Bittersüß und holzig: Sommerduft aus kleinen braunen Gläschen
In den warmen Monaten wirbeln viel mehr Geruchsmoleküle durch die Welt als sonst. Viele davon lösen in uns Wohlbefinden aus. Genau diesen Effekt nutzen Parfümeure.
Nach einer Stunde duftet der Raum nach Sommer. Eine Woge frischer Meeresluft mischt sich mit dem runden Dunst von Sonnencreme, ein bitterer Hauch von Algen liegt über dem holzigen Geruch von Strandbadematten, dazwischen leuchtet die süße Schwere von prächtigen Jasminblüten.
Die zwei Parfümeurinnen Dalia Izem und Caroline Ivanica schichten die unscheinbaren braunen Fläschchen zurück in einen Karton. Die Papierstreifen auf dem Tisch verbreiten das Aroma der ätherischen Öle, die an ihren Spitzen kleben. Der Geruch von Meer und Blumen schwappt durch die Tür hinaus in die Flure des Parfümöl-Herstellers „Drom Fragrances“ in Baierbrunn bei München.
„So riecht der Sommer für mich“, sagt Dalia Izem, „ein Sommer irgendwo am Mittelmeer.“
Hunderte Duftstoffe, gelagert in Gläschen
Ihre Kollegin Caroline Ivanica lächelt. „Mein Sommer riecht nach Land“, sagt sie. „Nach Ernte, flirrend heißer Luft und Lagerfeuer.“
Die junge Frau zieht den Karton zu sich heran, schiebt ein paar Fläschchen hin und her, nimmt eines heraus und greift nach einem noch unverbrauchten Papierstreifen.
Fast 500 Kilometer Luftlinie entfernt sitzt Hanns Hatt in seinem Büro in Bochum. „Jeder Mensch hat eine andere Duftvorstellung von Sommer“, sagt er. Vier akademische Titel hat der Mann, und einen populären haben ihm die Medien noch dazu verpasst: Prof. Dr. Dr. Dr. med. Hanns Hatt wird gerne auch „Deutschlands Duftpapst“ genannt.
Der gebürtige Illertisser wohnt in Dillingen an der Donau und ist Biologe, Mediziner, Chemiker und Inhaber des Lehrstuhls für Zellphysiologie der Ruhr-Universität Bochum. Er erforscht die Geruchsrezeptoren des Körpers – und wie und wovon sie beeinflusst werden können. Zwischen zwei Terminen hat er sich die Zeit für ein Telefongespräch genommen – über den Duft des Sommers.
Heißer Teer, Rauch und trockenes Holz
„Gerüche haben viel mit Erinnerungen zu tun“, sagt er. „Das Gehirn verknüpft Gefühle stark mit dem Duft bestimmter Situationen, die wir erlebt haben.“ Für ihn persönlich, sagt Hatt, rieche der Sommer deshalb auch ein bisschen nach heißem Teer. „Irgendwie wurde in meiner Kindheit im August immer irgendwo eine Straße asphaltiert.“
Caroline Ivanica, die Parfümeurin in Baierbrunn, ist in einem kleinen Dorf in Niederbayern aufgewachsen, „bei Landshut“, sagt sie. Dann taucht sie die Spitze des Papierstreifens in das Fläschchen vor sich. Den Tropfen, der daran kleben bleibt, streift sie am Glasrand ab. Sie wedelt das Papier auf und ab, hält es sich unter die Nase, schnuppert und grinst. „Patschuli“, sagt sie, „mein Hauch von Lagerfeuer.“
Rauchig riecht das Öl und ein bisschen muffig, nach trockenem Holz und Erde. Es wird durch Wasserdampfdestillation aus den Blättern der indischen Patschuli-Pflanze gewonnen – einem Krautgewächs mit filzigen violetten Blüten. Ein solches Öl allein macht aber noch keinen Sommer. „Es kommt auf die Kombination der Düfte an“, sagt Caroline Ivanica.
Moleküle flirren wie Staubkörnchen umher
„Die meisten Gerüche bestehen aus Kombinationen von vielen verschiedenen Duftmolekülen“, sagt auch Hanns Hatt. Für das menschliche Auge nicht sichtbar, flirren die Moleküle wie winzige Staubkörnchen umher, wirbeln durcheinander und vermischen sich. So entstehen aus einzelnen Bestandteilen unendlich viele Kombinationen von Gerüchen.
