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  3. Dortmund: Mann ohne Gedächtnis: Wie Herr W. nach seiner Vergangenheit sucht

Dortmund
16.08.2017

Mann ohne Gedächtnis: Wie Herr W. nach seiner Vergangenheit sucht

Mittlerweile ist die Identität von Herrn W., wie die Dortmunder Polizei den Mann ohne Gedächtnis nannte, geklärt. Doch ob seine Erinnerung auch zurückkehrt, ist fraglich.
Foto: Illustration: Nina Müller/Foto: Polizei Dortmund

In Dortmund findet die Polizei einen Mann in einem Güterwaggon. Er weiß nicht, wer er ist. Nach Monaten scheint seine Identität geklärt. Und doch bleibt da ein großes Loch.

Seit Freitag ist Herr W. ein gutes Stück weiter. Er weiß jetzt zumindest, wie er mit richtigem Namen heißt. Er weiß, dass er 57 Jahre alt ist und dass er aus Dortmund stammt, aus der Stadt, in der er vor vier Monaten auch gefunden wurde. Wahrscheinlich hat ihm die dortige Polizei noch ein paar Details mehr genannt. Wo er gewohnt hat, welcher Arbeit er nachgegangen ist, ob er Familie hat. All diese Fakten, die letztlich eine Identität ergeben, kennt er nun. Doch was hilft einem der eigene Name, wenn man mit diesem Namen nichts anfangen kann? Wenn man Eckpunkte des eigenen Lebens gesagt bekommt, aber sich nicht an dieses Leben erinnern kann? Wenn man keine Ahnung mehr davon hat, was passiert ist. Und erst recht nicht, wer man ist.

Ja, die Geschichte des Mannes klingt so unglaublich, dass sie aus einem Hollywood-Film stammen könnte: Anfang April entdeckt die Bundespolizei in einem abgestellten Güterwaggon am Dortmunder Hauptbahnhof einen Mann. Er ist 1,90 Meter groß, Mitte 50, hat graues Haar und einen weißen Vollbart. Er hat keine Papiere dabei, kein Geld. Nur eine Tasche mit vier historischen Biografien und ein Asthmaspray. Als ihn die Beamten nach seinem Namen fragen, erklärt er, er sei „König Ludwig aus Bayern“. Wie er in den Waggon gelangt ist, kann er nicht erklären. Auch nicht, wo er wohnt oder wie alt er ist. Die Polizei nennt ihn vorläufig Herrn W.

Der Mann wird in das Marien Hospital in Dortmund gebracht. In der psychiatrischen Abteilung wird er untersucht, behandelt und befragt – ohne Befund. Nach drei Tagen bessert sich sein Zustand. Herr W. ist geistig fit. Er kann viele Antworten geben, nur keine, die Licht in seine Vergangenheit bringen.

Er weiß immer eine Antwort, sagt der Gedächtnisforscher über ihn

Seine Ärzte wissen nicht weiter und ziehen Hans Markowitsch von der Universität Bielefeld zurate, Deutschlands führenden Gedächtnisforscher. Er untersucht Herrn W. „Ein belesener Mann, der sich sehr eloquent ausdrückt und über ein unglaubliches Wissen verfügt“, erinnert sich der Psychologe. „Man kann mit ihm über viele Themen reden, und er weiß immer eine Antwort.“ Auch die Polizei bestätigt, Herr W. sei weder verwirrt noch verwahrlost gewesen, als man ihn gefunden habe, sondern nur ohne Erinnerung. Markowitsch diagnostiziert eine dissoziative Amnesie – einen Gedächtnisverlust, der durch ein schweres Trauma ausgelöst wird. Das autobiografische Gedächtnis ist Experten zufolge plötzlich weg, der Verlust eine Art Schutzmechanismus. Die Erinnerungslücke kann zehn Minuten oder auch zehn Jahre betragen. Oder wie im Fall von Herrn W. ein ganzes Leben.

