Nach den Massendemos am Donnerstag drohen Frankreich neue Streiks
Nach den Massendemonstrationen am Donnerstag rollt in Frankreich kaum ein Zug. Die Gewerkschaften wollen weitermachen und haben schon ein neues Datum im Auge.
Der Protest gegen die Rentenreform in Frankreich hält an: Am Freitag kam es im ganzen Land im Nah- und Fernverkehr erneut zu massiven Behinderungen. Die Gewerkschaften haben zu neuen branchenübergreifenden Streiks am kommenden Dienstag aufgerufen. Der zweite große Protesttag wäre eine Gelegenheit für noch mehr Arbeiter, sich der Bewegung anzuschließen, sagte Catherine Perret von der Gewerkschaft CGT am Freitag nach einen Koordinierungstreffen mehrerer Gewerkschaften.
Am Donnerstag waren in ganz Frankreich Hunderttausende Menschen auf die Straße gegangen, um gegen die Rentenpläne von Präsident Emmanuel Macron und der Regierung zu protestieren. Der öffentliche Verkehr war fast komplett lahmgelegt. Auch im öffentlichen Dienst, in Schulen oder der Justiz wurde die Arbeit niedergelegt. Mit der Rentenreform will die Mitte-Regierung Privilegien für bestimmte Berufsgruppen wie die Eisenbahner beim Rentenalter auf längere Sicht beenden. Außerdem will die Regierung Anreize geben, länger zu arbeiten.
Die Menschen in Frankreich hatten sich auf den Streik vorbereitet
Die Menschen hatten sich auf diesen 5. Dezember vorbereitet. Sie waren aufs Rad umgestiegen oder gleich ganz zu Hause geblieben, um nicht irgendwo in der Stadt zu stranden. Seit Monaten hatten die französischen Gewerkschaften dieses Datum für einen branchenübergreifenden Generalstreik gegen die geplante Rentenreform der Regierung auserkoren. Viele Schulen im ganzen Land blieben zu, da nur rund jeder zweite Lehrer zur Arbeit ging. Insgesamt streikten fast ein Drittel der Beamten. Sieben von acht französischen Raffinerien waren geschlossen, ebenso bei Touristen beliebte Sehenswürdigkeiten wie der Eiffelturm.
Nach den Massendemos am Donnerstag rollte am auch Freitag kaum ein Zug im Fernverkehr. Die staatliche Bahngesellschaft SNCF gab an, dass insgesamt knapp ein Drittel ihrer Mitarbeiter in den Ausstand getreten seien. So hätten gut 87 Prozent der Lokführer und 80 Prozent der Schaffner die Arbeit niedergelegt. Auch die Zugverbindungen von und nach Deutschland waren weiter gestört. In der Hauptstadtregion Paris stauten sich die Autos am Morgen auf einer Länge von insgesamt rund 350 Kilometern, wie der Radionachrichtensender Franceinfo berichtete.
Bei den Pariser Verkehrsbetrieben RATP war der Verkehr auch am Freitag schwer gestört. Ein Großteil der Metro- und Tramlinien wurde nicht bedient, lediglich auf den zwei vollautomatisch betriebenen Linien gab es keine Einschränkungen. Etliche Metrostationen blieben geschlossen. Die wenigen Metros, die fuhren, waren deutlich voller als am Donnerstag. Noch bis mindestens Montag soll die Metro bestreikt werden.
Für kommenden Dienstag ist eine Großdemonstration geplant
Für kommenden Dienstag planen die Gewerkschaften eine Großdemonstration vom Invalidendom zum Platz Denfert-Rochereau im Süden der französischen Hauptstadt. Bernadette Groison von der Gewerkschaft des öffentlichen Dienstes FSU betonte, dass der Protest andauern werde. Es handele sich nicht um eine Mobilisierung für nur wenige Tage. Auch Polizeigewerkschaften forderten ihre Anhänger auf, die Proteste fortzusetzen.
Die Protestwelle startete, noch bevor die Regierung Details ihrer Reform nannte – diese hat sie für Mitte nächster Woche versprochen. Am Montag will der Spezialbeauftragte für die Umsetzung der Reform, Jean-Paul Delevoye, der Regierung eine Zusammenfassung der Verhandlungsgespräche mit den Sozialpartnern vorlegen. Er hat angekündigt, dass das etatmäßige Renteneintrittsalter von 62 Jahren zwar nicht angetastet wird; es könnte sich allerdings die Dauer der Beitragseinzahlungen für den Erhalt der Vollrente verlängern – was letztlich denselben Effekt hat, nämlich eine längere Lebensarbeitszeit, um keine Abstriche zu haben. Und das regt viele Menschen auf.
Zigtausende Menschen protestieren gegen die Reform
So blieb es an diesem Tag nicht überall in Paris und dem restlichen Frankreich ruhig. Zigtausende Menschen trafen sich landesweit zu 245 Demonstrationen gegen das Reformprojekt. In Paris startete am frühen Nachmittag ein Protestzug am Nordbahnhof. Julien Fernandes kam gemeinsam mit anderen Lehrern per Bus aus dem Großraum der Hauptstadt ins Zentrum. „Es geht hier wirklich um unsere Zukunft und auch um die Wertschätzung unserer Arbeit“, sagte er. Vereinzelt kam es zu Ausschreitungen, unter anderem in Bordeaux und Nantes. Die Regierung setzte ein Großaufgebot an Sicherheitskräften ein, allein 6000 in der Hauptstadt. Mehrere Dutzend Menschen wurden vorübergehend festgenommen. Trotz der angespannten Lage hieß es aus dem Élysée-Palast, Präsident Emmanuel Macron sei „ruhig und entschlossen“.
Er hatte bereits in seinem Wahlkampf eine Reform des Rentensystems versprochen, das derzeit aus 42 verschiedenen Einzelkassen für die unterschiedlichen Berufe besteht. Mittels eines Punktesystems sollen künftig aus jedem eingezahlten Euro dieselben Ansprüche resultieren. Doch viele Berufsgruppen befürchten Einschnitte – und ein späteres Renteneintrittsalter. Die Franzosen gehen durchschnittlich mit 60,8 Jahren in den Ruhestand, was unterhalb des Durchschnitts der OECD-Länder liegt; zugleich gibt das Land mit 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verhältnismäßig viel für die Rentenzahlungen aus. Die Rentenkasse hat derzeit ein Defizit von 2,9 Milliarden Euro. (AZ/dpa)
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.
Die Diskussion ist geschlossen.