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Alleinerziehende Väter: Neubeginn nach Trennungskonflikten

Alleinerziehende

„Für die Kinder ist es besser so“: Wenn es ohne Partnerin klappen muss

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    Dirk Schmidt mit seinem Sohn an einem schönen Tag: Dass Sven (beide Namen geändert) bei ihm lebt, hat er in einem Prozess vor dem Amtsgericht erreicht.
    Dirk Schmidt mit seinem Sohn an einem schönen Tag: Dass Sven (beide Namen geändert) bei ihm lebt, hat er in einem Prozess vor dem Amtsgericht erreicht. Foto: Philipp Schulte

    Weinbergpizza sagen Vater und Sohn dazu, wenn sie an schönen Tagen zwischen den Reben sitzen und eine Salamipizza essen. Sie schauen dann mit vollem Mund auf die Stadt hinunter. Vater und Sohn machen das zum Beispiel zwischen Eishockey-Training und Schlafenszeit, wenn keine Zeit mehr zum Kochen bleibt. Vater und Sohn, das sind Dirk Schmidt und Sven, die eigentlich anders heißen. Der Vater möchte nicht erkannt werden, um Streit mit seiner Ex-Frau zu vermeiden, der Sohn soll nicht auf den Artikel angesprochen werden. Es geht ja um Privates. Und doch geht es für Schmidt auch um mehr. Um den einen oder anderen Missstand aus seiner Sicht. Dass Sven bei ihm lebt, in seiner Stadt in den Kindergarten geht und bei ihm den Alltag verbringt, das hat er in einem Prozess vor dem Amtsgericht erreicht.

    Immer mehr Väter in Deutschland erziehen ihre Kinder alleine

    Bei Markus Sturm und seinen zwei Kindern geht es gemächlicher zu. Die Kinder leben ebenfalls dauerhaft beim Vater, sind 15 und 20 Jahre alt. Sie kommen und gehen, wann sie wollen. Wenn sie am Wochenende eine Serie auf Netflix schauen, achtet der Vater darauf, dass es bei der jüngeren Tochter nicht zu spät wird. Am nächsten Morgen steht jeder auf, wann er will, frühstückt, wann er will. Die Kinder haben ihre Freiheiten. Die Schulnoten sind gut, der Vater sieht seinen Erziehungsstil bestätigt. Der Sohn schaffte im Sommer das Abitur mit einem Einserschnitt, die Tochter besucht das Gymnasium.

    Dirk Schmidt und Markus Sturm sind Teil einer Entwicklung: Immer mehr Väter in Deutschland erziehen ihre Kinder alleine. Der Anteil beträgt mittlerweile 17 Prozent, vor zehn Jahren lag er noch bei zehn Prozent. Im Jahr 2023 gab es 301.000 alleinerziehende Väter minderjähriger Kinder in Deutschland – und 1,4 Millionen alleinerziehende Mütter, also deutlich mehr. Alleinerziehend ist grundsätzlich, wer ohne Ehe- oder Lebenspartner mit mindestens einem minderjährigen Kind in einem Haushalt zusammenlebt. Aus rechtlicher Sicht ist nur derjenige Elternteil alleinerziehend, der das alleinige Sorgerecht hat. In Deutschland fällt jede fünfte Familie in diese Kategorie, die Zahl ist in den vergangenen Jahren leicht angestiegen.

    Männer und alleine erziehen? Es gibt da immer noch Vorurteile. Was zutrifft: Männer nehmen ihren Partnerinnen zwar immer mehr Arbeit bei der Kinderbetreuung ab, doch den Großteil erledigen die Frauen. Wird die Partnerin plötzlich krank oder stirbt gar, müssen Männer sofort alleine betreuen. Die beiden Männer, die in diesem Text zu Wort kommen, haben nervenaufreibende Trennungskonflikte hinter sich. Und sie standen vor großen Herausforderungen.

    Seit Januar 2023 lebt Dirk Schmidt mit seinem fünfjährigen Sohn alleine, in der Nähe von Stuttgart. An drei von vier Wochenenden im Monat übernachtet der Sohn bei seiner Mutter. Sie holt ihn dann am Donnerstagnachmittag vom Kindergarten ab, nimmt ihn mit zu sich nach Hause und bringt ihn meist am Sonntagnachmittag zurück. Das Zuhause der Mutter befindet sich 50 Kilometer entfernt. An diesem Nachmittag ist Schmidt gerade am Kindergarten angekommen, es ist 15 Uhr. Der 37-Jährige zieht die Eingangstür auf, läuft den Flur entlang und grüßt die Erzieherinnen. Von einer Ablage nimmt er Svens Fahrrad-Helm und geht nach draußen in den Garten. Dort spielt der Sohn im Sand und tunkt seine Arme in einen Eimer Sandschlamm.

