn gebaut wird, muss auch wieder neues Grün geschaffen werden“, sagt Dahms. Wünschen würde sich der Verein, dass die Stadt mehr Bäume pflanzt und das Sportangebot ausbaut. Man könnte etwa eine Landkite-Schule einrichten. Auch eine „fliegende Gastronomie“, also mobile Verkaufsstände, schwebt Dahms vor. Dahms, der am Institut für Luft- und Raumfahrttechnik in Berlin arbeitet, unterstreicht auch die Bedeutung des Feldes für das Stadtklima: „Hier wird Berlin durchlüftet.“

    Das Flughafengebäude wird schon jetzt vermietet

    Die Stadt sieht dennoch vor allem ein großes Entwicklungspotenzial auf dem alten Flughafengelände, besonders bei dem stillgelegten Gebäude. Dieses wird bereits jetzt vermietet, etwa an die Veranstalter der Modemesse „Bread and Butter“. Auch historische Führungen werden dort angeboten. Im kommenden Jahr ist Tempelhof zudem einer von weltweit zehn Austragungsorten der neuen Rennserie „Formel E“. Um noch mehr Einnahmen zu generieren, will die Senatsverwaltung nun die Vermietung des Geländes weiter „professionalisieren“.

    Dass mit neuen Wohnungen und neuem Gewerbe in den Bezirken rund um Tempelhof die Mietpreise sinken werden, bezweifeln die Gegner. Die zu errichtende Infrastruktur würde Millionen verschlucken, meinen sie und sehen den „einzigartigen Charakter“ bedroht.

    Bis jetzt bleibt erst einmal alles, wie es ist. Bald soll auch ein kleiner See auf dem Gelände entstehen. Michael Bineck kommt nach Feierabend weiter zum Landkiten und Eric Devanthery und seine Familie picknicken auch in Zukunft in einer kleinen Gartenparzelle. Sie alle hoffen jedoch, nicht eines Tages ihrer Freiheit beraubt zu werden. „Du wirst von keinem, der hier Sport treibt oder sich entspannt, jemals hören: Es wäre toll, wenn die hier bauen“, sagt Michael Bineck und fährt mit Skateboard und Segel in Richtung der untergehenden Sonne.

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