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Gesellschaft
04.05.2014

Die schamlose Gesellschaft: Wie viel Sex vertragen wir noch?

Nackte Tatsachen auf der Venus: Wer blanke Haut im Überfluss sehen will, braucht heutzutage keine Erotikmesse besuchen. Sex ist in unserer Gesellschaft inzwischen alltäglich.
Foto: Bernd von Jutrczenka, dpa

Wir lesen "Feuchtgebiete", machen Bordellreisen als Belohnung und gucken schamlos TV-Shows mit Nackten. Ist der Wohlstand schuld? Und was ist uns eigentlich noch peinlich?

Ich habe seit frühester Kindheit die deutsche Wissenschaft und Kultur bewundert“, schreibt der Herr aus dem Ausland. „Doch nach den in der Bundesrepublik gemachten Erfahrungen werde ich zögern, noch einmal dieses Land zu betreten. Was mir in Zeitschriften, Filmen, Theateraufführungen, im Verhalten der Öffentlichkeit und insbesondere in Prominentenkreisen an Schamlosigkeit und Zerrüttung, Verlust jeglicher Würde, ja bewusster Zersetzung begegnete, das wollte ich in meinem Lande nun wahrlich nicht haben.“

Und dann zählt der Herr auf, was zu „tiefer Trostlosigkeit Anlass“ gibt: Prostitution der Seelen, Pornografie der Kunst, Triumph des Exhibitionismus, Feigheit der berufenen Hüter von Anstand, Ehre und Sitte, Preisgabe der elementarsten Maßstäbe moralischer Zucht und Sauberkeit …“ 30 Jahre ist dieser Brief alt, veröffentlicht in einem Essayband mit dem Titel „Das Zeitalter der Schamlosigkeit“.

Prostitution der Seele in Deutschland?

Was könnten wir dem heute nicht alles hinzufügen: Fernsehserien, deren Zweck bloße Entblößung und ungezügelter Voyeurismus ist; „Feuchtgebiete“ als Bestseller; Bordellreisen zur Belohnung führender Manager, Po-Falten in Fußgängerzonen … Und dann die 1984 noch unabsehbare, potenzierte Schamlosigkeit im Internet, nach dem Autor Botho Strauß: „Dies All ist erfüllt von jedermanns erbrochenem Alltag. Das Logbuch einer weltweiten Mitteilungsinkontinenz.“ Noch Fragen also? Wann uns die Scham abhandengekommen ist? Und wodurch? Wozu das noch führen soll?

RTL: Zwei Nackte auf einer Insel - schamlos für Quoten

Dazu gleich. Zunächst die neuste Pointe, gesetzt von RTL. Dort laufen die Vorbereitungen für eine Serie mit dem Titel „Adam und Eva“. Ein Mann und eine Frau werden „auf einer einsamen Insel“ ausgesetzt, einander völlig fremd und völlig nackt. Wie sie sich nun finden und was die Blöße bewirkt – das soll von Kameras eingefangen und von Millionen verfolgt werden.

Es ist die verkehrte Verwurstung der biblischen Geschichte: Dort war die Scham in die Welt gekommen, als sich die ersten Menschen dem göttlichen Verbot widersetzten. Sie aßen vom Baum der Erkenntnis, wurden sich ihrer Nacktheit bewusst, bedeckten ihre Blöße, stürzten aus dem paradiesischen Urzustand  … Hier und heute geht es um die eine Erkenntnis: Ob die höchsten Quoten gerade durch das Tilgen der Scham zu erreichen sind, schamlos präsentiert, als wäre das Wirklichkeit, und am besten schamlos konsumiert als Paradies jenseits der gesellschaftlichen Masken.

Scham als Bedingung von Moral

Man höre die Mahnungen der Schamforscher. Denn, ja, die gibt es. Psychologen wie der Hamburger Wolfgang Hantel-Quitmann, der sagt: „Scham ist ein soziales Gefühl. Sie erinnert uns daran, dass wir soziale Wesen sind, die einander brauchen und aufeinander achten sollten … Sie zeigt uns sehr eindrücklich, wann wir unsere innere Wildsau im Zaum halten müssen. Darauf sollten wir hören.“

Oder der Freiburger Sozialwissenschaftler Stephan Marks, für den in der Scham das Gewissen spricht: „Durch sie lernen wir, unsere Grenzen zu regulieren.“ Oder der Düsseldorfer Körpertherapeut Udo Baer, der erklärt, Scham sei wichtig, weil sie die Grenzen unserer Intimität schütze – und die Grenzen der anderen. Er mahnt: „Die öffentlich praktizierte Schamlosigkeit führt dazu, dass die natürliche allmählich an Wert verliert.“

Der Feuilletonist Ulrich Greiner schreibt in seinem Buch „Schamverlust“ (Rowohlt, 22,95 Euro): „Scham entsteht, wenn ich mir selbst gegenübertrete und mich unter dem moralischen Blick meines besseren Ichs plötzlich als mangelhaft oder gar minderwertig empfinde.“ Scham sei so „die Bedingung von Moral“, also ohne sie auch: keine Würde.

