Valérie Bacot ist eine Mörderin - doch viele fordern ihre Freiheit
In Frankreich läuft das Verfahren gegen die 40-Jährige, die ihren Ehemann nach Jahren der Misshandlung erschoss. Weshalb der Prozess ein ganzes Land bewegt.
„Sie verstehen nicht, was es heißt, jeden Tag in Angst zu leben, mit einer Waffe bedroht zu werden.“ Was Valérie Bacot vor Gericht erzählt, klingt erschütternd, doch wenn sie spricht, ist ihre zitternde Stimme so leise, dass man sie manchmal kaum noch hört. Immer wieder muss sie schluchzen, dann schüttelt es ihren schmalen Körper.
Die ständige Angst hat sie heute nicht mehr. Ihr Mann kann ihr nichts mehr antun, sie nicht mehr schlagen, vergewaltigen und mit der Pistole an der Schläfe bedrohen, so wie er es mehr als 20 Jahre lang getan hat. Denn vor fünf Jahren hat sie ihn getötet. Dennoch beeinflusst, ja bestimmt Daniel Polette weiterhin ihr Leben. „Dieser Prozess ist noch immer mein Kampf gegen ihn“, sagte die 40-jährige Französin am Montag zum Auftakt vor dem Gericht im ostfranzösischen Chalon-sur-Saône, wo sie noch bis Freitag auf der Anklagebank sitzt. Ihr droht eine lebenslängliche Haftstrafe.
Bacots Peiniger war vorher der Partner ihrer Mutter
Im März 2016 hatte Bacot ihren Mann mit einem Schuss in den Nacken getötet. Sie saß hinter ihm in dem Auto, in dem er sie seit Jahren zur Prostitution gezwungen hatte: Er hatte den Wagen mit einer Matratze, einer Decke und Vorhängen versehen und fuhr seine Frau regelmäßig auf Fernfahrer-Rastplätze, wo er von jedem Kunden 30 bis 50 Euro verlangte. Die Waffe hatte er für den Fall besorgt, dass ein Freier gewalttätig wurde.
Polette war 25 Jahre älter als Valérie Bacot und einst der Partner ihrer Mutter. Höchstens zwölf Jahre war sie alt, als er begann, sich an ihr zu vergehen. Zwar musste er deshalb zweieinhalb Jahre ins Gefängnis, doch nach seiner Freilassung kam er zurück in die Familie – und machte weiter wie vorher. Als Bacot im Alter von 17 Jahren ein erstes Mal schwanger von ihm wurde, warf ihre Mutter sie aus dem Haus. In der Folge heiratete sie ihren Peiniger. „Ich habe immer getan, was er mir gesagt hat“, antwortete die Angeklagte auf die Frage der Vorsitzenden Richterin Céline Therme, ob sie Liebe für Polette empfunden habe.
Er habe sie ebenso wie die vier gemeinsamen Kinder beschimpft, geschlagen und misshandelt. Ein brutaler Tyrann, alkoholkrank und pornosüchtig sei er gewesen, bestätigten die drei Ältesten von ihnen, die bereits volljährig sind, vor Gericht. Alle verteidigten ihre Mutter: „Sie ist nicht schuldig, sie hat jahrelang gelitten. Wir hatten keinerlei Hilfe, wir waren eingesperrt.“ Zweimal seien sie zur Polizei gegangen, wo man sie wieder nach Hause geschickt habe mit der Erklärung, man könne nichts für sie tun. Bei den beiden Kommissariaten gab man an, es gebe keine schriftlichen Spuren von diesen Vorfällen. Bacot selbst wagte nie, ihren Mann anzuzeigen – aus Angst vor ihm, der jeden ihrer Schritte überwachte. Hätte seine Mutter seinen Vater nicht getötet, wäre sie unter seinen Schlägen gestorben, sagte der älteste Sohn, Dylan Polette, aus.
Die Kinder halfen Valérie Bacot, ihren Vater wegzuschaffen
Er, sein Bruder Kevin und der Freund ihrer Schwester Karline, Lucas Granet, halfen Valérie Bacot in jener März-Nacht 2016, den Leichnam von Daniel Polette in einem Waldstück zu vergraben, die Tatwaffe zu zerstören, alle Spuren zu beseitigen. Granet, der Bacot helfen wollte und zeitweise sogar ihr Liebhaber war, sowie die beiden Brüder waren 2019 deshalb zu Bewährungsstrafen von sechs Monaten verurteilt worden.
Einige Stunden vor dem tödlichen Schuss hatten Granet und Bacot Polette Schlafmittel in den Kaffee gemischt – den dieser nicht trank. Auch sagte sie aus, am Vorabend habe er sich ihrer Tochter Karline genähert, sie nach ihren sexuellen Erfahrungen befragt, nach der Größe ihres Büstenhalters. Sie wollte ihre Tochter unbedingt schützen und verhindern, dass ihr ein ähnlich schreckliches Schicksal wie ihr selbst drohte, so Bacot.
Für die Anklage sind dies Hinweise für eine vorsätzliche Tat. Bacot selbst und Granet haben widersprüchliche Angaben darüber gemacht, ob sie wirklich geplant hatten, Daniel Polette zu töten. Ihre Geschichte hat die 40-Jährige in dem Buch „Jeder wusste es“ aufgeschrieben. Mehr als 650.000 Menschen haben bereits eine Online-Petition unterschrieben, in der sie „Freiheit für Valérie Bacot“ fordern.
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