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  3. London: Eine Ruine und tiefe Wunden: Was vom Grenfell-Feuer bleibt

London
28.12.2017

Eine Ruine und tiefe Wunden: Was vom Grenfell-Feuer bleibt

Die Polizei durchsuchte jeden Winkel der Hochhaus-Ruine auf der Suche nach Hinweisen auf die Brandursache.
Foto: Chris J. Ratcliffe, afp

Die Regierung hat den Überlebenden des Unglücks im Londoner Grenfell Tower schnelle Hilfe versprochen. Aber nur wenig ist passiert. Wie die Opfer ihrem Ärger Luft machen.

Auch die Dunkelheit des Winterabends macht das Monster nicht unsichtbar. Schwärzer als die Nacht ragt der Schattenriss wie ein Grabmal in den Himmel. Das Gerippe, einst das Zuhause von hunderten Menschen, bildet den schaurigen Hintergrund für mehr als 2000 Londoner, die an diesem Abend vor der Methodisten-Kirche im Stadtteil North Kensington zusammengekommen sind. Sie zünden die mitgebrachten Kerzen an und verteilen Plakate, auf denen sie „Gerechtigkeit für Grenfell“ und „die Wahrheit“ fordern. Freunde und Bekannte umarmen sich, es herrscht eine Wiedersehensfreude wie bei einem Nachbarschaftstreffen. Doch das ist es nur vordergründig.

Das „Monument des Horrors“, wie viele das verkohlte Wohnhaus in ihrem Rücken nennen, erinnert jeden Augenblick an das Unglück, das nicht nur diese Gegend für immer verändert hat. 71 Menschen starben im Juni bei dem verheerenden Brand im Grenfell Tower. Einige der Opfer verbrannten eingeschlossen von den Flammen in ihren Wohnungen, weil sie den Vorschriften gefolgt und in ihren Apartments geblieben waren, um auf Hilfe zu warten. Es sollte sich als fataler Fehler herausstellen.

Die dramatischen Bilder des Infernos – der Klotz glich einer riesigen brennenden Fackel – haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der Nation eingeprägt. Jeden Monat treffen sich Überlebende und Nachbarn, Aktivisten und Trauernde zu einem Gedenkmarsch, dem „Silent Walk“. So auch an diesem Abend.

Beim Gedenkmarsch herzen Überlebende und Angehörige von Opfern Männer der Londoner Feuerwehr, die am Grenfell Tower im Einsatz war.
Foto: Katrin Pribyl

Es ist 19 Uhr, als die Menge plötzlich verstummt. Eine fast gespenstische Stille legt sich über die Gegend. Wie beim Trauerzug während einer Beerdigung bewegen sich die Menschen langsam durch die abgesperrten Straßen, vorbei an noblen Adressen und einfachen Arbeiterhäusern. Nur ihre Schritte sind zu hören und von weiter Ferne der Verkehr der Millionen-Metropole. Einigen laufen Tränen über die Wangen, andere sind still im Schmerz versunken, manche wedeln mit ihren Plakaten.

Auf halber Strecke haben sich Feuerwehrleute am Wegrand aufgestellt, um den Opfern ihre Ehre zu erweisen, sowie jenen Überlebenden, die traumatisiert sind, die alles verloren haben – Familienfotos, Erbstücke, Klamotten. Viele trugen damals lediglich einen Pyjama, als sie aus der Flammenhölle flüchteten. Einer nach dem anderen geht auf die Rettungskräfte zu. Sie schütteln ihnen wortlos die Hände, drücken sie wie zum Dank fest an sich.

Nur wenige Familien haben eine neue Wohnung

Es sind bewegende Momente. Alle haben Geschichten von Verlust und Verzweiflung zu erzählen, sie überschatten das Leben dieser Menschen seit dem 14. Juni. So, wie seitdem das 24-stöckige Monster den Bezirk Kensington und Chelsea im Westen Londons überschattet.

