Haarewaschen im ICE - Leonie Müller wohnt im Zug
Leonie Müller tauschte ihre Wohnung gegen eine Bahncard 100 und wohnt nun im Zug: Wie Haarewaschen im ICE geht, was Heimat ist und wie sie auf Kritiker reagiert.
Aus dem Blog von Leonie Müller, 1. August 2015: "Der Duden definiert "wohnen" als „seinen ständigen Aufenthalt haben“ – und genau das bin ich nun ja: Ständig im Zug unterwegs. Und die Durchsagen, die dunkelblauen Sitze mit den hellblauen Kissen, die helle Decke, das Muster des unauffälligen ICE-Teppichs und das Geräusch der schließenden Zugtüren sind mir inzwischen so vertraut und lösen so ein Gefühl des zu-Hause-seins aus, wie es bei meiner vorherigen, nicht beweglichen Wohnung das Geräusch der Haustür, die Position der Lichtschalter, das Zwitschern der Vögel draußen im Garten und der Wasserkocher mit dem Wackelkontakt getan haben. Rein gefühlt wohne ich also sowieso im Zug."
Innerhalb kürzester Zeit ist Leonie Müller überall aufgetaucht. Klar, einerseits, weil sie ständig unterwegs ist. Seit drei Monaten wohnt sie mit einer Bahncard 100 im Zug und landet so mal in Bielefeld, mal in Berlin, mal in Stuttgart. Andererseits ist sie nun auch weltweit präsent. Sie taucht an Infobildschirmen von U-Bahnhöfen auf. Niederländische, indonesische, deutsche Zeitungen - viele schreiben über die Studentin aus Bielefeld, die zurzeit keinen festen Wohnsitz hat. Und sie wiederum? Die 23-Jährige schreibt auf ihrem Blog und in Facebook über die, die über sie schreiben. "Wie's mir damit geht und was ich dazu denke schreibe ich jetzt mal auf und veröffentliche es dann heute! Ihr seid crazy!", ist ihr Kommentar auf Facebook. Studentin lebt in Zug - Wie findet das eigentlich die Bahn?
Leonie Müller denkt nicht ans Aufhören
Mit ihrer Vermieterin hatte Leonie Müller eine Meinungsverschiedenheit, sie hatte Freunde in ganz Deutschland und war schon immer viel gereist. Daher beschloss Müller, ihre Wohnung gegen die Bahncard 100 zu tauschen, womit sie freie Fahrt in allen Zügen in Deutschland hat. Ans Aufhören denkt sie nach nun drei Monaten nach eigenen Aussagen gar nicht. Über ihre Reise schreibt die 23-Jährige, die in Tübingen studiert, einen Blog, den sie für ihre Bachelorarbeit mit verwendet.
Immer wieder wird die Studentin kritisiert, gelobt, neugierig gefragt. Ein Blog-Leser wies sie daraufhin, dass die Farben ihres Blogs - Schwarz, Weiß und Rot - auch die Farben den Nazi-Regimes waren. Sie antwortet mit einem "Nö, ich bin kein Nazi" und erklärte, dass die Farben Schwarz und Weiß der Lesbarkeit und Rot die Corporate-Farbe der Deutschen Bahn sei. Apropos Bahn: Ob sie von der Deutschen Bahn bezahlt werde, fragte ein anderer. Frech wie immer antwortete sie: "Nein, werde ich nicht. Die Bahn ist der einzige Anbieter eines flächendeckenden Schienenverkehrs in Deutschland. Es gibt jede Menge andere, private Eisenbahngesellschaften, die allerdings für Fernverkehr-Bahnfahrer wie mich irrelevant sind. Heißt: Es gibt keine Konkurrenz, über die ich berichten könnte."
Wie geht Haarwäsche im ICE? "Mit Sportlichkeit", findet Leonie Müller
Über Wochen reihen sich so Kilometer und Bahnhöfe aneinander. Weder vom Bahnstreik sei sie richtig betroffen gewesen - "da rund ein Drittel der Fernverkehrsverbindungen trotzdem fuhren, konnte ich problemlos zwischen Köln und Tübingen pendeln" - noch habe ihr ein Schneesturm einen Strich durch die Rechnung gemacht (man beachte die Jahreszeit). Mal schreibt Leonie Müller von einem 800-Kilometer-Uni-Tag. Dann berichtet sie über eine Haarwäsche im ICE. Die Strecke zwischen Stuttgart und Mannheim passe dafür von der Zeit her genau. Und ja, die Haarwäsche in den Toilettenräumen mit Waschbecken "erfordert natürlich durchaus gewisse sportliche Geschicklichkeit, allerdings auch nicht zu viel davon". Oft beendet sie ihre Post-Einträge im Bahndeutsch mit "Ende der Durchsage".
Und natürlich setzt sie, die bei ihrem Freund in Köln gemeldet ist, aber keine Wohnung hat, sich mit dem Begriff "Heimat" auseinander. Die ist für sie "überall ein bisschen", schreibt sie. Der ICE? Der fühlt sich für sie an wie zuhause (englisch: ... feels like home):"Wie vorgestern nach einem langen Unitag in den ICE zu steigen, die Schuhe auszuziehen, die Kopfhörer aufzusetzen, die Musik anzumachen, mich in meine Jacke zu kuscheln, die Brille abzusetzen und die verschwommenen Lichter draußen vor der Fensterscheibe vorbeiziehen zu sehen, erzeugt bei mir das wohlige Gefühl, zu Hause zu sein. Dann kommt jemand in Uniform, kontrolliert meinen Mietvertrag, grinst, wenn er sieht, dass ich mich in meiner Sitzreihe schon häuslich eingerichtet habe, und der Zug düst in den Sonnenuntergang…" Klingt fast genauso, wie wenn unsereins mit festem Wohnsitz abends von der Arbeit nach Hause kommt, nicht wahr? mit dpa
Die Reise kann man verfolgen unter:
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