Warum sich Spanier an Silvester verschlucken
Ausgerechnet zum Jahresende, in der Silvesternacht, erleiden die Spanier merkwürdig viele Erstickungsanfälle. Von Ralph Schulze
Von Ralph Schulze, Madrid
Ausgerechnet zum Jahresende, in der Silvesternacht, erleiden die Spanier merkwürdig viele Erstickungsanfälle. Und erst recht jene Ausländer, die sich tollkühn in eine spanische Silvesterfeier wagen.
Als Ursache gilt jener Brauch, der vorschreibt, zu den zwölf letzten Glockenschlägen des Jahres um Mitternacht binnen Sekunden zwölf Weintrauben in den Rachen zu werfen. Wie Tausende von Menschen bei diesem gemeinschaftlichen Traubenschlucken plötzlich um Luft ringen, lässt sich am besten im Herzen Madrids beobachten.
Auf jenem zentralen Platz namens Puerta del Sol (Tor der Sonne), auf dem sich übrigens der Kilometerstein Null der spanischen Nationalstraßen befindet, trifft sich in der Silvesternacht ganz Madrid zur größten Party des Landes. Zwar sperrt die Polizei die Zugänge, sobald sich Zehntausende Menschen wie Sardinen auf dem Platz drängen. Doch der Rest der mehr als drei Millionen Einwohner Madrids und im Grunde genommen die ganze Nation feiert und schluckt dann am Fernseher mit.
Denn die Mega-Silvesterfeier an dem Puerta del Sol wird in allen Fernseh- und Radiokanälen direkt übertragen. Über dem Platz wacht das schmucke Gebäude des Königlichen Postamtes aus dem 18. Jahrhundert, in dem heute die Regierung der Region Madrid residiert. Und ganz oben im Turm befindet sich jene Stadtuhr samt mächtigen Glocken, die für das Königreich den Ton und die Zeit vorgeben. Deswegen starren rund 40 Millionen Spanier und inzwischen fünf Millionen im Land lebende Immigranten in der Silvesternacht gebannt auf dieses Uhrwerk.
Wenn die letzten Augenblicke des Jahres anlaufen, zählen die Glocken dieser wohl berühmtesten Uhr Spaniens den Countdown bis zum Beginn des neuen Jahres. Alle drei Sekunden ein Glockenschlag, mit dem 45 Millionen Menschen auf Kommando eine Traube in den weit geöffneten Mund werfen und schnell herunterwürgen. Punkt Mitternacht, mit dem zwölften Schlag, muss die zwölfte Traube im Hals stecken aber möglichst nicht stecken bleiben.
Brauch bringt Gesundheit und Geldsegen
Nur dank dieser Tortur, so behauptet der Volksglaube, bringe das neue Jahr auch das erwünschte Glück, viel Gesundheit und großen Geldsegen. Damit das Traubenspiel nicht mit einem gesundheitlichen Unglück endet, wurde der Abstand zwischen den einzelnen Glockenschlägen sicherheitshalber eigens auf drei Sekunden verlängert.
Wer Schluckprobleme hat, kann übrigens auch zu Rosinen greifen, die schneller den Hals runterrutschen. Das gilt unter Spaniern als legitim.
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