Internetpornos als Folge des Wirtschaftswachstums

Wann aber ist uns die Scham abhandengekommen? Greiner zitiert den Soziologen David Riesmann: Eine Gesellschaft mit hoher Geburtenrate und geringer Lebenserwartung findet ihre Stabilität in der „Langlebigkeit der Sitten und der sozialen Struktur“. Eine Gesellschaft hingegen mit großem Wirtschaftswachstum und hoher Lebenserwartung erfährt einen starken sozialen Wandel und den Bedeutungsschwund der Tradition. Wenn dann die Bevölkerung schrumpft und weniger von körperlicher Arbeit als von Dienstleistungen lebt, droht die Schamgrenze zu kippen.

Denn aus dem innen-geleiteten Menschen, der mit tradierten Werten in die Welt tritt, wird der außen-geleitete: „Anerkennung ist die einzig eindeutige Erfolgsnorm.“Und da die Eltern „nicht mehr in der Lage sind, ihren Kindern scharf umrissene Vorstellungsinhalte vom selbstbewussten Ich und der Gesellschaft zu vermitteln, können sie in unserer Epoche ihr Kind nur noch dazu anhalten, ‚möglichst anständig‘ zu sein“.

Statt der Scham des innen- gibt es nur noch die Peinlichkeit des außen-geleiteten Menschen. Aber was nun peinlich ist, wandelt sich stetig, kann unendlich vieles sein. Da gilt es auf dem Laufenden zu bleiben. Wer dagegen noch Scham empfindet, versteckt diese verschämt – und versucht sie möglichst aufzulösen durch die Ironie.

Intimrasur aus Furcht vor der Peinlichkeit?

Riesmann hat diese Gedanken  in seinem Buch „Die einsame Masse“ bereits in den 50er Jahren formuliert. Und geben ihm die 60 Jahre danach nicht recht? Und hat Ulrich Greiner nicht recht, dass die 68er diese Bewegung beschleunigt haben? Und ist ein Symbol nicht das stetige Fortschreiten der rasierten Scham? Als immer normaler gilt ja die Entfernung der Haare an intimsten Stellen, weil das Ich-Empfinden das Gesehen-Werden vorwegnimmt und die mögliche Peinlichkeit des Entdecktwerdens fürchtet.

Und doch lässt sich das auch anders lesen. Vom Philosophen Rüdiger Safranski stammt die These, dass der Sündenfall im Paradies der erste Moment der Freiheit war. Im Nein zum göttlichen Gebot erst tritt der Mensch hervor. Zum Preis des Empfindens des eigenen Ungenügens. Die Geschichte der Scham und ihres Verlusts wird so zur Geschichte der Freiheit. Jeder Schritt richtet sich gegen eine Macht, die von außen dem Inneren Maßstäbe setzt: Gott, der Tradition – bis letztlich noch die Gesellschaft bleibt.

Einst drohte die Kirche, heute gilt: Die Hölle, das sind die anderen. Nur weil die Ansprüche einst allgemein und absolut waren, spricht das noch nicht für deren Richtigkeit. Ist es schlecht, dass sich Mutter und Kind nicht mehr schämen müssen, ohne ehelich legitimierten Vater zu leben? Es war bloß klarer, was es hieß, das Anerkannte zu tun, heute ist es leichter, das Falsche zu tun. Etwa das Gefühl des Ungenügens von Menschen, die etwa dem herrschenden Schönheitsideal nicht entsprechen, weil sie dick sind – ist das weniger schlimm? Ist das nicht Scham?

Frei davon ist die Gesellschaft jedenfalls längst nicht. Dass vielmehr die innere Scham in den Strudel der äußeren Peinlichkeiten gerät – das ist die Bürde der in größerer Freiheit Nachgeborenen. Und inmitten der öffentlichen Intimität unterschiedlichster Lebensmodelle, begleitet vom Verdruss der Älteren, die Aufgabe zu meistern, das Wesentliche zu erkennen, ist schwieriger denn je.

Die Würde aber hängt im Gegensatz zur Sitte nicht von verdeckten Po-Falten ab. Sie baut auf die Freiheit des Ich-Seins auch gegen äußere Deutung. Und dafür ist Scham allein kein Indiz – so wenig wie Schamlosigkeit.

Eine Gesellschaft in der Pubertät

Bleibt die Frage: Wohin soll das führen? Es droht das gesellschaftliche, multimedial vermittelte Ideal des fitten und gesunden, blendend aussehenden und leistungsfreudigen Lebens. Die totale Anpassung, eine irdische Religion der Selbstoptimierung mit aller Deutungs- und Beschämungsmacht. Das Gegenteil von Freiheit. Das Gegenteil von Würde.

Davon haben auch die Macher des neuen „Adam und Eva“ keine Ahnung, wenn sie Intimstes inszenieren. Aber schon der Zuschauer, der sich neuerdings ja „fremdschämt“, hat ein Gefühl davon. Denn er lacht nicht über die Peinlichkeit des anderen. Er empfindet Scham, als ginge es um ihn selbst. Er empfindet Mitmenschlichkeit. Weil sich allein darin das Innere im Äußeren erkennt. Die Freiheit im Wandel der Sitten ist da wohl die größtmögliche Herausforderung – und die einzige Chance. Denn dahinter zurück führt nur die Tyrannei. Insofern: ein Hoch auf die Gesellschaft in der Pubertät!

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