„Ich ging in der Mutterrolle nicht auf“
Ursula Karok, Mutter zweier Töchter, 77, verheiratet, Künstlerin aus Augsburg.
Ich stehe dazu, was ich denke und sage, auch wenn’s ein Tabuthema ist. Meinen beiden Töchtern habe ich schon vor vielen Jahren gesagt, dass es mir Leid tut, dass sie ohne Vater aufwachsen müssen und dass ich mir das anders vorgestellt hatte. „Wenn ich gewusst hätte, dass ich euch allein großziehen muss, hätte ich euch nicht gekriegt“, sagte ich ihnen. Sie haben das verstanden und wussten, dass ich sie trotzdem sehr liebe.
Meine erste Tochter war ein Wunschkind. Meine zweite auch – bloß hätte ich sie nicht gleich elf Monate und acht Tage später bekommen wollen. Als die Kinder klein waren, ging ich schon nicht in der Mutterrolle auf. Dauern Atta-aatta-bäh, das war schrecklich, nichts für mich. Als ich mich meiner Schwägerin, einer Juristin in meinem Alter, anvertraute und ihr meine Gedanken schilderte, sagte diese: „Was willst du eigentlich? Das ist doch ganz normal, das war schon immer so, das haben unsere Eltern früher auch gemacht.“ Ich dachte mir damals: Warum soll das normal sein, dass wir mit Kindern eingesperrt werden und auf uns allein gestellt sind? Nur weil es immer so war? Ich bin an die Decke gegangen. Mädchen wurden damals zu Dienerinnen von Jungs und Männern erzogen. Ich war durch meine beiden Brüder aber gut vorbereitet, mich zu wehren. Wegen der Kinder blieb ich elf Jahre bei meinem Mann. Dann ging es nicht mehr.
Ich war 37 Jahre als ich geschieden wurde, meine Kinder waren 10 und 11 Jahre alt. Mein Mann hatte sich vom Märchenprinz in eine Kröte verwandelt, ich hatte Angst vor ihm und er hatte eine Krise. Das ist oft so, dass Männer Krisen haben und deswegen Ehen auseinander gehen. Nach der Scheidung war ich auf Sozialhilfe angewiesen und habe jahrelang mit meinen Töchtern am unteren Limit gelebt. Trotzdem habe ich es geschafft, als gelernte Holzschneiderin mein Studium zu beenden. Kommilitonen, die bei der Bundeswehr waren, bekamen Bonuspunkte beim Staatsexamen. Ich, die ich zwei Kinder in die Welt gesetzt hatte, bekam nichts. Also musste ich mich erst einmal als Aushilfslehrerin durchschlagen.
Meine Töchter leben nicht annähernd ein besseres Leben als ich, obwohl sie sich so anstrengen. Das zu sehen, quält mich. Nichts von dem, was ich mir für meine Mädchen gewünscht habe, ist in Erfüllung gegangen. Leider ist es noch immer ein Tabuthema, als Frau anzusprechen, dass einen das Muttersein nicht erfüllt hat oder man es gar bereut. Das liegt sicher auch an der Kirche. Die Gottesmutter ist die Große, die alles versteht und verzeiht. Das ist auch der Traum vieler Männer, dass eine Frau alles versteht und verzeiht, eine Mutter erst recht.
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