Reserveantibiotika bleiben in der Tiermast erlaubt - ein Sieg der Tierarztlobby?
Der grüne EU-Abgeordnete Martin Häusling scheitert damit, strengere Regeln für die Antibiotika-Behandlung von Tieren durchzusetzen.
Mit großen Augen blickt der Hund auf dem Plakat. „Mein Leben ist in Gefahr!“, steht darauf sowie die Aufforderung, eine Petition zu unterschreiben, um schärfere Regeln für den Einsatz von Antibiotika bei Tieren zu verhindern. Katzen-, Hunde- und Meerschweinchenbesitzer gerieten deshalb im Sommer in Aufruhr. Mussten sie Angst um ihre geliebten Vierbeiner haben, wie das Plakat suggerierte?
Tierärzte gegen Grüne: Warum das EU-Parlament fast den Einsatz von Antibiotika an Tieren verboten hätte
Hinter der Unterschriftenkampagne steckte der Bundesverband praktizierender Tierärzte. Wochenlang kämpfte er gegen den grünen Europaabgeordneten Martin Häusling aus Hessen. Der Politiker, agrarpolitischer Sprecher der Grünen, forderte gemeinsam mit dem Umweltausschuss des EU-Parlaments, dass fünf besonders wirksame Antibiotika-Gruppen künftig vor allem Menschen vorbehalten sein und nur in Ausnahmefällen bei kranken Tieren angewendet werden sollten. Sein Ziel: den massenhaften Einsatz von „Reserveantibiotika“ in der Tiermast zu verhindern.
Doch Häusling scheiterte mit seiner Initiative. Am Mittwochabend lehnte sie die Mehrheit der EU-Parlamentarier ab. „Es ist ein wirklich ganz schlechter Tag für die Humanmedizin“, sagte der Grüne am Donnerstag und warf dem Bundesverband praktizierender Tierärzte eine „Fake-News-Kampagne“ vor.
Ein harter Vorwurf, der nichts ändert: Es bleibt bei den Ursprungsplänen der EU-Kommission. Die will zwar den massenhaften Einsatz und Missbrauch von Antibiotika in Großställen eindämmen. Der Kriterienkatalog, und das war der Grund für Häuslings Einspruch, dafür enthält dem Politiker zufolge jedoch Schlupflöcher, die den Einsatz von Reserveantibiotika in der Massentierhaltung ermöglichen würden.
Was ist eigentlich ein Reserveantibiotikum?
Bei Reserveantibiotika handelt es sich um Medikamente, die bei Infektionskrankheiten verwendet werden, wenn normale Antibiotika nicht mehr wirken. Sie sind sozusagen das letzte Mittel gegen multiresistente Keime, die zum Beispiel über das Fleisch der Tiere zum Menschen kommen können. Zu ihnen gehört auch Colistin, das einerseits bei Patientinnen und Patienten mit Mukoviszidose verordnet wird, andererseits nach Angaben von Tierschützern im großen Stil in der Schweinemast zum Einsatz kommt. Fachleute der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erklären regelmäßig, dass so weit wie möglich auf derartige Medikamente verzichtet werden sollte.
Häusling war es mit seinem Vorstoß nach eigener Aussage keineswegs um Wellensittich oder Reitpferd gegangen. Vielmehr habe er die Praxis stoppen wollen, tausenden Hühnern Reserveantibiotika ins Futter zu mischen oder dutzenden Ferkeln das Mittel standardmäßig in die Tränke zu geben, selbst wenn bloß einzelne Tiere erkrankt sind. Je häufiger nämlich ein Antibiotikum zur Anwendung kommt, desto schneller bilden sich Resistenzen.
Wie katastrophal antibiotikaresistente Keime schon heute zuschlagen
Und die können fatale Folgen haben. Laut EU-Kommission sterben in der EU jedes Jahr 33.000 Menschen, weil Medikamente bei ihnen nicht mehr anschlagen. Und das vor dem Hintergrund, dass nach Schätzungen 66 Prozent aller Antibiotika in der Landwirtschaft verwendet und pro Jahr EU-weit 6500 Tonnen Antibiotika im Bereich Tierhaltung eingesetzt werden. In der Humanmedizin sind es 4200 Tonnen.
Unterstützung erhielt Häusling von Humanmedizinern, der Bundesärztekammer und Weltärztepräsident Frank Ulrich Montgomery. „Die Zurückweisung dieses Einspruchs gegen die EU-Kommission ist ein Lobby-Sieg“, kritisierte auch Tiemo Wölken, gesundheitspolitischer Sprecher der SPD-Europaabgeordneten, und sprach von einer „Niederlage für den Schutz menschlicher Gesundheit“. Der Bundesverband praktizierender Tierärzte freute sich; und Angelika Niebler, Vorsitzende der CSU-Europagruppe, betonte, dass Tierärzte einen Entscheidungsspielraum zum Einsatz von Antibiotika haben müssten, um Tierleid zu verhindern.
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