
In der Psychiatrie gab es zur Strafe Infektion mit Malaria


Angeblich als "Therapie" gegen schwere psychische Erkrankungen infizierten Ärzte ihre Patienten bis in die späten 1960er Jahre mit dem Malaria-Erreger.
Zur Strafe eine Infektion mit Malaria – das kann doch gar nicht wahr sein. Doch der sechzehnjährige Wilhelm J. hat es 1963 selbst erlebt. Als notorischer Ausreißer war er in Wien vom Erziehungsheim in die Uniklinik für Psychiatrie verlegt worden. Die Ärzte diagnostizierten „Psychopathie“ und verordneten eine heute als abwegig geltende Therapie: die Infektion mit dem Malariaerreger. Der Junge lag zwei Wochen lang mit 41 Grad hohem Fieber im Anstaltsbett.
Wilhelm J. war nicht der Einzige. Mindestens 807 Patienten, darunter 35 Kinder, sind in Wien bis in die späten 60er Jahre hinein absichtlich mit Malaria infiziert worden. Sogar junge Wehrpflichtige sollen so medizinisch missbraucht worden sein. Ein Grund für die Maßnahmen war, dass der Malaria-Erreger am Leben erhalten werden sollte.
20 Patienten wurden nur zur Erhaltung des Erregers infiziert
2012 kam das Schicksal des Kindes und seiner Leidensgenossen an die Öffentlichkeit. Uni und die Stadt Wien reagierten schnell: eine Historikerkommission wurde eingesetzt und die Opferschutzorganisation Weißer Ring sollte für eine Entschädigung sorgen.
Jetzt liegen die Ergebnisse der Historikerkommission vor. Nach damaligem Stand sei die Malariafiebertherapie „zulässig“ gewesen, meint der Rektor der Medizinischen Universität Wolfgang Schütz. Auch der Leiter der Kommission, Gernot Heiss, ist dieser Meinung. Die Forscher hätten mehr als 15.000 Patientenakten aus den Jahren 1951 bis 1969 aus dem Archiv der Uniklinik untersucht, berichtet er. Manche seien wohl auch verloren gegangen.
Etliche Kommissionsmitglieder sind anderer Meinung als Heiss und Schütz. Wien sei in den sechziger Jahren der einzige Ort gewesen, wo die Methode überhaupt noch angewendet wurde. Die Psychiaterin Elisabeth Brainin, ebenfalls Kommissionsmitglied, sagte: „Weder in der internationalen noch in der Wiener medizinischen Fachliteratur finden sich medizinische Begründungen für den Einsatz der Malariatherapie bei diesen und anderen psychiatrischen Diagnosen.“ Für sie wiegt am schwersten, dass Menschen ohne Diagnose infiziert worden waren, nur um den Malaria-Erreger am Leben zu erhalten. Patienten wurden ohne medizinische Begründung von der Psychiatrie ausdrücklich „als Stammträger“ in die Uniklinik verlegt. Nachdem 1959 kein Patient mit dem Erreger infiziert worden war, bestellte man im Tropeninstitut in Hamburg neue Erreger, um die vermeintliche Therapie fortzusetzen. 20 Patienten wurden ausschließlich zur Erhaltung des Erregers infiziert: „Wegen der beschränkten Haltbarkeit des infizierten Blutes mussten in der klinischen Praxis regelmäßig Patienten neu infiziert werden“, schreiben die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Studie. Sie bedauern, dass für die Untersuchung keine Patienten befragt werden durften.
Es habe an der Wiener Universitätsklinik eine Tradition dieser Forschung gegeben
Aus heutiger Sicht sei die Malariatherapie abzulehnen, sagte der Leiter der Klinischen Abteilung für Sozialpsychiatrie an der Uniklinik Wien, Johannes Wancata. Er bedauerte, dass „so etwas in einer unserer Abteilungen geschehen ist“. Es habe jedoch an der Wiener Universitätsklinik eine Tradition dieser Forschung gegeben.
1927 hatte der Wiener Psychiater Julius Wagner-Jauregg sogar den Nobelpreis für die Malariafiebertherapie im Endstadium der Syphilis bekommen. Nach 1945 wurde sie jedoch bedeutungslos, weil Penicillin weitaus wirksamer war. Hans Hoff, ein Schüler Wagner-Jaureggs, wandte die Methode weiter an, allerdings nicht gegen Syphilis, sondern bei schizophrenen und affektiven Erkrankungen, Psychopathie und Intelligenzmangel.
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