Gemeinsam mit Ärzten und Therapeuten müht sich Herr. W, sein altes Leben zurückzuholen. Doch er hat keine Erinnerung an sein altes Leben, an seinen Wohnort, seine Familie. In einem Interview mit dem WDR sagt der Mann: „Immer wenn ich versuche, mich zu erinnern, dann ist da ein Nebel, ein Wabern.“ Und dass er sich einsam fühlt, allein. Die Mitarbeiter im Marien Hospital können sich über Wochen ihr eigenes Bild machen. Sie erleben einen höflichen, schüchternen Mann, der mit hessischem Dialekt spricht. Sie stellen fest, dass er gut malen kann, klassische Musik liebt, dass er im katholischen Gottesdienst alle Lieder und Gebete auswendig kennt. Herr W. hat eine gute Allgemeinbildung. Und er kann sich neue Dinge merken. Alles Persönliche aber ist weg.

Hier, im Roxy Kino, soll der „Mann ohne Gedächtnis“ gearbeitet haben.  
Foto: Ina Fassbender, dpa

Fälle wie dieser sind extrem selten. Gedächtnisforscher Hans Markowitsch hat in seiner Laufbahn höchstens 40 vergleichbare Fälle kennengelernt. Sie alle eint das Vergessen der eigenen Biografie. „Einer meiner Patientinnen fehlte beispielsweise die gesamte Zeit zwischen ihrem 10. und ihrem 14. Lebensjahr. Es war genau die Zeit, in der sie von ihrem Vater missbraucht worden war.“ Andere wiederum würden Begebenheiten aufgrund von Stress vergessen, sagt der Psychologe. „Und es gibt das sogenannte Two-Hit-Syndrom. Also Menschen, die sehr früh traumatisiert wurden und damit leben. Später kommt eine ähnliche, eine analoge Erfahrung hinzu und es kommt zu einer Amnesie der vollständigen Biografie.“ Die Psyche wird doppelt getroffen. Auch wenn man bisher nicht herausfinden konnte, warum W. seine Erinnerung verloren hat, hält Markowitsch ein solches Syndrom für wahrscheinlich. Möglicherweise hat W. kurz vor seinem Gedächtnisverlust etwas erlebt, was ihn an ein früheres Trauma erinnerte und ihn vergessen ließ.

Das verlorene Gedächtnis - für Hollywood ist es eine Steilvorlage

Und doch gibt es Fälle, die dem von Herrn W. ähnlich sind. Wie der des Mannes, der im November 2012 die Behörden in Bregenz vor ein Rätsel stellt. Er taucht vor dem Krankenhaus auf, kann sich nur erinnern, dass er von Lindau aus gewandert ist – aber nicht, wer er ist. Erst Wochen später erkennen ihn frühere Arbeitskollegen auf einem Fahndungsbild. Oder der Fall von Benjaman Kyle. Im August 2004 findet ihn eine Mitarbeiterin hinter dem Müllcontainer eines Burger King im US-Bundesstaat Georgia – nackt, blutend, bewusstlos. Im Krankenhaus soll er Fragen beantworten: Wie er heißt, wo er herkommt, was geschehen ist? Doch er weiß es nicht. Er kennt nicht mal seinen eigenen Namen. Irgendwann erfindet er einen: Benjaman Kyle. Doch nach wie vor leidet er unter dem Verlust seiner Identität, darunter, dass er keine Verbindung zu einem Menschen hat. Hinzu kommt: Für die US-Behörden existiert er nicht. Daher ist er nicht krankenversichert, hat keinen Führerschein, keinen Ausweis, keine Arbeitserlaubnis. Kyle ist der einzige Amerikaner, der als vermisst geführt wird, obwohl sein Aufenthaltsort bekannt ist. 2012 erzählt er seine Geschichte John Wikstrom, der daraus den Film „Finding Benjaman“ macht. Er beginnt mit den Worten: „Hallo, mein Name ist Benjaman Kyle. Du weißt nicht, wer ich bin. Und ich weiß es ehrlich gesagt auch nicht.“

Ohnehin ist Amnesie für Filmemacher in Hollywood so etwas wie die Lieblingskrankheit. Der Stoff, aus dem sich große Dramen spannen lassen: Das Leben, das nicht mehr als ein leeres Blatt Papier ist, die verlorene Identität und die Suche nach dem eigenen Ich – natürlich mit Happy-End. Für Benjaman Kyle sieht es lange nicht danach aus. Eine Zeit lang ist er obdachlos, lebt von Gelegenheitsjobs, bis ihn ein Restaurantbesitzer einstellt. 2015 dann bringt ein DNA-Test den Durchbruch: Ein Mann wird als naher Verwandter von Kyle identifiziert. Elf Jahre nach seinem Gedächtnisverlust hat Kyle einen neuen Ausweis mit richtigem Namen, den er allerdings geheim hält.

