
Uneinsichtige Gläubige bringen das Virus zurück nach Südkorea


Südkorea galt als Musterschüler im Einsatz gegen Corona. Doch Evangelikale drohen nun den Erfolg zu zerstören.
Jun Kwang-hun ist derzeit der berüchtigste Covid-19-Patient Südkoreas: Noch am Samstag hat der mächtige Pastor tausende meist ältere Anhänger seiner Kirche namens Saran Jeil mobilisiert, in der Innenstadt Seouls zu protestieren. Dabei verunglimpfte der 63-jährige Evangelikale den Präsidenten Moon Jae-in als „ nordkoreanischen Spion“, beschimpfte seine Regierung als „kommunistisch“ und verbreitete krude Corona-Verschwörungstheorien. Zwei Tage später hat sich Jun selbst mit dem Virus angesteckt – genau wie bislang weit über 450 Gemeindemitglieder. Noch im Notrufwagen sieht man den Pastor, wie er seinen Mundschutz demonstrativ unterm Kinn trägt.
Südkorea wurde in der Pandemie vom Musterschüler zum Krisenkind
Zu Recht gilt Südkorea als Corona-Musterschüler. Kaum ein Land hat die Pandemie derart rasch unter Kontrolle bekommen: Mit dem akribischen Nachverfolgen von Kontakten und strikter Maskenpflicht konnten die Koreaner bereits mehrere große Infektionswellen abwenden, und das ohne einen Lockdown verhängt oder seine Grenzen vollständig geschlossen zu haben. Die täglichen Ansteckungen haben sich bei einer Bevölkerungsgröße von 51 Millionen im niedrigen zweistelligen Bereich eingependelt, bislang sind nur knapp mehr als 300 Menschen an dem Virus gestorben.
Nun jedoch stehe das Land vor dem Abgrund, wenn man den Regierungsbeamten in Seoul zuhört: „Wir betrachten die derzeitige Situation als Anfangsstadium einer flächendeckenden Übertragung“, sagte Jung Eun-kyeong, Leiterin der Behörde zur Seuchenprävention während einer Pressekonferenz am Anfang der Woche. Auch Kwon Jun-wook, Leiter des nationalen Gesundheitsinstituts, nahm kein Blatt vor den Mund: Der Ausbruch in der Kirche bringe das Land an den Rand der größten Krise seit Beginn des Covid-19-Ausbruchs, die möglicherweise im Großraum Seoul mit 26 Millionen Einwohnern zu „leidvollen Szenen wie in den Vereinigten Staaten oder europäischen Ländern“ führen würde.
Die Zahlen selbst geben noch keinen Grund zur Panik: Seit über fünf Tagen jedoch liegen sie so hoch wie seit Anfang März nicht mehr, am Dienstag waren es 246 Neuinfektionen. Doch wer die beengten Wohnverhältnisse in Südkoreas Hauptstadt kennt, kann die Nervosität der Behörden nachvollziehen. Zumal Monate voll harter epidemiologischer Maßnahmen nun innerhalb weniger Tage zunichtegemacht wurden.
Religiöse Gemeinschaften sind in Südkorea ein Corona-Problem
Die erste Corona-Welle hatte sich Ende Februar ebenfalls in Gotteshäusern ausgebreitet, nämlich innerhalb der mysteriösen Shincheonji-Sekte. Damals soll der 88-jährige Gründer Lee Man-hee, mittlerweile in Haft, seinen Anhängern angeordnet haben, nicht mit den Behörden zu kooperieren. Über 5000 Infektionen gingen auf die Sekte zurück.
Nun jedoch haben einige christliche Gemeinden noch immer nicht aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt. Trotz mehrfacher Bitten vom Präsidenten rufen sie weiterhin zu Großdemonstrationen auf. Sie lassen ihre Gemeindemitglieder ohne die vorgesehenen Abstandsmaßnahmen und Masken zusammen Gottesdienst feiern, gemeinsam singen und Mahlzeiten einnehmen. Auch bei der Spurensuche nach neuen Infizierten blockieren die christlichen Covid-19-Leugner die Arbeit der Behörden: Laut Angaben der Polizei in Seoul wurden zwar bereits über die Hälfte der 4000 Gemeindemitglieder der Sarang-Jeil-Kirche auf das Virus getestet. Doch zumindest 800 Kirchgänger seien derzeit untergetaucht und unauffindbar.
Konsequenzen sind für Südkorea in der Corona-Krise unausweichlich
Bislang haben die Gemeinden für ihren Widerstand wenig Konsequenzen erleiden müssen. Das hat vor allem einen Grund: Die großen Megakirchen Südkoreas mit teilweise mehreren zehntausenden Anhängern üben vor allem unter konservativen Kreisen einen immensen politischen Einfluss aus. Die christliche Wählerbasis zu verschrecken kann sich kein Präsident erlauben.
Nun jedoch geht das fahrlässige Verhalten einer einzelnen Gruppe gegen das Wohl der Allgemeinheit, wie Premierminister Chung Sye-kyung am Dienstag erklärte: Die Fußballstadien, deren Zuschauerränge bereits zu 30 Prozent gefüllt werden durften, müssen wieder ohne Publikum auskommen. Schulklassen müssen ihre Klassengröße mindern und notfalls auf Online-Unterricht ausweichen. Und vor allem: Kirchen dürfen Gottesdienste nur ohne Körperkontakt abhalten. Dass sich alle Gemeinden daran halten werden, darf stark bezweifelt werden.
Lesen sie dazu auch:
- Corona-Notstand in Nordkorea: Grenzen schützen nicht
- Spahn sieht auch Karneval skeptisch: Braucht es neue Regeln für Partys?
- Ministerin wusste deutlich früher von Testpanne in Bayern
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.