Charlotte Roche und Sarah Kuttner sind die neuen Emanzen
Sie sind 36 und stehen als selbstbewusste Frauen in der Öffentlichkeit - Sarah Kuttner und Charlotte Roche. Ihre Bücher zeigen, was sie über sich und die Welt zu sagen haben.
War das die größtmögliche Adelung? Damals, als die bekannte Fernsehmoderatorin Charlotte Roche mit ihrem Romandebüt „Feuchtgebiete“ für ein bisschen Skandal sorgte, weil manche Szenen im Buch ziemlich eigenwillig pornografisch und die ganze Frauenfigur so gar nicht kämpferisch aufgeklärt wirkte – da sagte doch ausgerechnet die Symbolfigur der deutschen Frauenbewegung, Alice Schwarzer, dass diese tabulose Offenlegung der weiblichen Körperlichkeit und Hygiene für sie ein Stück aktueller Emanzipation sei. Ist es das?
Im Oktober bereits ist Roches dritter Roman erschienen, „Mädchen für alles“. Und ebenso hat nun eine andere Frau im gleichen Alter, mit einem sehr ähnlichen Werdegang und sehr ähnlichen Themen ihr drittes Buch vorgelegt: Sarah Kuttner, „180 Grad Meer“. Beide sind 36, haben ihre Karriere im damals neuen und hippen Musikfernsehen begonnen, ihre Bücher sind Bestseller, Roche ist zudem mit Filmen erfolgreich, Kuttner aktuell mit einer eigenen Talk-Sendung zu sehen.
In der Zusammenschau lässt sich eine ziemlich klare Antwort darauf finden, was sie mit ihren Büchern eigentlich wollen – und was das über Frauenrollen erzählt. Auf Feminismus angesprochen jedenfalls reagieren beide nicht von ungefähr relativ kritisch.
Charlotte Roche sorgte mit "Feuchtgebiete" für einen Skandal
In Kuttners neuem Roman erzählt Jule von ihrem Kampf gegen den Selbsthass. Am glücklichsten noch ist die Gelegenheitssängerin, wenn sie sich doppelt abgeschottet von der Welt fühlt, von einem fahrenden Zug oder ihrer eigenen Bettdecke umgeben und dazu die Nase in der Achselhöhle ihres Freundes Tim vergraben. Die Beziehung zu dem aufmerksamen, bemühten, empfindsamen Mann aber hindert sie nicht am Gelegenheitssex mit dem Chef der Bar, in der sie auftritt.
Als das herauskommt, flieht Jule nach London zu ihrem Bruder, aber vor allem immer wieder ans Meer. Weil nur in der Leere eines unverstellten Blicks auf Wasser und Horizont ihre Zweifel und Ängste zu verstummen scheinen. Vor allem aber zeigt sich: Sie ist auf der Flucht vor der Vereinnahmung durch ihre egomanische Mutter – und sie will nichts von ihrem Vater wissen, von dem sie sich verraten fühlt, seit er damals die Familie verlassen hat.
Sarah Kuttner hatte in ihrem erfolgreichen Debütroman „Mängelexemplar“ von Caro erzählt, die wie der Inbegriff einer modernen, selbstbewussten jungen Frau wirkte – bis ihr plötzlich alles entgleitet und sie in Depressionen versinkt. Charlotte Roche hatte in „Feuchtgebiete“ von Helen erzählt, die sich bei all ihren delikaten Leidenschaften vor allem nach der Wiedervereinigung ihrer Eltern sehnt – und an die Grenze der Selbstzerstörung kommt. Und in Roches aktuellem „Ein Mädchen für alles“ steht mit Christine eine Frau im Zentrum, die sich in einer scheinbaren Normalität mit Ehe und Kind verzweifelt und verloren fühlt und in Depressionen fällt. Bis sie mit voller Wucht aus dem klassischen Rollenbild ausbricht, um sich wieder selbst zu spüren.
Eine neue Form der Emanzipation von Roche und Kuttner
So sind die Muster schnell gefunden, um die die Autorinnen immer wieder kreisen und von denen sie auch öffentlich eingestehen, dass es ihre ureigensten sind: Selbstzweifel und Depression, Rollenversagen und Elterndominanz. Es geht tatsächlich um Fragen der Identität und des Scheiterns, grundsätzlich in der heutigen Zeit, aber vor allem als Frau. Und es ist das therapeutische Aufarbeiten solcher Konflikte durch Frauen, die doch durch ihre Erfolge gerade als selbstbewusste Frauen in der Öffentlichkeit erscheinen.
Die Botschaft tritt offen zutage. Das Dilemma ist ein doppeltes: Die klassische Familie hat sich in der vorigen Generation oft aufzulösen begonnen. Nun finden sich die davon Verwundeten in vermeintlich unbegrenzten Möglichkeiten wieder. Wohin mit all der Freiheit? Und wie viel von den vermeintlich überwundenen klassischen Mustern kann dennoch richtig sein? Oder ist das nur dem eigenen Verlusttrauma der Trennungskinder geschuldet?
Wenn das kein Stoff für Literatur ist! Roche und Kuttner aber verweigern sich diesem Anspruch. Dem schwellenlosen Format von Comedy-Serien wie „Sex and the City“ nachempfunden, im schnoddrigen Ton von Bloggern, mit Westentaschenpsychologie und viel Lebensgefühl, sehr körperlich und rauschbereit breiten beide diese Untiefen aus. Das lässt sich durchaus als eine neue Form der Emanzipation verstehen, die nicht wie gesellschaftlicher Klassenkampf daherkommt, sondern als das heutige Drama der Individualität in seiner geschlechtsspezifischen Erscheinung.
Gerade weil die Freiheit zum Ich und die Verurteilung zur Wahl eines persönlichen Sinn- und Lebensmodells aber in unserer modernen Wohlstandsexistenz ein allgemeines Schicksal ist, wird aus den privaten Offenbarungen ein Generationenbefund. Das kann, wenn sich die Leserinnen nicht nur einfach amüsieren, also durchaus etwas Emanzipatorisches haben – im Sinne einer Selbstaufklärung. Mit Feminismus aber hat das trotzdem nichts mehr zu tun.
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