Wegen schwangerer Freundin gekündigt: Organist will Job zurück
Der Organist Bernhard Schüth wurde vor 16 Jahren nach Kirchenrecht gekündigt, als er mit seiner schwangeren Freundin zusammenzog. Seither kämpft er um seine Wiedereinstellung.
Ihr Ton hat ihn gleich berührt. Er ist weich und lebendig, und wenn Bernhard Schüth erzählt, wie es war, als er das erste Mal auf dieser Orgel gespielt hat, ist es, als ob er von einem Menschen spricht. Diese Orgel steht in der katholischen Lambertus-Kirche in Essen.
Es ist eine Flentrop-Orgel, ein Fabrikat, mit dem sich große Gotteshäuser auf der ganzen Welt wie der Dom von Riga schmücken. 1998 hat er zuletzt auf ihr gespielt. Doch noch heute kommt er regelmäßig zu Konzerten vorbei. Er sagt, für ihren Ton lohne es sich zu kämpfen. Immer noch.
Das Landesarbeitsgericht lehnte Schüths Klage ab
Dass das Landesarbeitsgericht Düsseldorf Anfang Juni seine Klage auf Wiederaufnahme abgeschmettert hat, schreckt ihn nicht ab. Es ist ein Rechtsstreit, so verzwickt, dass ihn nur noch Juristen durchschauen. Sechzehn Jahre lang schon zieht er sich hin, ein ständiges Auf und Ab. Doch Bernhard Schüth gibt nicht auf. Er ist Organist mit Leib und Seele, ein grau gewordener Junge aus dem Ruhrpott. Einer, der die Ärmel hochkrempelt, wenn es anzupacken gilt. Ein Familienmensch.
Viele kennen seinen Namen. Er wurde zur Chiffre dafür, wie die katholische Kirche mit Mitarbeitern umgeht, die gegen das kirchliche Arbeitsrecht verstoßen haben, sei es, weil sie nach einer Scheidung wieder geheiratet haben, oder – wie in einem Fall im Landkreis Neu-Ulm – als Homosexuelle eine Lebenspartnerschaft eingegangen sind.
Bernhard Schüth passt in keine dieser Kategorien. 1997 wurde er als Kantor in der Essener Lambertus-Gemeinde fristlos gekündigt. Dem Pfarrer war zu Ohren gekommen, dass seine neue Lebensgefährtin ein Kind von ihm erwartete. Er und seine Ehefrau hatten sich schon zwei Jahre zuvor getrennt, nach vierzehn Jahren Ehe und zwei gemeinsamen Töchtern. „Einvernehmlich“, darauf legt er Wert.
Er war in einen anderen Stadtteil gezogen mit einer anderen Frau, auch sie frisch getrennt, auch sie ein engagiertes Mitglied im Kirchenvorstand derselben Gemeinde.
Kirchenrecht auf dem Prüfstand
Man könnte meinen, das ginge den Arbeitgeber nichts an. Job sei Job und das Familienleben Privatsache. Doch so einfach ist das nicht. Nach kirchlichem Arbeitsrecht galt bislang nur die Wiederheirat nach einer Scheidung als Kündigungsgrund. Es ist ein Passus, der von der Realität überholt wurde. Inzwischen steht er sogar kirchenintern auf dem Prüfstand: Eine Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz um den Essener Bischof Franz-Josef Overbeck klopft die kirchliche Grundordnung auf „Loyalitätsfragen“ ab. Noch in diesem Jahr soll sie Ergebnisse vorlegen.
Kündigung wegen Ehebruchs, trotz einvernehmlicher Trennung
Doch im Fall Schüth ging die katholische Kirche sogar noch einen Schritt weiter. Ob er bereit sei, sich von seiner schwangeren Freundin zu trennen? Schüth dachte, er hätte sich verhört. Er wurde gekündigt – wegen Ehebruchs, so lautete die offizielle Begründung. Schüth weigert sich, das zu akzeptieren. An seiner Arbeit hatte es bis dahin nie Kritik gegeben.
Warum also gerade er? Seine Lebensgefährtin Ulrike Muhr, 50, ist eine bekannte Rechtsanwältin, spezialisiert auf kirchliches Arbeitsrecht. Sie hat vor ihm schon andere entlassene Kirchenmusiker verteidigt. Der Kampf für ihn war eine gute Werbung für ihre Kanzlei.
Das verleiht der Geschichte eine gewisse Pikanterie. Bernhard Schüth will das nicht kommentieren. Er sagt: „Ich bin der erste Fall, dem gekündigt wurde, weil er privat sein neues Lebensglück gefunden hat.“ Der Organist klagte gegen seine Entlassung, in den ersten beiden Instanzen bekam er Recht. Doch dann überwies das Bundesarbeitsgericht das Verfahren wegen einer Formalie zurück ans Landesarbeitsgericht Düsseldorf, und diesmal verlor Schüth. Er legte Verfassungsbeschwerde ein, ohne Erfolg.
