Frankreichs wohl bekanntester Wachkoma-Patient ist tot. Nach dem Behandlungsstopp vor mehr als einer Woche starb der 42-jährige Vincent Lambert am Donnerstagmorgen im Klinikum Reims, wie sein Neffe François Lambert der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt France Télévisions mitteilte. Auch andere Medien in Frankreich berichteten über den Fall.
Zuvor hatte es ein dramatisches juristisches Tauziehen um die Einstellung der künstlichen Ernährung gegeben. Der tragische Fall hat nicht nur Lamberts Familie zerrissen, sondern auch Frankreich gespalten. Ein heftiger Streit um das Thema Sterbehilfe war entbrannt. Die Anwälte der Eltern bezeichnen des Tod ihres Sohnes als "Verbrechen des Staates".
Lambert befand sich seit rund zehn Jahren im Wachkoma
Lambert war vor rund zehn Jahren bei einem Verkehrsunfall verunglückt und hatte sich schwer am Kopf verletzt. Er befand sich seitdem in einer Art Wachkoma. Die katholischen Eltern wollten den Tod ihres Sohnes mit aller Macht verhindern und klagten. Sie scheiterten in Frankreich immer wieder vor Gericht und auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Lamberts Ehefrau setzte sich dafür ein, dass ihr Mann sterben konnte. Das würde seinem Wunsch entsprechen, argumentierte sie. Allerdings hatte Lambert keine Patientenverfügung, was den Fall umso komplizierter machte.
Zuletzt hatte Frankreichs oberstes Gericht nach einem zermürbenden Rechtsstreit den Weg für einen erneuten Stopp der Behandlung von Lambert freigemacht. Erst im Mai war seine Behandlung gestoppt worden. Wenige Stunden später jedoch hatte ein französisches Berufungsgericht die Wiederaufnahme angeordnet.
Am Montag kündigten Lamberts Eltern an, nicht weiter juristisch gegen den Behandlungsstopp vorzugehen. Doch ob der Streit nun vorbei ist und sich die Familie vielleicht sogar versöhnen wird, ist offen. Die Eltern haben bereits eine Klage gegen die Ärzte Lamberts eingereicht. Sie werfen den Medizinern vor, ihren Sohn ermordet zu haben. Die Staatsanwaltschaft leitete eine Untersuchung ein. In einer Mitteilung ihrer Anwälte ist von einem "Verbrechen des Staates" die Rede. Auf die Würde eines behinderten Menschen sei keine Rücksicht genommen worden. Der Tod ihres Sohnes und die Einstellung der Behandlung seien ein "schändlicher Fehler".
Vatikan kritisiert Einstellung der Behandlung von Lambert
Am Donnerstagmorgen endete die tragische Geschichte für Vincent Lambert im Krankenhaus. Er sei um 8.24 Uhr gestorben, sagte sein Neffe François Lambert französischen Medien. Er sei erleichtert nach all den Jahren des Leidens. "Es ist nicht traurig, es bringt die Dinge wieder in Ordnung", sagte er über den Tod seines Onkels. Es wäre schön, wenn die Affäre Lambert nun ende und der Rest privat bleibe.
Die Anwältin der Eltern sagte dem Sender BFM TV, dass der Tod Lamberts eine Befreiung sei. Am Ende sei es schrecklich gewesen, seine Angehörigen hätten ihn dahinsiechen sehen. Allerdings sei er noch nicht am Ende seines Lebens gewesen, als die Behandlung eingestellt wurde, betonte sie. Am Mittwochabend hatten sich noch rund 300 Menschen vor der Kirche Saint-Sulpice in Paris versammelt, um gemeinsam für Lambert zu beten. Sie prangerten die Einstellung der Versorgung an.
In den Fall hatten sich immer wieder Vertreter aus Politik und Kirche auf höchster Ebene eingeschaltet. "Wir waren traurig, die Nachricht von Vincent Lamberts Tod zu hören", erklärte nun Papst-Sprecher Alessandro Gisotti. Gott sei der einzige Herr des Lebens vom Anfang bis zu seinem natürlichen Ende. "Und wir haben die Pflicht, es immer zu schützen und der Kultur der Verschwendung nicht nachzugeben", so der Papst-Sprecher weiter. Die Päpstlichen Akademie für das Leben erklärte, dass Lamberts Tod und seine Geschichte eine Niederlage für die Menschheit seien.
Lamberts Hirn war bei dem Unfall schwerst geschädigt worden. Als Folge dessen befand er sich in einem vegetativen Zustand, einer Art Wachkoma. Das heißt in der Regel, dass Patienten zwar die Augen offen haben und wach erscheinen, aber keinen Gegenstand fixieren und auch nicht mit Sprache oder Bewegungen auf äußere Einflüsse reagieren. Das Stammhirn ist aber noch aktiv, Blutdruck, Atmung und viele Reflexe werden weiter geregelt.
In Lamberts Fall kamen Ärzte zu dem Ergebnis, dass dieser Zustand irreversibel - also unumkehrbar - sei. Die Eltern sehen das anders und argumentieren, ihr Sohn sei lediglich schwer behindert gewesen und brauche dauerhafte Pflege.
Indirekte Sterbehilfe ist auch in Deutschland erlaubt
In Deutschland und Frankreich ist die aktive Sterbehilfe, also einem Menschen ein tödlich wirkendes Mittel zu verabreichen, verboten. Passive Sterbehilfe durch das Abschalten von Apparaten und indirekte Sterbehilfe, bei der starke Medikamente Schmerzen lindern und als Nebenwirkung das Sterben beschleunigen, sind zulässig.
Rund 10.000 Menschen liegen nach Angaben der Deutschen Stiftung Patientenschutz in Deutschland im Wachkoma. "Nur der Betroffene selbst kann diese Behandlung begrenzen. Hier ist der einzig sichere Weg die Patientenverfügung", erklärt der Vorsitzende Eugen Brysch. Andernfalls könne es zu jahrelangen Streitigkeiten kommen, die nicht selten von Gerichten entschieden werden müssten. "Ein automatisches Mitspracherecht von Eltern oder Ehepartnern gibt es nicht." (dpa)
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