Wie Ökobauern in Kalabrien gegen die Mafia kämpfen
In Kalabrien herrscht die kriminelle ’Ndrangheta. Doch eine Kooperative von 30 Ökobauern hat den Kampf gegen die Mafia aufgenommen. Flüchtlinge spielen dabei eine wichtige Rolle.
Das Nichts ist an diesem Wintermorgen ausgesprochen grün. Die dichten Blätter der Orangenbäume rascheln. Nach ein paar Sekunden erscheint ein schwarzer Kopf. Man sieht erst die Mütze, dann die braune Jacke, Handschuhe und zum Schluss ist auch das Gesicht von Mamadou Diakhate zu erkennen. Ein gewinnendes Grinsen ist zwischen den Bäumen zu sehen. „Ciao, come stai?“ – „Hallo, wie geht’s?“ , grüßt der Mann aus dem Senegal. Wenig später wird er den denkwürdigen Satz sagen, den er das erste Mal von seinem Großvater in Afrika gehört hat: „Wenn du etwas säen willst, dann gehe dorthin, wo nichts ist.“
Das Nichts ist in diesem Fall Kalabrien, die Spitze des italienischen Stiefels. Von überall ist das tiefblaue Meer zu erspähen zwischen Olivenhainen und Orangenplantagen. Doch das Mittelmeer-Idyll täuscht. Kalabrien, das ist vor allem karge Hügellandschaft, am Rand der Landstraße achtlos liegen gelassene Autoreifen, von Kugeln durchsiebte Straßenschilder, eine Jugendarbeitslosigkeit von bis zu 75 Prozent. Tausende Einheimische sind nach Norden abgewandert. Die ’Ndrangheta, die Mafia Kalabriens, hat den Landstrich der Locride um das Seebad Locri am Mittelmeer fest in der Hand. Diakhate, vor 40 Jahren im Senegal geboren, lebt hier seit mehr als einem Jahr in dem Bergdorf Monasterace, 3400 Seelen, ein eher heruntergekommener Flecken.
Die ’Ndrangheta ist eine der mächtigsten kriminellen Organisationen der Welt
Nicht weit von Monasterace liegt das unwirtliche Bergdorf San Luca im Aspromonte-Gebirge. Hier lieferten sich zwei ’Ndrangheta-Clans einen blutigen Machtkampf, der 2007 in einen sechsfachen Mordanschlag in Duisburg mündete. Die ’Ndrangheta ist eine weltweit operierende und mit einem geschätzten Jahresumsatz von über 40 Milliarden Euro eine der mächtigsten kriminellen Organisationen der Welt. Hier unten an der trostlosen Stiefelspitze hat sie ihre Basis und pflegt ein jahrzehntelang erprobtes System der Unterwerfung. Wer sich gegen ihre Herrschaft stellt, riskiert sein Leben. Und doch sagt Diakhate: „Ich will hierbleiben.“
Das hat mit einer Entwicklung zu tun, die man mit einem kleinen grünen Spross in der Wüste vergleichen kann. Hier, im italienischen Nichts, auf den griechischen Ruinen der Magna Grecia, entsteht gerade eine vielversprechende Mischung, die der Region eine Zukunft geben könnte. Aber nur, wenn diese zarte Pflanze sorgsam gepflegt wird.
„Die Menschen in Kalabrien wollen keine leeren Worte mehr hören, sondern konkrete Antworten auf die Misere“, sagt Vincenzo Linarello. Er ist Vorsitzender der Kooperative Goel, die mit verschiedenen Ideen den Ausweg aus der Mangelherrschaft der ’Ndrangheta sucht.
Familie Fiorenza beschäftigt Flüchtlinge zu fairen Bedingungen
Der Bibelkennern bekannte Begriff Goel ist die hebräische Bezeichnung für einen Verwandten, der andere Familienmitglieder aus der Sklaverei erlöst. So wollen die Aktivisten die etwa zwei Millionen Kalabresen aus dem Würgegriff der Bosse befreien. Goel hat mutige Projekte zur Unterstützung psychisch geschädigter Jugendlicher aufgebaut, ein Reisebüro für verantwortlichen Tourismus sowie ein Modelabel. Der Ausweg soll aber vor allem mit der Kombination aus biologischer Landwirtschaft und der Integration von Flüchtlingen gelingen. Das klingt beinahe absurd angesichts der desolaten Verhältnisse. Doch das Modell scheint zu funktionieren. Hinweis darauf sind nicht zuletzt die regelmäßigen Attentate der ’Ndrangheta.
Etwa 100 Leute sind in den Goel-Projekten beschäftigt, die im Jahr 2003 gegründete Kooperative hat inzwischen einen Gesamtwert von etwa vier Millionen Euro und ist ein Wirtschaftsfaktor. Die Mafia kann die Initiative nicht mehr ignorieren. Marinella Fiorenza und ihre Familie haben das zu spüren bekommen. Seit 13 Jahren führen die Fiorenzas einen Landwirtschaftsbetrieb in Monasterace. Er heißt „A’ Lanterna“, die Laterne. Aus dem Nichts und einem geerbten Gut mit 67 Hektar Land haben die Fiorenzas ein leuchtendes Beispiel gemacht. Sie betreiben den biologischen Anbau von Oliven, Zitronen, Bergamotten und Peperoncini, nehmen in ihrem Agriturismo – der italienische Begriff für Urlaub auf dem Bauernhof – Touristen und Schulklassen auf. Und sie beschäftigen Flüchtlinge zu fairen Bedingungen. Einer von ihnen ist Diakhate. „Vorher gab es so etwas nicht in der Gegend. Vielleicht stören wir deshalb“, sagt Mariella Fiorenza.