Die ehemaligen Bewohner des Sozialblocks sehen sich nicht mehr häufig, zu verstreut in der Stadt leben sie mittlerweile. Auch wenn Premierministerin Theresa May nach dem Desaster jenen 208 Familien, die eine neue Unterkunft benötigten, zügige Hilfe und eine neue Wohnung innerhalb von drei Wochen in Aussicht gestellt hat: Erst 45 von ihnen wohnen mehr als sechs Monate später in einem neuen, richtigen Zuhause. Alle anderen sitzen fest. Mehr als einhundert Haushalte feierten Weihnachten in Hotels.

London, 14. Juni 2017: Einige der insgesamt 71 Todesopfer verbrannten eingeschlossen von den Flammen in ihren Wohnungen.
Foto: Guilhem Baker/London News Pictures/Zuma, dpa

Zu ihnen gehört der 20-jährige Tiago Alves. „Das erste Trauma für uns war der Versuch, dem Feuer zu entkommen und zu sehen, wie die Menschen um Hilfe gebettelt haben“, sagt der Mann, der damals aus dem 13. Stock fliehen konnte. „Das zweite Trauma ist die Art und Weise, wie wir seitdem behandelt werden. Nichts kann verheilen, wenn man weiterhin verletzt wird.“

Die Wut ist groß, das Leben im Hotel zermürbend, insbesondere für Familien mit Kindern. Auf engstem Raum wohnen sie in einem Provisorium. Ohne Küche. Ohne wirkliche Privatsphäre. Ohne Platz für die Kinder, um Hausaufgaben zu machen, oder für Gäste. „Für die lokalen Behörden sind wir Nummern auf einem Stück Papier“, sagt Alves einigen Journalisten.

Dabei gehört der Bezirk Kensington und Chelsea zu den reichsten im Königreich. Nirgendwo sonst aber sind gleichzeitig die sozialen Unterschiede größer. Die Ärmsten der Gesellschaft teilen sich die Nachbarschaft mit den Reichen und klagen, dass sie seit Jahren von den Entscheidungsträgern vernachlässigt, von Geld und Macht verdrängt würden. Das Grenfell-Feuer steht mittlerweile für all das, was auf der Insel schiefläuft. Die jahrelange Sparpolitik der Regierung, die Kürzungen im Sozialsystem, horrende Immobilienpreise in London, auch in Folge von Luxussanierungen mit entsprechenden Folgen für die bisherigen Bewohner, Einschnitte im Öffentlichen Dienst und die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich.

Eine Frau sagt: Die Verantwortlichen müssen ins Gefängnis

„Grenfell ist die Demonstration der Krise“, sagt Moyra Samuels. Sie marschiert ebenfalls regelmäßig beim „Silent Walk“ mit, ist eigentlich Lehrerin, doch für ihren Beruf hat sie kaum noch Zeit. Die 60-Jährige engagiert sich in der Bürgerinitiative „Justice 4 Grenfell“, die Samuels als „politischen Flügel des Widerstands“ beschreibt. Die Wut der freundlichen, energischen Frau flammt immer wieder auf, wenn sie über „die Arroganz der Konservativen“ spricht, über fehlende Sprinkleranlagen im Hochhaus und gleichgültige Reaktionen der Behörden. „Wir kämpfen dafür, dass die Wahrheit aufgedeckt wird.“

Die Gruppe fordert Gerechtigkeit und dass die „Schuldigen“ in der Bezirksverwaltung und unter den Vermietern vor Gericht landen. „Die Verantwortlichen müssen ins Gefängnis“, sagt Moyra Samuels immer wieder – und weiß doch, dass das ein langwieriger Prozess werden wird. Es laufen eine unabhängige Untersuchung eines ehemaligen Richters sowie Ermittlungen der Polizei. Sie sollen bis mindestens Ende 2018 dauern.

Die Mieterinitiative von Grenfell hatte immer wieder vor mangelhaftem Brandschutz gewarnt, lange vor dem Inferno, das durch einen defekten Kühlschrank im vierten Stock ausgelöst wurde. Aber sie stieß wiederholt auf taube Ohren. Sie sei überzeugt, dass „erst ein katastrophaler Vorfall die Unfähigkeit und Stümperei unseres Vermieters“ ans Licht bringen werde, hieß es in einem Internet-Blogbeitrag unter der mittlerweile makaber anmutenden Überschrift „Spiel mit dem Feuer“.