    Das Verhältnis zu seiner heutigen Ex-Frau bezeichnet er als „schlecht“

    Nach dreieinhalb Jahren Ehe trennten sich Dirk Schmidt und seine Frau. Für sie sei klar gewesen, dass Sven bei ihr bleibe, sagt Schmidt. Sie zog in die Nähe ihrer Eltern, wenig später sollte er die Anmeldung für den neuen Kindergarten unterschreiben. Das tat er nicht. Es kam zu einer Gerichtsentscheidung, Sven habe lieber bei ihm und in der bisherigen Wohnung bleiben wollen, erzählt Schmidt. Nach all den Streitereien bezeichnet er das Verhältnis zu seiner Ex-Frau als „schlecht“. Man bespreche das Nötigste.

    Weitgehend alleine seinen Sohn zu betreuen, empfindet er nicht grundsätzlich als anstrengend. Alles sei eine Frage der Vorbereitung. „Klar, es wäre besser, wenn da eine Frau wäre, mit der ich mich abwechseln könnte“, sagt er. Aber die Gedanken etwa an seinen Job als Informatiker verflögen sofort, sobald er sich seinem Sohn zuwende. Der Feierabend hat für Dirk Schmidt an diesem Tag um 14.30 Uhr begonnen, damit er es rechtzeitig zum Kindergarten schafft. In drei von vier Wochen kann er deshalb von Montag bis Mittwoch nur fünf Stunden täglich arbeiten. Donnerstags und freitags, wenn Sven bei seiner Mutter ist, holt Schmidt Arbeitszeit nach. Das sei schon anstrengend, sagt er. Sein Sohn sitzt inzwischen am Küchentisch, isst Apfelstücke und Kekse. Bevor es gleich nach draußen geht, legen sich Vater und Sohn noch in eine Hängematte und lesen das Buch „Und wieder schreit der Frieder Oma“, Kapitel Regen, Seite 12. Sven lacht an der Stelle, als Frieder die Oma nass macht.

    Bei einer Trennung geht es nicht nur darum, bei welchem Elternteil das Kind seinen Lebensmittelpunkt hat, sondern auch ums Geld. Seine Ex-Frau habe ihn ausgepresst, sagt Schmidt. In Vollzeit zu arbeiten, dazu sei sie laut Gesetz nicht verpflichtet gewesen. Und das, obwohl er zu zwei Dritteln das Kind betreue. Auf diesen „Missstand im Ehe- und Familienrecht“ wies er den damaligen Bundesjustizminister Marco Buschmann in einer E-Mail hin. Er habe sie „aus der reinsten Verzweiflung“ geschrieben.

    Um sich über solche Dinge auszutauschen, besuchte er auch ein paar Mal einen Treff für Alleinerziehende. Doch die Treffen enttäuschten ihn. Dort seien häufig Frauen hingegangen, „die ihre Dinge eher nicht im Griff hatten“, meint er. Einmal, als er bei einem Treffen ankam, sei er angeschaut worden „wie ein Stück Fleisch“. Zumindest sei ihm das so vorgekommen. Ein anderes Mal hieß es, Männer dürfen nicht kommen. „Ich hatte mich richtig geärgert, denn eine Gegenveranstaltung nur für Väter gab es natürlich nicht.“ Einige Tage später erhielt er eine E-Mail, dass Väter auch kommen dürften.

    Jetzt aber los, zum Spielplatz! Es sei gut, wenn sich Sven auspowere, sagt Schmidt. „Damit er wie immer um sieben Uhr einschläft.“ Zum Einschlafen legt sich der Vater neben den Sohn, und oft geht ihm dann durch den Kopf, was er an dem Abend noch alles erledigen muss: Wäsche waschen, Mails schreiben, Mittagessen für den nächsten Tag vorbereiten.

    Alleinerziehende erbringen eine „immense“ und „großartige“ Leistung, sagt die Familientherapeutin

    Seit 13 Jahren leitet Brigitte Rösiger die Geschäftsstelle des Landesverbandes alleinerziehender Mütter und Väter in Baden-Württemberg mit Sitz in Stuttgart. Sie ist 62 Jahre alt und systemische Familientherapeutin sowie Sozialpädagogin – mit ihren zwei Kindern war sie nie alleinerziehend. Das werde ihr manchmal vorgeworfen, sagt sie. Sie entgegne in solchen Fällen, dass sie so besser professionelle Distanz wahren könne. Der Verband berät Alleinerziehende etwa zu Scheidung, Umgangsrecht, Kindesunterhalt.

