Drei Stunden pro Woche: Warum China Kindern das Zocken verbietet
Kinder und Jugendliche in China dürfen nur noch dreimal die Woche Onlinespiele zocken. Nicht nur diese Maßnahme zeigt, dass sich die Parteikader als Volkserzieher sehen.
Eine überdimensionale Actionfigur, wie aus dem Filmset der „Transformers“-Reihe entnommen, grüßt die Besucher des „China Game Valley“, des sogenannten Tals der Spiele, in der ostchinesischen Metropole Nanjing. Entlang der gelb-silbernen Statue haben sich in den letzten acht Jahren insgesamt über 230 Spieleentwickler mit 10.000 Angestellten angesiedelt, die jährlich Gewinne von umgerechnet fast einer Milliarde Euro generieren.
In einem der kubistischen Bürogebäude empfängt der Entwickler Migu, eine Tochterfirma von China Mobile, die sich auf Cloud Gaming, also das Computerspielen über einen zentralen Server, spezialisiert hat. Doch der Firmenbesuch läuft gänzlich anders ab als erwartet: Statt über die boomenden Smartphone-Spiele zu reden, die Millionen chinesische Jugendliche in ihren Bann ziehen, setzt die Firmenvertreterin zunächst zu einer Lobhudelei gegenüber der Regierung an. Dann führt sie durch den Showroom, das firmeneigene Café mit einem einarmigen Roboter-Barista und schließlich zur angeschlossenen Bücherei, wo auf über einem Dutzend Stapel die gesammelten Werke von Staatschef Xi Jinping ausliegen. Doch über Onlinespiele möchte man partout nicht reden.
Spätestens seit Montag lässt sich die Paranoia beim Spielehersteller Migu nachvollziehen: Die erfolgreiche Branche, einst ökonomisches Aushängeschild der Volksrepublik, ist längst zum politischen Problemfall geworden.
Spiele-Entwickler in China nutzen Gesichtserkennungs-Software
Die nationale Behörde für Verwaltung und Verlagswesen hat nun für hunderte Millionen jugendlicher Chinesen ein striktes Onlinespiele-Verbot erlassen: Unter der Woche sollen die Kinder und Teenager gar nicht mehr im Netz zocken dürfen, von Freitag bis Sonntag nur maximal eine Stunde pro Tag. Sogar die Uhrzeit wird in der ab Mittwoch in Kraft tretenden Regelung genauestens festgelegt: Nur im Zeitraum von acht bis neun Uhr abends darf an Wochenenden und während öffentlicher Ferien gespielt werden. Eine solche Maßnahme lässt sich in China umsetzen, denn sämtliche Gamer müssen sich mit Klarnamen und Ausweisnummer registrieren. Einige Entwickler haben zudem bereits Gesichtserkennungssoftware in ihre Produkte integriert, sodass niemand heimlich einen fremden Account verwenden kann.
Viele Details bleiben die offiziellen Stellen bislang schuldig. Doch wenig überraschend begründete die Staatsführung ihre Neuregelung aus moralischen Stücken. Die Nachrichtenagentur Xinhua schrieb am Montag, dass die Regierung die „physische und mentale Gesundheit von Jugendlichen schützen“ möchte. Bereits vor wenigen Wochen hatte eine staatliche Zeitung in einem Leitartikel Online-Videospiele als „Opium für den Geist“ diffamiert, was damals die Börsenkurse aus Angst vor Regulierungsschritten fallen ließ.
Die in den USA gehandelten Aktien von chinesischen Spieleherstellern, allen voran dem weltweiten Marktführer Tencent Holdings, sind seit Montag nur leicht gesunken. Dies hat zum einen damit zu tun, dass die zunehmend resiliente Branche eine strikte Regulierung bereits seit längerem erwartet hat. Zudem machen Teenager ohnehin nur einen kleinen Anteil der zahlungskräftigen Kundschaft aus: Unter-16-Jährige generieren bei Tencent etwas weniger als drei Prozent der Spiele-Einnahmen des Unternehmens.
Chinas Schülerinnen und Schüler haben ihren Staatschef als Schulfach
An der Maßnahme wird jedoch vor allem deutlich, wie sehr sich Pekings Führung als moralische Autorität zur Erziehung seiner Jugend versteht: So hat die Regierung in den letzten Wochen nicht nur den kommerziellen Nachhilfesektor für Schülerinnen und Schüler de facto verboten, sondern auch gleichzeitig verpflichtenden Unterricht zur „Gedankenlehre Xi Jinpings“, also des Staatschefs, eingeführt und die meisten ausländischen Schulbücher aus dem Klassenzimmer verbannt. Am Dienstag wurde bekannt, dass die Regierung für Kinder der ersten und zweiten Klasse sämtliche Prüfungen in der Schule abgeschafft hat. Wie das Pekinger Bildungsministerium mitteilte, sollen die neuen Regeln dazu beitragen, eine übermäßige Belastung der Kinder zu verhindern.
Dass sich die Jugend nicht in ihrer Freizeit von „falschen“ Idolen verleiten lässt, dieser „Gefahr“ will die Regierung ebenfalls begegnen. In einer Regulierung „exzessiver“ Fan-Kultur haben die Behörden etliche Onlineauftritte von skandalgeschüttelten Popstars einfach gelöscht. Wer etwa einmal beim Joint-Rauchen erwischt wurde oder ein politisch sensibles Thema anspricht, dessen Karriere ist in China vorbei.
Bereits am Freitag hat Chinas Cyber-Aufsichtsbehörde einen Gesetzesentwurf für die Regulierung von Online-Algorithmen publiziert, der sich ebenfalls wie ein pädagogischer Leitfaden liest: Algorithmen dürfen Jugendliche nicht zu „schlechtem Verhalten“ anstiften, sollen Nutzer nicht zum Ausgeben großer Geldsummen anstiften und dürfen nicht „süchtig“ machen. Was gut gemeint scheint, ist in der Umsetzung nach Ansicht von Kritikerinnen und Kritikern problematisch: Denn im Ein-Parteien-Staat gibt es keinen öffentlichen Diskurs darüber, welche Werte die Regierung ihrer Jugend vermitteln sollte. Das entscheidet die Regierung ganz allein.
Die Diskussion ist geschlossen.