EU-Behörden bestimmen, wie viel Feinstaub und Stickoxid man den Menschen zumuten kann. Manche Entscheidungen wirken dabei aber ziemlich seltsam.
Fast schon bizarr ist der derzeitige Streit um die Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxid. Viele Autofahrer, wie die allermeisten Feinstaub- und Stickoxid-Laien, trauen ihren Ohren nicht. Und so mancher hat zusehends den Eindruck, von Behörden – etwa der EU – bestimmt zu werden, die selbst nicht genau wissen, was Sache ist.
Was war passiert? Seit Jahren gelten von der EU vorgeschriebene Grenzwerte für die beiden genannten Parameter. So sollen durch Feinstaubbelastung in der EU laut Studien 65000 Menschen vorzeitig sterben – etwa durch Lungenkrebs, Herzinfarkte, Schlaganfälle oder weitere Erkrankungen. Stickoxide wiederum schädigen etwa die Atmungsorgane.
Studien zur Schädlichkeit „einseitig interpretiert“
Angeblich reduziert sich durch Luftverschmutzung die Lebenserwartung der Deutschen insgesamt gar um circa zehn Monate. Darum fordert die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in einem Positionspapier sogar die Senkung der in der EU bestehenden Grenzwerte – auf jene Werte, die die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt. Und nun wird es skurril: Ausgerechnet der ehemalige Präsident jener DGP, der Pneumologe Professor Dieter Köhler, hat nun gemeinsam mit über 100 Lungenfachärzten eine Stellungnahme veröffentlicht, wonach die Studien zu diesem Thema „einen systematischen Fehler“ enthalten und „einseitig interpretiert wurden“.
In den Studien werde beispielsweise der Lebensstil der Menschen nicht erfasst – wie etwa Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel. Faktoren, die aber „hundertfach“ risikoreicher für die Gesundheit seien als Luftverschmutzung. Ein Raucher (eine Packung pro Tag) erreiche in weniger als zwei Monaten jene Feinstaubdosis, die sonst ein 80-jähriger Nichtraucher im ganzen Leben einatmen würde. Köhler resümiert: „Würde die Luftverschmutzung ein solches Risiko darstellen und entsprechend hohe Todeszahlen generieren, so müssten die meisten Raucher nach wenigen Monaten alle versterben – was offensichtlich nicht der Fall ist.“ Es gebe derzeit jedenfalls keine wissenschaftliche Begründung für die aktuellen Grenzwerte für Feinstaub und Stickoxide. Und überhaupt: Die über 100 Ärzte hätten in ihrer Praxis noch nie einen Toten durch Feinstaub gesehen – auch nicht bei sorgfältiger Anamnese.
Die Stellungnahme sorgte für Furore. Und wissenschaftlichen Widerspruch – von der DGP, der Köhler ja früher vorsaß: „Ein Raucher stirbt nicht am Rauch selbst, er stirbt am Herzinfarkt, am Schlaganfall oder an Lungenkrebs. Und genau diese Erkrankungen sind auch mit der Feinstaubbelastung assoziiert – wenn auch in deutlich geringerem Maße“, verteidigt der Mediziner Professor Holger Schultz das Positionspapier der DGP in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen (online).
Machen die Grenzwerte nun Sinn oder nicht?
Ja, was nun? Wer hat jetzt recht? Machen die Grenzwerte nun Sinn? Oder nicht? Nachdenklich machen jedenfalls so manche Informationen, die sich um das Thema Grenzwerte drehen. So etwa war laut Zeit online der seit 1985 bestehende Grenzwert für Stickoxide in der EU von 200 Millionstel Gramm (Mikrogramm) pro Kubikmeter 1999 plötzlich auf 40 gesenkt worden. Warum? Die EU hatte einfach ungeprüft den neuen Wert der US-Umweltbehörde Epa übernommen. Obwohl dieser nur ein Schätzwert war und gar nicht mit Autoabgasen zu tun hatte, sondern für Gasherde in Wohnungen geschätzt worden war. Und dann kommt der nächste Nonsens: Dieser für einen Innenraum geschätzte Grenzwert wurde einfach auf den Außenbereich übertragen. Die Epa ging davon aus, dass Menschen 90 Prozent ihrer Zeit in Innenräumen verbringen. Doch kaum jemand hält sich 90 Prozent des Jahres auf dem Gehweg einer Hauptverkehrsstraße auf. Da kann man nur den Kopf schütteln. Und fordern, dass nun endlich – anders als gerade skizziert – wissenschaftlich solide fundierte Regeln aufgestellt werden. Kopf schütteln kann man auch über die Aussage des Staatssekretärs im Bundesumweltministerium, Jochen Flasbarth. Er meint, die Kritik der über 100 Ärzte sei „rein politisch“ zu sehen – nicht wissenschaftlich. Glaubt Flasbarth etwa, dass Lungenfachärzte Lobbyisten der Automobilindustrie sind? Klar, unterstellen kann man ja alles…
Es geht um viel. Zuerst um die Gesundheit der Menschen. Aber auch um eine Schlüsselindustrie unseres Landes. Von deren Erfolg der Wohlstand von Millionen hierzulande abhängt, selbst wenn sie nicht direkt in der Autoherstellung beschäftigt sind. Darum sollte mit den Grenzwerten nicht leichtfertig herumgespielt werden.
Die Diskussion ist geschlossen.
Am Ende kam Herr Bär ja doch zum Thema: Es geht nicht um die Gesundheit der Bürger, es geht um die Interessen der von Fahrverboten bedrohten Autoindustrie. Hier läuft offensichtlich eine (von wem auch immer) initiierte Kampagne, der sich einige Medien bereitwilligst anschließen. Das war nun der dritte Kommentar in der AA innerhalb weniger Tage. Wieviele dürfen wir noch erwarten?