Dürfen Schimpansen klagen?
Eine Hochschule muss nach richterlicher Auffassung begründen, warum sie Hercules und Leo inhaftiert hat. Das könnte weit über Zoos und Labore hinaus Folgen haben.
Können Tiere gegen ihre Besitzer klagen? Zwei Schimpansen der Stony Brooks University in New York scheint das gelungen zu sein: Eine Richterin hat ihnen am Dienstag ein Habeas-Corpus-Recht zugestanden, also das Recht, nicht ohne Angabe von Gründen inhaftiert zu werden und diese Inhaftierung auch anfechten zu können.
Den Fachterminus selbst zog sie zwar später zurück. Die Hochschule muss aber nun trotzdem darlegen, warum sie Hercules und Leo ihrer Freiheit beraubt. Das könnte weit über Zoos und Labore hinaus Folgen haben.
Mit ihrer Entscheidung unterstellte Richterin Barbara Jaffe vom Obersten Gericht im Bundesstaat New York die Affen derselben Rechtslage, die für die Inhaftierung von Menschen gilt. Vor dem Gesetz würden damit aus Besitztümern rechtliche Personen.
An der Diskussion ist ausgerechnet die moderne Forschung schuld. Tierschützer in den USA reichen seit Jahren im Namen von Affen Klagen ein. Sie argumentieren, dass die moderne Persönlichkeitsforschung keine fundierte Unterscheidung zwischen Mensch und Schimpanse mehr zulässt: Beide seien voll autonome Wesen mit Selbstwahrnehmung, Selbstbestimmung und Zeitgefühl. Das Habeas-Corpus-Recht schützt Personen und definiert diese nicht notwendig als Menschen.
Die klagende Tierschutzorganisation Nonhuman Rights Project argumentiert deshalb, dass Hercules und Leo rechtswidrig inhaftiert sind und in eine Auffangstätte entlassen werden sollten.
Kann ein Häftling nicht selbst mit der Außenwelt kommunizieren, sieht das US-Recht die Möglichkeit vor, in seinem Namen Klage einzureichen. Dieses Verfahren, das unter anderem Guantanamo-Häftlingen zugutegekommen ist, haben die Tierschützer nicht nur auf Affen angewandt.
Viele Arten stehen auf der Mandantenliste
Seit den 90er Jahren fanden sich mehrere Aquarien von ihren eigenen Delfinen und Orcas vor den Kadi gezerrt. Für die Zukunft stehen auch Elefanten, Papageien und andere Arten auf der Mandantenliste. Ihnen allen bescheinigt die moderne Forschung Gefühle und komplexe soziale Beziehungen. Sie verwenden Sprache und Werkzeuge und geben solches Wissen über Generationen weiter. Den Klägern zufolge fühlen sie Leid, wenn sie Bedürfnisse nicht erfüllen oder sich bewegen können, wie sie es wünschen. Sie fühlen den Schmerz, eine nie endende Gefangenschaft vorherzusehen.
Trotzdem wurden die Kläger bislang von allen unteren Gerichten abgewiesen. Möglicherweise ist ja das Oberste Gericht in Washington mutig genug, sich mit ihrer Persönlichkeitsdefinition auch auseinanderzusetzen. Auch wenn bisherige Richter sich außerstande fühlten, eine der wesentlichen rechtlichen Grenzen zwischen Mensch und Tier anzutasten, so lobten doch viele die Argumentationskette als exzellent. Sie haben deshalb Berufung ermöglicht, um der Klage den Weg nach oben zu ebnen.
Tierschutzanwalt Steven Wise glaubt, dass der Mensch nur noch wegen seiner Selbsteinschätzung sich für etwas ganz Besonderes hält. Er vergleicht das mit früheren Epochen, in denen Frauen oder Schwarze ebenfalls ohne wissenschaftliches Argument wesentlicher Rechte beraubt wurden. Für ihn ist nicht einzusehen, warum Menschen, denen jegliche kognitive Fähigkeit fehlt, vor dem Gesetz als Personen gelten, komplexe Wesen wie Delfine oder Affen aber als Dinge.
Wises Gesinnungsgenossen beteuern, dass sie keine Gleichstellung mit dem Menschen anstreben, wohl aber ein Mindestmaß an Menschenrecht, das über die Möglichkeiten amerikanischer Tierschutzbestimmungen weit hinausgeht. Vor allem geht es um das Recht auf körperliche Freiheit.
Wo verläuft die Grenze zwischen Säugetier und Reptil?
Dabei ist offensichtlich, dass die Auswahl der bisherigen Tierarten vom Stand der Forschung diktiert wurde. Je weiter sie fortschreitet, desto schwieriger dürfte es werden, klare Grenzen zu ziehen: Wenn Wale Personen sind, können Hunde dann Dinge bleiben? Verläuft die Grenze zwischen Säugetier und Reptil?
Das Verfahren in Manhattan nimmt voraussichtlich am 6. Mai seinen Fortgang. Dann sollen die Forscher der Stony Brooks University vor Gericht erscheinen, um sich gegen die Anwälte ihrer Affen zu verteidigen.
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