Die kleine Raupe wird 50 - und ist immer noch nicht satt
„Die kleine Raupe Nimmersatt“ wird erst zum Gierschlund und dann zum wunderschönen Schmetterling. Jetzt hat sie Geburtstag. Die Geschichte begeistert immer noch.
Sie ist grün, klein, gefräßig und eher abschreckendes Beispiel als leuchtendes Vorbild: die kleine Raupe Nimmersatt, die sich in Eric Carles gleichnamigem Bilderbuch durch einen Berg von Leckereien futtert, bis sie Bauchweh bekommt. Man könnte es aber auch so sehen: Gegen jeden Diätwahn verzehrt sie ohne Blick auf die Kalorien Schokoladenkuchen, Eiswaffel, Früchtekuchen, Lolli und vieles mehr und wird trotzdem am Ende ein schöner Schmetterling.
Der Deutungen dieses Kinderbuchklassikers gibt es viele, auch solche, die mit Pädagogik wenig zu tun haben, wie die von „Generation Golf“-Autor Florian Illies, der das Kinderbuch als Parabel auf die deutsche Nachkriegsgeschichte interpretierte: von der Stunde Null (die Mondnacht) über die Wirtschaftswunderjahre (das große Fressen) hin zur Ökobewegung (das grüne Blatt) bis zur Wiedervereinigung (der Schmetterling).
„Die kleine Raupe Nimmersatt“ erschien vor 50 Jahren in den USA
Unbestritten ist aber, dass das Tierchen der Liebling der Kinder ist – seit 50 Jahren. Schnell war die erste Auflage des Buches, das am 20. März 1969 in Amerika und ein Jahr später in Deutschland erschien, verkauft. Mittlerweile sind es 50 Millionen Exemplare, an denen Kinder weltweit ihr Vergnügen haben.
Die kleine Raupe schlüpft darin aus dem Ei und macht sich auf die Suche nach Essen: „Am Montag fraß sie sich durch einen Apfel, aber satt war sie noch lange nicht. Am Dienstag fraß sie sich durch zwei Birnen, aber satt war sie noch immer nicht.“ Auch nach dem Verzehr von drei Pflaumen, vier Erdbeeren und fünf Apfelsinen an den nächsten Tagen hat sie am Samstag immer noch Hunger und macht sich über allerlei Köstlichkeiten her. Sonntags gibt es wegen der Bauschmerzen dann nur noch ein grünes Blatt, danach spinnt sie sich einen Kokon und schlüpft daraus zwei Wochen später als bunter Schmetterling.
„Die kleine Raupe Nimmersatt“ kriecht nicht nur durch Bücher
Außergewöhnlich für die damalige Zeit war die anschauliche Aufmachung des Buches. Immer breiter werden die Seiten, je mehr die hungrige Raupe vertilgt und kleine Löcher sind dort, wo sie sich schon durchgefressen hat. Für die leuchtend bunten Bilder bemalte Eric Carle Seidenpapier und schnitt daraus verschiedene Schnipsel aus, die er übereinander klebte. So entstand die possierliche Raupe mit ihren vielen Gliedern in verschiedenen Grüntönen, die auch Stofftaschen, T-Shirts, Bettwäsche und vieles mehr ziert.
Das künstlerisches Handwerk studierte Carle, der im Sommer 90 wird, an der Akademie der bildenden Künste. Geboren in Syracuse im Staate New York als Kind deutscher Auswanderer, kam er als Sechsjähriger nach Deutschland und verbrachte hier seine Kindheit und Jugend. Mit 23 zog es ihn zurück in die USA, wo er heute noch lebt. Die Erklärung, warum der kleine Gierschlund solch große Karriere machte, liegt für ihn in der Identifikation mit der „hilflosen, kleinen, unbedeutenden Raupe“: „Ich denke, darin steckt eine Hoffnungsbotschaft. Ich kann auch groß werden. Ich kann meine Flügel ausbreiten und in die Welt fliegen.“ Auch eine schöne Interpretation.
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