Gebärdensprache als Muttersprache: Wie Menschen damit kommunizieren
Schwerhörige und taube Menschen verständigen sich mit Gebärdensprache. Corona ist eine Herausforderung - nicht nur wegen der Maskenpflicht.
Gehörlose sind nicht taubstumm. Die meisten Gehörlosen sprechen - und zwar die Gebärdensprache. Darauf weist das Projekt „nicht stumm!" hin. Die Bezeichnung taubstumm sei dementsprechend veraltet und diskriminierend. Die Initiative Taubenschlag möchte dadurch mit Klischees und Stereotypen über taube Menschen und die Gebärdensprache aufräumen. Denn davon gibt es viele. Am heutigen internationalen Tag der Gebärdensprache soll darauf aufmerksam gemacht werden. Vor allem im Kontext der aktuellen Corona-Pandemie und der Debatte um eine strengere Maskenpflicht zeigen sich auch die Herausforderungen für Gehörlose und Hörgeschädigte.
Die Gebärdensprache ist visuell und dreidimensional
Im Gegensatz zur akustischen Lautsprache ist die Gebärdensprache sehr visuell. Helen Wollstein vom Gehörlosenverband München und Umland e.V. erklärt, dass dabei der ganze Raum ausgenutzt wird. Die Gebärdensprache ist dreidimensional und hat ihre eigene Grammatik. Das unterscheide sie von der deutschen Lautsprache. Sie bezieht die Handform, die Mimik, die Bewegung der Lippen und die Körperhaltung mit ein. Damit sei sie teilweise schneller als die Lautsprache, sagt Wollstein. Außerdem könne die Gebärdensprache nicht nur einzelne Buchstaben, sondern auch ganze Wörter mit einer Bewegung ausdrücken.
Die Gebärdensprache unterscheide sich dabei regional, betont Wollstein. Genau wie es in der deutschen Lautsprache Dialekte gibt, würden bestimmte Gebärden auch von Region zu Region voneinander abweichen. Auch weltweit unterscheiden sich die Gebärdensprachen, stellt Benjamin Busch klar. Der Dozent am Bildungsinstitut GIB in Nürnberg ist selbst taub und weist daraufhin, dass es international mehr als 100 unterschiedliche Gebärdensprachen gebe.
Eine Gebärde für Corona musste sich erst entwickeln
Für neue Wörter, wie beispielsweise das Wort Wirecard oder Corona, würden sich im Laufe der Zeit erst neue Gebärden ergeben. Sarah Sterzik, Gebärdendolmetscherin aus Augsburg erklärt, dass dafür zunächst einmal das Wort buchstabiert werde. Im Anschluss daran ergäbe sich dann eine spezielle Gebärde. Für das Wort Corona wäre das folgende Gebärde, sagt Sterzik: „Rechtshänder, bei denen die rechte Hand dominiert, formen die linke Hand zu einer Faust, der Daumen ist außen - ähnlich wie die Geste für das Fass bei Stein, Schere Papier. Die rechte Hand liegt flach auf und dreht sich." Dieses Beispiel zeigt, dass sich die Gebärdensprache - genau wie die akustische Lautsprache auch - wandelt.
Die Gebärdensprache ist für taube Menschen oftmals die Muttersprache
Obwohl taube oder schwerhörige Menschen mittels der Gebärdensprache kommunizieren, können sie auch ihre Stimme benutzen und sich teilweise akustisch artikulieren, erklärt Wollstein. Wie das Projekt „nicht stumm!" klarstellt, bringt das aber oft Schwierigkeiten mit sich, da die akustische Lautsprache meist nicht die Muttersprache der schwerhörigen und tauben Menschen ist. Das sei in den meisten Fällen die Gebärdensprache.
Eine weitere große Herausforderung stellt zudem die Maskenpflicht dar, die aufgrund von Corona momentan in vielen öffentlichen Räumen verpflichtend ist. Schwerhörigen und tauben Menschen falle es dadurch viel schwerer mit Hörenden zu kommunizieren, macht Bernd Schneider, Vorsitzender des Landesverbandes Bayern der Gehörlosen e.V. deutlich. Sobald Masken den Mund bedecken, sei es für Taube und Schwerhörige nämlich nicht mehr möglich die Lippen ihres Gegenübers zu lesen. Obwohl nur ein Drittel der Laute beim Sprechen außerhalb des Mundes gebildet werden, hilft diese Technik Gehörlosen bei der Kommunikation mit Hörenden, meint Schneider. Gut zu wissen: Wer mit schwerhörigen oder tauben Menschen kommunizieren möchte, darf sogar seine Mund-Nasen-Bedeckung absetzen. Das ist laut einem Zusatz der Bayerischen Infektionsschutzmaßnahmenverordnung erlaubt.
Es braucht mehr Dolmetscher und barrierefreies Fernsehen
Die Corona-Pandemie habe noch einmal verdeutlicht, mit welchem Informationsdefizit taube und schwerhörige Menschen konfrontiert seien. Bei offiziellen Pressekonferenzen im Fernsehen habe es beispielsweise wenig direkt eingeblendete Dolmetscher gegeben, kritisiert Schneider. Das sei oftmals nur über das Internet möglich gewesen. Schneider lobte in der Hinsicht aber zum Beispiel die neue Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg Eva Weber (CSU), die in ihren Pressekonferenzen zur aktuellen Corona-Lage direkt eine Dolmetscherin einblenden lasse.
Nichtsdestotrotz brauche es mehr barrierefreies Fernsehen für Schwerhörige und Taube - vor allem in Krisenzeiten. Da sind sich alle Vertreter der Gehörlosen einig. Zudem wünsche man sich mehr Gebärdensprachendolmetscher innerhalb offizieller Institutionen, wie der Polizei, dem Krankenhaus oder den Behörden. Auch das Angebot eines Wahlfaches "Gebärdensprache" in Schulen würde Benjamin Busch sehr freuen. (mit hhc)
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