Brückenunglück von Genua: Wer ist schuld? Wie geht es weiter?
Nach dem Brückenunglück suchen die Menschen Antworten. Vor allem die, die ihr Zuhause räumen mussten. Es brodelt zwischen Regierung und Autobahngesellschaft.
Es war am Dienstag, als Ennio Guerci sich mit den anderen Verzweifelten aus der Via Porro aufraffte, um denen da oben einmal klar die Meinung zu sagen. Die Gruppe der Evakuierten hatte Schilder zur gemeinsamen Sondersitzung der Landesregierung und des Stadtrats in Genua mitgebracht. „Kein Abriss ohne eine Lösung für uns!“, stand auf ihnen geschrieben. Oder: „Wir fordern Antworten!“ Antworten darauf, wie es weitergeht für die 558 Menschen, die ihre Wohnungen direkt unter den wankenden Resten der Morandi-Brücke räumen mussten. Das Viadukt war am 14. August auf einer Länge von 200 Metern eingestürzt, 43 Menschen starben.
Ja, sie wollten Antworten, sagt Guerci, der Sprecher der Evakuierten aus der Via Porro. „Wann wollen sie abreißen? Wer bezahlt? Wir leben im Fegefeuer und halten es einfach nicht mehr aus, nicht zu wissen, wann wir zurück können“, sagt Guerci. „Ich bin 68 Jahre alt und diese Geschichte hat mein Leben zerrissen.“ So ähnlich sprechen auch die anderen Betroffenen, die vor allem eine gemeinsame Wut vereint. Die Rede sei vom Wiederaufbau, von aufzulösenden Verkehrsstaus, von betroffenen Firmen und Konzessionen. „Aber an erster Stelle stehen wir“, sagt ein anderer Anwohner aus der Via Porro. Ob die 300 Familien jemals in ihre Wohnungen zurückkehren können, ist offen. Einige Wohnblöcke müssen wohl abgerissen werden. 33,5 Millionen Euro stellte die Regierung in Rom bislang als Nothilfe bereit.
Brückenunglück von Genua: Behörden und Politiker unter Druck
Beim Staatsbegräbnis für einige der Todesopfer des Brückeneinsturzes vor gut zwei Wochen bekamen die Vertreter der Regierung Applaus. Inzwischen geraten Behörden und Politiker zunehmend unter Druck. Die Räumarbeiten im Polcevera-Tal sind noch nicht beendet, auf den Bahngleisen liegen noch Betontrümmer. Erst am Ende dieser Woche will die Autobahngesellschaft einen definitiven Plan für den Abriss der Brückenreste vorlegen. Bislang hieß es, Ende Oktober könnte das Viadukt ganz abgerissen sein, ob auch die Wohnhäuser unter der Autobahn-Brücke weichen müssen, ist unklar. Doch die meisten Zeitangaben im Zusammenhang mit Abriss und Wiederaufbau wirken gewagt.
Am Dienstag versprach die Regierung in Rom in einem Parlamentsantrag den Wiederaufbau innerhalb eines Jahres. Star-Architekt Renzo Piano, ein gebürtiger Genueser, hat bereits ein Projekt für die neue Brücke vorgestellt. Danach soll das Viadukt nur noch von Stützpfeilern getragen werden und nicht mehr auch von Spannseilen. Als wahrscheinliche Ursache für den Einsturz gilt, dass mindestens eines dieser betonumhüllten Spannseile der gut 50 Jahre alten Brücke rostete und riss. Auch die Autobahngesellschaft Autostrade per l’Italia hat ein Projekt für den Neubau vorgelegt. In acht bis zwölf Monaten könnte eine Eisenbrücke entstehen, heißt es.
Doch bislang bestimmt vor allem der Disput zwischen der seit Juni amtierenden Regierung aus Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und Lega sowie der Autobahngesellschaft Autostrade per L’Italia das Bild. Die von der Unternehmerfamilie Benetton geführte Autobahn-Holding wurde von der Regierung rasch als Schuldige für die Katastrophe ausgemacht, dabei steht die Staatsanwaltschaft erst am Anfang ihrer Ermittlungen. „Nicht Autostrade wird die Brücke wiederaufbauen, sondern ein öffentlicher Träger“, sagte Verkehrsminister Danilo Toninelli (M5S) am Dienstag im Parlament. Er kündigte aber an, die Autobahngesellschaft müsse die Kosten des Aufbaus tragen, die gleichwohl „nur ein kleiner Teil der notwendigen Entschädigungszahlungen“ seien. Die Autobahngesellschaft beharrt hingegen darauf, den Aufbau der Brücke selbst in die Hand zu nehmen. Der Streit könnte in die Länge gehen und auch in unwägbare juristische Auseinandersetzungen münden.
Genua: Ermittlungen gegen Unbekannt
Im Hintergrund spielt auch die Ankündigung der Regierung eine Rolle, der Betreibergesellschaft die noch bis 2038 laufende Konzession zu entziehen. Auch hier sind Kosten und Folgen unwägbar. Unterdessen haben mit den Ermittlungen befasste Polizisten der Staatsanwaltschaft Genua eine Liste mit 30 Namen von Technikern, Managern und Funktionären überreicht, die in den vergangenen Jahren mit der seit Jahren als marode geltenden Morandi-Brücke befasst waren. Darunter sind Angehörige der Autobahngesellschaft ebenso wie Mitarbeiter des Verkehrsministeriums in Rom. Ein Projekt zur Sanierung der Brücke wurde 2015 beschlossen, aus bürokratischen Gründen aber nie ausgeführt. Die Ermittlungen laufen bisher gegen Unbekannt.
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