Streit in katholischer Kirche: Wo hört das Beichtgeheimnis auf?
Mehr als 200.000 Menschen wurden in Frankreich seit 1950 von Geistlichen missbraucht. Die Politik will deshalb das Beichtgeheimnis aufheben. Doch ein Bischof wehrt sich.
Es war kein einfaches Gespräch, das der Vorsitzende der französischen Bischofskonferenz und Erzbischof von Reims, Éric de Moulins-Beaufort, in dieser Woche mit dem französischen Innenminister Gérald Darmanin zu führen hatte. Der Geistliche musste darin eine nach eigenen Worten „ungeschickte Formulierung“ in einem Radio-Interview erklären, die in der Folge solche Wellen geschlagen hatte, dass es zu der Vorladung oder, wie es diplomatischer hieß, Einladung im Innenministerium gekommen war. Darmanin zufolge handelte es sich um einen „fruchtbaren und langen Austausch“.
De Moulins-Beaufort hatte im Sender France Info erklärt, das den Priestern auferlegte Beichtgeheimnis sei „stärker als die Gesetze der Republik“. Konkret ging es um die Frage, ob ein Beichtvater, dem der Missbrauch von Minderjährigen gestanden wird, dies an die Justiz melden muss – und ob er sich strafbar macht, wenn er es unterlässt. Eine Frage, die klar mit Ja zu beantworten sei, betonte Darmanin vor wenigen Tagen auch vor den Abgeordneten der Nationalversammlung. Dies führe zu Ausnahmen des seit fast 200 Jahren geltenden Berufsgeheimnisses für Priester, vor allem, wenn es sich um Verbrechen an Kindern unter 15 Jahren handele. In Frankreich sieht ein Gesetz aus dem Jahr 1905 Laizität, also die strikte Trennung von Staat und Religion, vor.
Gutachter sieht "massives Problem" im System Kirche
Aufgekommen war die Debatte durch die Veröffentlichung des Berichts einer unabhängigen Kommission über sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche in der vergangenen Woche. Seit 1950 gab es demnach 216.000 Opfer sexualisierter Gewalt durch Geistliche. Wird der Täterkreis auf Laienmitglieder der Kirche in Schulen oder Ferienlagern ausgeweitet, steigt die Zahl der Missbrauchsopfer sogar auf 330.000 und jene der Täter auf mehr als 3000. Dem Leiter der Untersuchungskommission, Jean-Marc Sauvé, zufolge handelt es sich um ein massives Problem im System, das erst seit wenigen Jahren angegangen wird.
Die katholische Kirche in Frankreich habe es jahrzehntelang nicht nur versäumt, notwendige Maßnahmen zur Vorbeugung von sexualisierter Gewalt zu treffen, sondern auch aktiv weggesehen und bekannte Fälle nicht gemeldet. Sauvé schlug eine umfassende Reformierung des Kirchenrechts sowie die Anerkennung und finanzielle Entschädigung der Opfer vor. Außerdem sagte er, in seinen Augen stehe „die Pflicht, das Leben von Menschen zu beschützen, über der Pflicht, das Beichtgeheimnis zu wahren, welches vor allem die Hand über das Ansehen des Büßers zu halten versucht“.
Bischof von Reims ist "entsetzt" - und dennoch für das Beichtgeheimnis
Erzbischof de Moulins-Beaufort zeigte sich unmittelbar nach der Veröffentlichung des Berichts „entsetzt“ über das Ausmaß des Skandals und bat die Betroffenen um Verzeihung. Umso größer war das Unverständnis, als er in der Folge in seinem Radio-Interview durchscheinen ließ, dass er das Beichtgeheimnis trotzdem für unantastbar hält. Zum einen wisse man nicht, wie viele Pädophile ihre Taten wirklich beichteten, sagte er. Zum anderen wagten manche Opfer nur, sich ihrem Beichtvater anzuvertrauen, weil sie auf dessen Stillschweigen setzten. Weil dies wie ein Plädoyer für die Bewahrung des Beichtgeheimnisses selbst für pädophile Täter klang, sah sich die katholische Kirche nach dem Gespräch zwischen de Moulins-Beaufort und Innenminister Darmanin dazu gezwungen, in einer Stellungnahme zurückrudern: „Man muss sicherlich präziser und härter sein bei der Tatsache, dass sexuelle Gewalt nicht ein Problem der Keuschheit ist, sondern ein Angriff auf das Leben, ein Verbrechen und zumindest in symbolischer Hinsicht ein Mord.“ Nun werde die Kirche darüber nachdenken, wie sie die Natur der Beichte und die Notwendigkeit, Kinder zu beschützen, miteinander in Einklang bringen könne.
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