Reine Nervensache: Leben mit einer unheilbaren Krankheit
Der Sportjournalist Michael Dittrich ist nach einer Nervenerkrankung bewegungsunfähig. Trotzdem arbeitet er weiter. Eine TV-Doku zeigt, wie er ein Comeback geschafft hat.
Baden-Baden, Heiligensteinstraße: „Michael Dittrich“ steht auf dem Türschild. Darunter der Klingelknopf. Es ist ein seltsames Gefühl, bei jemandem zu klingeln, der einem nicht öffnen kann. Michael Dittrich, 57, ist Sportjournalist beim Südwestrundfunk (SWR). Davon gibt es einige, aber keinen, der den Job macht, ohne seine Arme oder Beine bewegen zu können. Nicht mal den Kopf kann er von alleine halten – und das Allerschlimmste: Die Krankheit ist nicht bestimmt, der Feind hat keinen Namen.
Michael Dittrich - ein Sportjournalist mit Leib und Seele
Auf das Klingeln hin öffnet ein Pfleger. Michael Dittrich liegt in einem Spezialbett. Einst hat der Mann Sendungen wie „Sport unter der Lupe“ oder sonntags „Sport im Dritten“ moderiert. Ein sportlicher Typ, der, bevor er über Triathlon berichtete, sich zur Anschauung gleich selbst einen gönnte. Heute produziert er preisgekrönte Filme und schreibt Bücher. Ein echter Schaffer, obendrein ein Genussmensch „der nichts ausgelassen hat“ (Dittrich). Aber vor allem ein Sportjournalist mit Leib und Seele.
Die Seele glüht immer noch für den Job, aber der Leib, der ist dem 57-Jährigen abhandengekommen. Langsam, stetig – und ziemlich grausam. 1993 begannen die Beschwerden. „Es war wie Muskelkater, der einfach nicht mehr weggehen wollte“, erinnert er sich. Dazu kam Schwindel. Urplötzlich versagten ihm die Beine, Dittrich stürzte immer wieder. Anfangs kam der 1,93 Meter große Mann alleine wieder hoch, später musste er sich helfen lassen.
Fakt ist – Dittrich leidet an einer chronischen Entzündung des zentralen Nervensystems, die ihn mehr und mehr die Kontrolle über seine Muskulatur hat verlieren lassen. Es sei eine Art von multipler Sklerose, sagen die Ärzte, genauer lässt es sich nicht fassen. Bei Michael Dittrich führte der Nervenuntergang zunächst in den Rollstuhl – und 2006 schließlich zum völligen Kontrollverlust über seine Arme und Beine. „Ich lass’ aber den Kopf nicht hängen, obwohl er hängt“, sagt er und grinst. Ein typischer Dittrich. Nicht aufgeben, immer weiterkämpfen. Was ihm dabei hilft, ist die Hoffnung.
SWR strahlt Doku "Reine Nervensache" aus
Die hat er immer noch, obwohl ihm alle Medizin der Welt und alle erdenklichen alternativen Methoden bis hin zum Geistheiler bisher nicht helfen konnten. Jetzt setzt er darauf, dass seine zerstörten Myelinscheiden, die die Nerven umgeben, einmal repariert werden können. Das ist Zukunftsmusik, aber es wird geforscht. Aktuell hofft er darauf, wieder ein kleines bisschen die Hände bewegen können. „Das wäre das Größte für mich“, sagt er. Dafür kämpft er.
Und lebt. Es ist schon ein brutaler Kontrast. Ein Mann, unfähig, sich selbst die juckende Nase zu kratzen, arbeitet unverdrossen weiter, dreht mit seinem Team Filme, macht sich jetzt schon Gedanken über Rio 2016 und welche Themen er bis dahin angehen will. Möglich wird seine Arbeit durch moderne Technik, durch sein Team und auch durch den SWR, der seinen zu 50 Prozent verrenteten Angestellten so gut wie möglich unterstützt.
Jetzt der Film: „Sprachsteuerung“, sagt er in ein kleines schwarzes Kästchen, „DVD an – Film starten“. Wie von Geisterhand gesteuert beginnt auf dem Fernsehschirm der Film „Reine Nervensache“. 90 Minuten von ihm über ihn. Auch viel Privates, wie ein Candle-Light-Dinner mit seiner Frau Birgit, „das natürlich nur begrenzt romantisch ist, wenn man gefüttert werden muss“, wie er sagt.
2001 wurde sein Sohn Moritz geboren. Heute schauen die beiden zusammen Spiele ihres BVB im Fernsehen an. Noch lieber würde der Teenager mit seinem Vater einfach ein wenig kicken, aber dazu bräuchte es eine medizinische Sensation.
Die Doku „Reine Nervensache“ läuft am Sonntag ab 22.30 Uhr im SWR.
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