    Alleinerziehende erbringen eine „immense“ und „großartige“ Leistung, sagt Rösiger. Wenn man alleine für Haushalt, Einkommen und Wohl des Kindes zuständig sei, stehe man vor großen Herausforderungen. Besonders zu Anfang kämen viele Probleme auf einen zu, etwa eine neue Wohnung zu suchen. Ein Unterschied zwischen den Geschlechtern sei, dass es Vätern deutlich besser gelinge, weiter in Vollzeit oder annähernd in Vollzeit beschäftigt zu sein. Sie betreuten aber auch überwiegend ältere Kinder.

    Bei alleinerziehenden Vätern herrscht der Verbandschefin zufolge immer noch das Stereotyp vor, dass ihnen besonders geholfen werden müsse. Eltern und Geschwister sorgten sich mehr um einen alleinerziehenden Vater als um eine alleinerziehende Mutter. Da hieße es: Oh je, der arme Mann, dem trauen wir das nicht zu, dem müssen wir helfen, schafft er das überhaupt? Das sei besonders der Fall, wenn der Mann Witwer sei. „Aber die meisten Männer bekommen es ja sehr gut hin.“ Auch indem sie sich Hilfe holten, auch in Erziehungsfragen.

    Alleinerziehende Mütter plagten, sagt Rösiger, eher Existenzängste, da sie wesentlich häufiger von Armut betroffen seien als Väter. Sie sagt: Nur jeder zweite Alleinerziehende, egal ob Mann oder Frau, erhalte Kindesunterhalt, so wie es sein sollte.

    Wie Dirk Schmidt hat auch der alleinerziehende Vater Markus Sturm ein „sehr distanziertes“ Verhältnis zu seiner früheren Frau. Seit zehn Monaten zahle sie keinen Unterhalt mehr, sagt Sturm. Auch sein Name ist geändert. Er bemühe sich, seinen Ärger den beiden Kindern nicht zu zeigen. „Sie haben nur eine Mutter, deshalb ist sie die beste Mutter.“ Sturms Beziehung hielt 20 Jahre, er habe die Ehe lange aufrechterhalten wollen, weil er den Kindern eine Familie habe bieten wollen. Heute sagt er: „Für die Kinder ist es besser so, weil sich Spannungen gelöst haben.“

    Die Kinder litten unter der Trennung

    Richtig leicht hatte es das Paar nicht. Sturm und seine damalige Frau, eine Mexikanerin, lebten von 2002 bis 2012 in Mexiko. Dann zog er zurück nach Deutschland und arbeitete als Techniker im Kundendienst. Das bedeutete eine Fernbeziehung. 2015 kamen seine Frau und die Kinder nach Deutschland, vor zwei Jahren dann: die Trennung. Seine heutige Ex-Frau habe eine Beziehung „nebenbei“ angefangen, sagt Sturm. „Für mich war es damals nicht vorstellbar, dass eine Mutter ihre Kinder zurücklässt.“ Die Kinder waren damals 13 und 17 Jahre alt und litten unter der Trennung. Die jüngere Tochter habe Zwangsstörungen gezeigt und der Sohn Depressionen gehabt, erzählt er. Und dass er Probleme gehabt habe, den Bedürfnissen seiner pubertierenden Tochter gerecht zu werden. Er habe sich coachen lassen. „Zum Glück habe ich nun ein sehr gutes Verhältnis zu meiner Tochter“, sagt er.

    Die Mutter seiner Kinder hält zu diesen per Telefon und WhatsApp Kontakt, trifft sie einzeln oder gemeinsam alle zwei Wochen. Einmal im Monat übernachten sie bei der Mutter. Um sich um seine Kinder kümmern zu können, hat Sturm seinen Job bei einer Maschinenbaufirma aufgegeben, derzeit geht er keiner Arbeit nach. Doch das soll sich bald ändern. Auch will er sich mehr Zeit für sich nehmen. „Die Kinder drängen darauf, dass ich mal wieder rausgehe, aktiver werde“, sagt er. Er sagt: Egal, ob Vater oder Mutter betreue, Kinder wüssten, sich das Beste von beiden Seiten zu holen und Vorteile daraus zu ziehen. Er sagt: Seine Kinder vermissten ohne die Mutter einiges. Beide alleinerziehenden Väter, Markus Sturm und Dirk Schmidt, geben ihr Bestes.

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