Bernhard Schüths Tochter rebelliert gegen die Kirche
Für die Kirche schien der Fall erledigt. Für Schüth und seine Anwältin fing er erst an. Ulrike Muhr ist eine quirlige Fünfzigerin, eine, die Klartext spricht. Wenn es um ihren Lebensgefährten geht, redet sie von „Herrn Schüth“. Das gebietet die professionelle Distanz. Doch natürlich ist sein Fall auch ihr Fall, es geht um 320.000 Euro, um entgangenes Gehalt und entgangene Rentenansprüche. Aber das ist nicht alles.
Da ist ihre Tochter Salomé, inzwischen sechzehn Jahre alt. Eloquent wie ihre Mutter, musikalisch wie der Vater. „Voll krass“, findet Salomé, dass die Kirche ihre Zeugung zum Anlass genommen hat, ihren Vater vor die Tür zu setzen. Mit vierzehn ist sie aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sie sagt, ihre Oma habe schon geschluckt, aber es musste sein. Ein Akt der Rebellion? „Ja, auch“, sagt sie.
Deutsche Rechtsprechung gilt als Kirchenfreundlich
Ihre Eltern wären 2010 aber wohl nicht bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg gegangen, wenn es ihnen in diesem Prozess nicht auch um die Frage ginge, wie weit sich die Kirche in die Privatangelegenheiten ihrer Mitarbeiter einmischen darf.
Die staatliche Rechtsprechung in Deutschland gilt immer noch als kirchenfreundlich, die EU hat das moniert, als der Bundestag 2006 das sogenannte Antidiskriminierungsgesetz verabschiedete. Danach darf niemand wegen seiner Religion benachteiligt werden. Die kirchliche Rechtsprechung berührt dieses Gesetz aber nicht. Beide Volkskirchen haben Sonderregeln ausgehandelt.
Im Fall Schüth erklärte der EMGR 2010 die Kündigung zwar nicht explizit für rechtswidrig, doch das Urteil war ein Warnschuss in Richtung der Arbeitsgerichte. Die, so monierten die Straßburger Richter, hätten Schüths Recht auf Privatsphäre gegen die Interessen des Arbeitgebers abwägen müssen. Sein Job sei nicht so eng mit dem Verkündigungsauftrag verbunden, dass sein neuer Beziehungsstatus die Glaubwürdigkeit der Kirche erschüttern könne, entschieden die Richter. Das Verfahren müsse in Deutschland noch einmal neu aufgerollt werden.
Das Urteil hatte Signalwirkung. Schließlich sind die kirchlichen Einrichtungen und Kirchenstiftungen in Deutschland nach dem Staat die größten Arbeitgeber. Allein die Caritas beschäftigt bundesweit 559 000 Mitarbeiter. Die Einrichtungen gelten als das Aushängeschild der Kirchen. Deshalb haben sich diese lange das Recht vorbehalten, Stellen mit getauften Bewerbern zu besetzen. Angesichts des demografischen Wandels wird es jedoch zunehmend schwieriger, Personal zu finden, das zum eigenen Profil passt. Bei der Caritas heißt es, besonders in der Pflege gebe es Engpässe. Juristen gehen davon aus, dass die Kirche um Öffnungen nicht herumkommt. Den Kirchenmusiker würde das freuen.
Ex-Organist will Neuaufnahme des Verfahrens erstreiten
In seiner Sache ist er noch nicht weitergekommen. Gegen die jüngste Niederlage vor dem Landesarbeitsgericht Düsseldorf geht er in Revision. Seine Hoffnung ruht auf dem Bundesverfassungsgericht. Vor dem höchsten Gericht will er eine komplette Neuaufnahme des Verfahrens erstreiten. Schüth sagt: „Wenn wir dort nicht weiterkommen, ziehen wir wieder vor den EMGR.“
Es ist eine Sisyphusarbeit, doch er gibt nicht auf. Er hat jetzt eine halbe Stelle bei einer evangelischen Kirchengemeinde. Mehr Stunden darf er dort als Katholik nicht arbeiten. Noch so ein Fallstrick des kirchlichen Arbeitsrechts. Was ihm bleibt, ist Zeit für die Kinder. Fotos von Salomé und ihren Halbschwestern hängen im Wohnzimmer. Ein Einfamilienhaus im Grünen, Schaukel im Garten. Schüth sagt, die Familie sei die Quelle seiner Kraft.
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