Mehrmals wurde der Betrieb von Familie Fiorenza angegriffen
Sieben Anschläge in den vergangenen sieben Jahren musste die Familie Fiorenza hinnehmen. Im August 2009 brannte ein Teil des Olivenhains ab, im Jahr darauf fand die Familie einen einsatzbereiten Molotowcocktail samt Feuerzeug vor dem Gasthaus des Betriebes – eine unmissverständliche Warnung. Die Bewässerungsanlage wurde zerstört, zwei kleinere Brände wurden gelegt, zuletzt brannte im Oktober der Geräteschuppen samt einem darin abgestellten Traktor ab. „Sie wollen dich zwingen, dass du zum lokalen Boss gehst und um Schutz bittest, aber dann entkommst du ihnen nie wieder“, sagt Fiorenza. Als die Verbrecher im Januar vor vier Jahren Feuer im unbewohnten Haupthaus legten und zwei Ferienwohnungen sowie den Dachstuhl abfackelten, schloss sich „A’ Lanterna“ Goel an. Heute gehören dem Antimafia-Konsortium etwa 30 Agrarbetriebe an, die biologischen Landbau betreiben.
Dass außerdem der Versuch gemacht wird, die Flüchtlinge dauerhaft in der Region Locride zu binden und nicht als Wirtstiere für staatliche Subventionen zu behandeln, geht vielen gegen den Strich. Zahlreiche durch die Abwanderung verwaiste Gemeinden in der Gegend nehmen Flüchtlinge auf, das Nachbardorf Riace etwa ist durch diese Strategie zu internationaler Berühmtheit gelangt. Doch oft unterscheidet sich das Aufnahmemodell kaum von einem parasitären Klientelismus, der auch den kriminellen Organisationen nicht fremd ist. Riace bekommt pro beherbergten Flüchtling zwischen 35 und 80 Euro pro Tag, meist aus EU-Töpfen oder vom italienischen Innenministerium. Die 1800-Einwohner-Gemeinde bringt derzeit knapp 400 Immigranten unter und verdient auf diese Weise Millionen. Der Bürgermeister verteilt die Mittel in Form von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, undurchsichtig und im Stile eines Monarchen. Sobald die von der Regierung abgesegneten Gelder ausbleiben, bricht das System in sich zusammen. Von Nachhaltigkeit keine Spur. Anders in Monasterace.
Mamadou Diakhate kam vor drei Jahren nach Italien
Am Wegesrand neben den Orangenbäumen stapeln sich 350 Kisten mit leuchtenden Früchten. Diakhate, der in einem kleinen Wohnprojekt in Monasterace untergekommen ist, hat sie mit zwei anderen Flüchtlingen aus Bangladesch zusammen gepflückt. Jetzt, kurz nach dem Morgengrauen, ist der Lastwagen gekommen und die drei Männer laden die Zitrusfrüchte ein. Man kennt diese Szenen aus den italienischen Fernsehnachrichten. Afrikanische Saisonarbeiter, die für Hungerlöhne arbeiten und von Landwirtschaftsbetrieben ausgenützt werden, die oft auch noch von der ’Ndrangheta kontrolliert sind. Im 70 Kilometer entfernten Dorf Rosarno gab es deshalb vor fünf Jahren einen Aufstand. Drei Euro pro Stunde verdienen die Erntehelfer dort, schwarz. Diakhate lacht über das ganze Gesicht. „Ich habe einen Vertrag, mir geht es gut.“
Gewiss ist auch die Situation des 40-jährigen Senegalesen verbesserungswürdig. Aber als er vor drei Jahren aus Afrika nach Italien kam, bis Norwegen gelangte und dann wieder in den Süden abgeschoben wurde, da war die Vorstellung, ein geregeltes Arbeitsverhältnis und ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu haben, undenkbar. Statt ihre ungespritzten Orangen für den üblichen Schleuderpreis von fünf Cent pro Kilo an den Großhandel zu verkaufen, garantieren die ausgewählten Klienten des Goel-Konsortiums, etwa Biosupermärkte, einen Festpreis von 40 Cent pro Kilo. Mehr bezahlt niemand in Kalabrien. Auch der Schwarzarbeit wird der Kampf angesagt. Die beiden Kollegen von Diakhate werden regulär als Tagelöhner bezahlt. Diakhate ist der erste Flüchtling aus dem Aufnahmeprojekt in Monasterace, der einen Ein-Jahres-Vertrag bei „A’ Lanterna“ bekommen hat, als Hilfsarbeiter für etwa 700 Euro im Monat. Das ist wenig, aber ein Anfang.
Die Flüchtlinge sollen dauerhaft in der Region bleiben
„Wenn es keinen echten Ertrag gibt und sich das Modell wirtschaftlich nicht selbst trägt, ziehen die Immigranten weiter“, sagt Vincenzo Linarello, der Präsident des Goel-Konsortiums. „Wir aber wollen, dass sie bleiben.“ Diakhate hat mit der Hilfe der Leute vom Flüchtlingsprojekt in Monasterace seinen Führerschein gemacht, gerade lernt er Traktorfahren. Trotz aller Hindernisse scheint es, als könnte die Geschichte von Diakhate und seinen Arbeitgebern ein glückliches Ende nehmen. Die Chancen stehen gut.
Vor kurzem ist der Gutsverwalter von „A’ Lanterna“ in Pension gegangen, möglicherweise wird Diakhate bald seinen Job übernehmen. Er würde dann gerne den anderen Flüchtlingen auf die Sprünge helfen, damit sie denselben Weg gehen können. Wie hatte sein Großvater im Senegal damals gesagt? „Wenn du etwas säen willst, dann gehe dorthin, wo nichts ist.“
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