Auch die Fassadenverkleidung war Thema gewesen – bevor sich genau diese in der schicksalhaften Nacht als Brandbeschleuniger entpuppte. Berichten zufolge hatten wohlhabende Nachbarn sie gewünscht, weil der schmucklose Turm die Aussicht störte. Für die Ummantelung aber wurde aus Spargründen entflammbares, günstiges Material benutzt statt der teureren, feuerfesten Ausführung. „Grenfell ist ein Wendepunkt für das ganze Land“, sagt Moyra Samuels. Der verkohlte Bau fungiere wie ein riesiger Spiegel, der dem Königreich vorgehalten wird. Viele andere Kommunen wissen, dass es auch sie hätte treffen können. „Wer kann die bloße Schrecklichkeit des Feuers im Grenfell Tower vergessen?“, fragt Königin Elizabeth II. in ihrer Weihnachtsansprache im Fernsehen, bevor sie den Opfern Tribut zollt.

Keiner kann das vergessen.

Joe Delaney kann den Grenfell Tower nicht mehr anschauen

Nur wenige Schritte von der Hochhaus-Ruine entfernt empfängt Joe Delaney im Restaurant „Garden Bar and Grill“ in Holzfällerhemd, schwarzen Jeans, Turnschuhen und mit zwei Hunden an der Leine. Auch sein Leben dreht sich seit Monaten vor allem um den Protest. In Aktivistenkreisen kennt man ihn. Er hat im Juni Premierministerin May bei deren Besuch „Feigling“ entgegengeschleudert, weil sie sich der direkten Konfrontation, der Kritik und den Nöten der Überlebenden entzogen hatte. Der 37-Jährige hat genug, sowohl von den vielen Beerdigungen als auch den leeren Versprechen von Stadtrat und Regierung. „Ich hänge völlig in der Luft.“

„Ich hänge völlig in der Luft“: Joe Delaney, hier mit seinen beiden Hunden, lebt noch immer im Hotel.
Foto: Katrin Pribyl

Er wohnte gleich neben dem Hochhaus und musste in jener Nacht sein Zuhause verlassen. „Die Fassade, wie sie brannte, klang wie Popcorn in der Mikrowelle.“ Nun teilt er sich mit seinen beiden Hunden ein Zimmer im Novotel im Stadtteil Hammersmith. Bett, Fernseher, Schreibtisch – für mehr ist kein Platz. Zum Gassigehen läuft er durch den „unpersönlichen“ Flur, vier Stockwerke hinunter, durch die Lobby und an Touristen vorbei, die fröhlich ihren London-Urlaub genießen.

Anfangs hat er noch mit ihnen gegessen, aber „man muss zu den bestimmten Mahlzeiten da sein, wie in der Schule“. Mittlerweile hat er sich für die andere Möglichkeit entschieden und nimmt lieber Essensgeld von den Behörden. „Die ganze Situation ist entmenschlichend.“ Am schlimmsten, sagt er, treffe ihn die „schiere Gleichgültigkeit“ der lokalen Behörden. Delaney zeigt E-Mails und Handy-Nachrichten. Grenfell ist sein Leben geworden.

Nur anschauen kann er den Turm nicht mehr. Er wendet den Blick ab, wenn er in der Gegend ist – und das ist er oft. Delaney ruft seine Hunde zur Ordnung, dann vergräbt er das Gesicht in den Händen und reibt sich die Augen. Er ist müde. Und weiß doch, dass er nicht aufhören kann, anzurufen, zu protestieren und zu kämpfen. Bis zumindest ein bisschen Gerechtigkeit gesprochen wird.

Unter den Betroffenen gehen die Meinungen darüber auseinander, was aus dem Turm werden soll. Einige wollen das Gebäude weghaben, andere ein Mahnmal daraus machen. Delaney hat keine Zweifel: Grenfell soll abgerissen und durch einen neuen Sozialbau ersetzt werden. Unter einer Voraussetzung: „Baut einen hässlicheren“, fordert er, „damit diejenigen, wegen denen es diese Fassadenverkleidung überhaupt gab, nicht am Ende auch noch gewinnen.“

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