Der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. äußert sich zu den Ursachen des Missbrauchsskandals in der Kirche. Sein Aufsatz ist fatal.
Im Februar 2010 war nicht abzusehen, welches Ausmaß der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche annehmen würde. Der damalige Augsburger Bischof Walter Mixa aber wusste genau, was und wer eine Mitschuld an dem Übel trage, wie er es in einem Interview mit unserer Redaktion formulierte: „Die sogenannte sexuelle Revolution, in deren Verlauf von besonders progressiven Moralkritikern auch die Legalisierung von sexuellen Kontakten zwischen Erwachsenen und Minderjährigen gefordert wurde, ist daran sicher nicht unschuldig.“ Sowie die „zunehmende Sexualisierung der Öffentlichkeit“.
Mehr als neun Jahre später findet dieses Denken ein schauriges Echo in dem, was der zurückgetretene Papst Benedikt XVI. in einem Aufsatz veröffentlichte. Dessen Inhalt ist in mehrfacher Hinsicht fatal. Gerade weil Benedikt zu einem „neuen Aufbruch“ der Kirche beitragen will, sich stattdessen allerdings in alten Kämpfen verliert.
Missbrauchsskandal: Benedikt sucht die Schuld bei anderen
Die Kirche jedenfalls befindet sich in ihrer größten Krise in jüngerer Zeit. Und zwar in hohem Maße, weil sich Kleriker an Kindern vergangen haben. Man muss Benedikt zugutehalten, dass er gegen Täter in den eigenen Reihen vorging. Dieses Schreiben jedoch ist ein Offenbarungseid. Es zeugt von einer sprachlos machenden Realitätsverweigerung und Vergangenheitsverklärung. Es schließt von seiner teils bizarren Argumentationsweise her an jene jahrzehntelang in der katholischen Kirche geübte Praxis des Verschweigens, Vertuschens, Ablenkens und Attackierens – von Opfern oder Journalisten, die Missbrauchsfälle öffentlich machten – an.
So sucht Benedikt die Schuld bei anderen: beim Staat, Bahnhofskinos (die Pornos zeigten), den 68ern oder „homosexuellen Klubs“ in Priesterseminaren. Mit Letztgenannten bedient er die in traditionalistischen Kreisen beliebte Verschwörungstheorie von der Schuld der Schwulen am Zustand der Kirche. Zugleich bejammert er regelrecht eine „Auflösung der moralischen Lehrautorität der Kirche“.
Benedikt stellt die Kirche als Opfer dar
Vor allem aber stellt er die Kirche als „wehrlos gegenüber den Vorgängen in der Gesellschaft“ dar und somit selbst als Opfer – über das, konsequent weiter gedacht, der Missbrauchsskandal ja hereinbrechen musste. Wer so denkt, hat wenig bis nichts verstanden von den Risikofaktoren, die Missbrauch begünstigen. Auch in der Kirche geht es dabei vor allem um das Thema Machtmissbrauch. Das Wort „Opfer“ übrigens kommt zwei Mal in seinem langen Text vor, Selbstkritik findet man darin nicht.
Benedikt konterkariert mit seinem Aufsatz die ernsthaften Bemühungen und Debatten in der Kirche um Aufarbeitung und Prävention. Sie ist vielerorts sehr viel weiter als er. „Die Idee einer von uns selbst besser gemachten Kirche ist in Wirklichkeit ein Vorschlag des Teufels“, schreibt er. Es wäre besser gewesen, er hätte geschwiegen.
Die Diskussion ist geschlossen.
Wie gut, daß der emeritierte Papst Benedikt XVI. unerschrocken zur Sprache bringt, was Daniel Wirsching und Co. gewaltig gegen den Strich geht und ihn Gift und Galle spucken läßt. Zunächst den allgemeinen gesellschaftlichen Kontext der Frage, ohne den das Problem, wie Benedikt schreibt, nicht verständlich ist. Allein schon dies, daß Journalist Wirsching die Beschreibung dieses gesellschaftlichen Kontextes auf die dreiste Behauptung herunterbügelt, Benedikt suche "die Schuld bei anderen", dürfte erkennen lassen, daß es Wirsching nicht darum geht, ein ihm fremdes Denken erst einmal unverstellt zur Sprache zu bringen, bevor er darüber herfällt.
Was etwa die "homosexuellen Clubs" in Priesterseminaren betrifft, auf die Benedikt tatsächlich hinweist, so bedient er keineswegs, wie Wirsching behauptet, die "in traditionalistischen Kreisen beliebte Verschwörungstheorie von der Schuld der Schwulen am Zustand der Kirche". Was dagegen Benedikt anspricht, ist die Frage des "priesterlichen Lebens" und das Problem der "Vorbereitung zum priesterlichen Dienst in den Seminaren". Und die pflegte bisher eben anders auszusehen als etwa die eines Kanditaten für das Laienamt eines Pastoralreferenden - ob das nun den "fortgehenden Köpfen" (Clemens Brentano) bzw. den unter der Standarte des "Vorwärts immer, rückwärts nimmer" Versammelten gefällt oder nicht.
Ein treffender Kommentar.
Ich füge hinzu: je doller sie sich gebärdet, die Katholische Kirche, je verräterischer diese Institution, die sich, in was?, flächendeckend von einer kriminellen Organisation unterscheidet?
Die distanzlose Besudelung einer ganzen Gesellschaft ist beeindruckend.
Wo liegt das Problem? Ratzinger formuliert doch nur, was sich aus seiner traditionalistischen und ultrakonservativen Vorstellung von Glauben und Kirche erschliesst.
Wer glaubt denn ernsthaft, dass dieses morsche Gebilde jemals zur einer Selbstreflektion mit entsprechenden Konsequenzen fähig sein wird.
Daniel Wirsching bemerkt in seinem niveaulosen Beitrag nicht, dass er nur oft gehörte Phrasen wiederholt - inhaltliche Kritik kann er nicht vorbringen. Bedauerlich.