Auch in Deutschland braucht es Papiere, um krankenversichert zu sein oder Sozialleistungen beziehen zu dürfen. Die Stadt Dortmund stellt dem mittellosen Herrn W. eine kleine Wohnung und Sozialhilfe zur Verfügung. Vorübergehend bekommt er sogar einen Ausweis – und einen neuen Namen.

Auf dem Fahndungsfoto sieht Herr W. aus wie Mario Adorf

Die Polizei hat sein Foto an alle Dienststellen in Deutschland geschickt, seine Fingerabdrücke ins Zentralregister gestellt, Krankenhäuser kontaktiert. Ohne Erfolg. Vergangene Woche entscheiden sich die Beamten, W. der Öffentlichkeit vorzustellen. „Meistens ist das die einzige Möglichkeit für die Patienten, wieder ihr früheres Leben zurückzubekommen“, sagt Gedächtnisforscher Markowitsch. Er weiß, wie schwierig das für Menschen ist, die unter schwerer Amnesie leiden. Einer seiner Patienten hat es sein lassen. „Er hatte Angst, dass sich keiner meldet und er anschließend völlig allein auf der Welt ist.“

Herr W. aber traut sich. Die Beamten lichten ihn nur im Profil ab. Man werde ihn auch so erkennen, soll er argumentiert haben. Und es ist ja auch verständlich: Wer will sein Gesicht schon ganz Deutschland präsentieren, wenn man selbst nicht einmal weiß, wer man ist? Auf dem Bild jedenfalls sieht Herr W. ein bisschen aus wie Mario Adorf. Das graue Haar ordentlich zurückgekämmt, der weiße, lange Bart gepflegt. Seine Augen sind geradeaus gerichtet – als würde er nach vorne schauen, in der Hoffnung, dass er sich an das erinnern kann, was hinter ihm liegt.

Auf den Polizei-Aufruf melden sich binnen eines Tages rund hundert Zeugen. Darunter ist auch ein Kinobetreiber aus Dortmund, bei dem Herr W. als Filmvorführer gearbeitet haben soll. Die Ruhr Nachrichten melden, der Mann heiße Matthias R., stamme aus Hessen und wohne seit Jahren in Dortmund. Wie es heißt, haben die Ärzte im Marien Hospital ihm daraufhin vorsichtig mitgeteilt, wer er ist und woher er kommt. Wie er darauf reagiert hat, ist nicht bekannt. Klar ist nur, dass W. im Moment noch psychologisch betreut wird. „Denn die Konfrontation der Patienten mit ihrer Vergangenheit muss behutsam erfolgen und immer mit ärztlicher Begleitung“, sagt Markowitsch.

Weitere Details möchte die Polizei nicht veröffentlichen – zum Schutz des Mannes. Klar ist: Es gibt keinerlei Hinweise auf ein Verbrechen. Und es deutet nichts darauf hin, dass er einen Gedächtnisverlust nur vorgetäuscht hat. Für die Polizei ist der Fall damit abgeschlossen. Herr W., der tatsächlich anders heißt, ist nun allein Sache der Ärzte. Sie wollen ihm helfen, seine Erinnerung wiederzufinden. Ob der eigene Name, die eigene Identität in diesem Fall das entscheidende Puzzleteil sein kann? In der Regel wird aber nicht plötzlich ein Schalter umgelegt, hat sein behandelnder Arzt Harald Krauß zuletzt dem WDR gesagt. Es kann vorkommen, dass die Erinnerung durch einen entscheidenden Hinweis wieder zurückkommt. Es muss aber nicht sein.

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