Marco W: "Schlafentzug war eine Folter für mich"
Damit hat Marco Weiss offenbar nicht gerechnet: Wegen seines Buches über seine türkische Untersuchungshaft hat er nun auch seinen zweiten deutschen Anwalt verloren. Unterdessen entwickeln sich die Erinnerungen zu einem Bestseller.
Istanbul (afp, dpa, AZ) - Mit dieser Reaktion hat Marco Weiss offenbar nicht gerechnet: Wegen seines Buches über seine türkische Untersuchungshaft hat er nun auch noch seinen zweiten deutschen Anwalt verloren. Nach Matthias Waldraff legte am Freitag auch Michael Nagel sein Mandat nieder.
Unterdessen entwickeln sich die Erinnerungen aus dem Knast zu einem Bestseller: Auf der Verkaufsliste des Online-Versands Amazon.de kletterte es am Freitag auf Platz zehn; am Vortag hatte es noch auf Rang 64 gestanden.
Der heute 18-jährige Teenager aus Uelzen saß wegen Vergewaltigungsvorwürfen acht Monate in Untersuchungshaft in Antalya. Erst kurz vor Weihnachten vergangenen Jahres durfte er nach Hause zurückkehren. Seine Entscheidung, noch vor dem im kommenden Jahr erwarteten Urteil in seinem Prozess ein Buch über seine Erlebnisse zu schreiben, hatte in den vergangenen Tagen für Aufsehen gesorgt.
"Unverantwortliche Beratung vonseiten Dritter"
Nagel erklärte, Marco Weiss sei "aufgrund einer offensichtlich unverantwortlichen Beratung vonseiten Dritter" wegen der Buchveröffentlichung vertraglich so gebunden, dass der Teenager seinen Rat nicht mehr befolgen könne, vor Prozessende keine Interviews zu geben oder "jede Form der Medienpräsenz zu unterlassen". Er hoffe trotzdem, dass sich die "negativen Auswirkungen dieser medialen Verarbeitung der Ereignisse in Grenzen halten werden".
Der Istanbuler Anwalt von Weiss, Mehmet Ipklikcioglu, erklärte auf Anfrage, Marco habe das Recht, über seine Erlebnisse in der Haft zu schreiben.
Mit Kritik und Verwunderung reagierten türkische Medien auf das Buch von Marco Weiss. Der 18-Jährige habe ein "hässliches Buch" verfasst, kommentierte die Zeitung Yeni Safak. Das Blatt verwies auf die Vorankündigung des Verlags, in der von Folter und Drogen im türkischen Gefängnis die Rede war, und verglich es mit dem Film "Midnight Express". Der Streifen über die erschreckenden Erlebnisse eines US-Bürgers in türkischer Haft hatte lange Zeit das schlechte Image der Türkei im Westen mitgeprägt.
Marco Weiss schildert das Gefängnis als schrecklichen Ort. "Oft schreckte ich hoch und stand schweißgebadet neben dem Bett", schreibt er. "Morgens war ich dann total fertig. Dieser Schlafentzug war eine Folter für mich."
Tagsüber ging der Albtraum weiter. In der Zelle sei es eng und glühend heiß gewesen, 36 Mann teilten sich eine Toilette ohne Spülung, Schimmel wucherte an den Wänden, Ungeziefer lauerte angeblich zwischen den Bettlaken. "Nur für meine Eltern habe ich weitergelebt", schreibt Marco.
Schnell lernte er, wer die Bandenchefs in der Zelle waren - und vor allem, dass er sein Essen, seine Zigaretten und Telefonkarten mit ihnen zu teilen hatte. "Weigerte sich einer, konnte ich erleben, wie sie ihn drangsalierten und blutig schlugen." Das Essen war miserabel: "Der Knastfraß rumorte in meinem Bauch, ich rannte oft zur Toilette, Hemden und Hosen schlotterten, ich magerte ab zum Gespenst."
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