Wenn sie mit der Atemluft durch unsere Nasen fließen, docken einige von ihnen an den dortigen Geruchsrezeptoren an – und lösen Reize aus, die in unserem Gehirn für Veränderungen sorgen. Oft werden so bewusste Erinnerungen wach. Viel häufiger noch, sagt Hatt, lösen die Duftstoffe in uns aber Prozesse aus, die wir bewusst überhaupt nicht zuordnen können.
Der Trick mit dem Gefühl von Sauberkeit und Schönheit
Hersteller von Shampoo und Deodorant, Geschirrspülmittel und Weichspüler nutzen diesen Effekt. Durch den Geruch ihrer Produkte sollen wir uns sauber, schön, glücklich und entspannt fühlen. Die Parfümeure von „Drom Fragrances“ entwickeln diese Duftnoten für etwa 400 Designermarken auf der ganzen Welt. Die Firma ist in 43 Ländern vertreten. Ihren Hauptsitz aber hat sie in Baierbrunn im Süden von München.
Die Papierstreifen auf dem Schreibtisch vor den beiden Parfümeurinnen enthalten einige der Zutaten, die für Westeuropäer den als typisch empfundenen Geruch von Sommer entstehen lassen: „Carleone“, ein synthetischer Rohstoff, leicht salzig und frisch, flattert wie das Rauschen des Meeres. „Ylang-Ylang“, gewonnen aus den gelblichen Blüten eines immergrünen indonesischen Baumes, sprüht voll blumiger und exotischer Wärme. Orangenöl, abgezapft aus den Schalen der süßesten aller Zitrusfrüchte, schmeichelt zuckrig und rund.
Die im Labor erschaffenen „Hexenyl Salicylate“, der beschützende Duft von Sonnencreme, gesellt sich wachsig und ein bisschen fettig dazu. Balsamöl liegt mit einer holzigen Schwere in der Luft wie nasse Bastmatten am Strand.
Ausgebildet an französischen Schulen für die Sinne
Blätter oder frisches Gras, Kiwi, Apfel oder Mango, Vanille, Minze, Zitrone oder Kokos: Etwa viertausend verschiedene Duftstoffe stehen den Parfümeuren als Zutaten für ihre Rezepte zur Verfügung. Das Handwerk für ihren Beruf lernen die meisten von ihnen in Frankreich. Die 32-jährige Dalia Izem etwa, die in Algerien aufgewachsen ist, hat nach ihrem Chemiestudium bei „Isipca“, dem „Institut Supérieur International du Parfum de la Cosmétique et de l’Aromatique“ in Versailles ihre Geruchssinne geschult.
Ihre 28-jährige Kollegin Caroline Ivanica lernte im Anschluss an ihr Pharmaziestudium ein Jahr in Grasse – der Stadt, die der Autor Patrick Süskind 1985 in seinem Buch „Das Parfum“ dem genialen Parfümeur und Serienmörder Jean-Baptiste Grenouille zur Lernstätte werden ließ.
„Und mitten in sie hinein ging der Duft, direkt ans Herz, und unterschied dort kategorisch über Zuneigung und Verachtung, Ekel und Lust, Liebe und Hass“, heißt es in dem weltberühmten Werk über die Macht der Gerüche. Hanns Hatt beschreibt das, knapp 30 Jahre später, in seinem „Kleinen Buch vom Riechen und Schmecken“ etwas prosaischer: „Visuelle Eindrücke wirken intensiver und bleiben besser im Gedächtnis, wenn Gerüche hinzukommen.“ Und: „Der Geruch aktiviert dabei oft die gleichen Gehirnregionen wie ein Bild.“
Papierstreifen auf dem Tisch, den Sommer im Kopf
Im Sommer duftet die Welt intensiver als im Winter. Die Wärme wirbelt die Luft auf – und mit ihr die unsichtbaren Moleküle, die unser Denken und Fühlen lenken.
Wer die Augen schließt und tief einatmet in dem schlichten Raum in Baierbrunn, riecht matte Wärme neben prickelnder Frische, salziges Wehen und blumige Schönheit, holzige Beständigkeit und süßes Abenteuer. Man riecht das Leuchten der Sonne, das Rauschen der Wellen, den Sand auf seiner Haut und das Salz auf seinen Lippen.
Man riecht das, was für die meisten Menschen einen Urlaub am Meer ausmacht. Man riecht den Sommer – und all das nur mit Hilfe von ein paar feuchten Papierstreifen und einer Portion Fantasie.
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