"Alarmstufe Rot": Ist das Tempelhofer Feld in Gefahr?
Das Tempelhofer Feld in Berlin ist in seiner Art einzigartig in Europa. Seit 2014 darf dort nicht gebaut werden. Doch die neue Regierung will an diesem Gesetz rütteln.
Wo bis 2008 mit einigem Lärm Flugzeuge starteten und landeten, flattern nur noch Drachen in der Luft. Was einst der Flughafen Tempelhof war, ist heute das Tempelhofer Feld – auf den ehemaligen Start- und Landebahnen laufen Skater und Inliner um die Wette, daneben werkeln Naturbegeisterte in kleinen Gärten oder beobachten Vögel. Teams spielen Fußball oder Boule, es gibt einen Biergarten. Bei schönem Wetter strömen täglich an die 70.000 Besucherinnen und Besucher auf das ehemalige Flughafengelände. "Es ist eine Oase inmitten der Großstadt", schwärmt Mareike Witt von der Bürgerinitiative "100 % Tempelhof". Die Initiative hatte sich 2014 erfolgreich dafür eingesetzt, dass das über 355 Hektar große Gelände – es ist weitläufiger als der Central Park in New York – nicht bebaut werden darf. Doch Berlin hat eine neue Regierung bekommen, unter Schwarz-Rot und dem CDU-Bürgermeister Kai Wegner ist die über Jahre gewachsene Großstadt-Idylle in Gefahr.
Gut 740.000 Berlinerinnen und Berliner stimmten damals in einem Volksentscheid gegen eine Bebauung des Areals. Ein entsprechendes Gesetz war die Folge. Seitdem wird das Feld ausschließlich von Bürgerinnen und Bürgern verwaltet und vielfältig genutzt. Für Mareike Witt ist das Gelände auch deshalb weit mehr als nur ein Stadtpark. "Es wurde zum Symbol gelebter Demokratie", sagt sie.
Das Tempelhofer Feld: Eine Oase in Gefahr
Fast ein Jahrzehnt nach dem Volksentscheid schlagen Witt und die Mitglieder der sogenannten Feldkoordination – ein gewähltes Bürgergremium – Alarm. Sie sehen ihre Oase in großer Gefahr. Grund sind die Pläne der neuen Berliner Regierung aus CDU und SPD. Im Koalitionsvertrag einigten sich die Parteien darauf, dass es "angesichts der zugespitzten Wohnungsnot" einer neuen Debatte über die Zukunft des Tempelhofer Feldes bedürfe. Konkret bedeutet das: Sie möchten an dem Gesetz rütteln und mindestens Teile des Feldes bebauen. In Politiker-Sprech hört sich das so an: "Mit einem internationalen städtebaulichen Wettbewerb werden wir die Möglichkeiten einer behutsamen Randbebauung in begrenzten Teilen der Fläche ausloten." Dadurch sollen neue Wohnquartiere "mit breiten sozialen Angeboten" entstehen.
Wie genau dieser Plan umgesetzt werden soll, bleibt allerdings unklar. Rein rechtlich dürfte das Berliner Abgeordnetenhaus das Tempelhofer-Feld-Gesetz, genau wie jedes andere Gesetz, mit einfacher Mehrheit ändern. Doch in der Realität herrscht ein anderer Konsens: Ein Gesetz, das durch einen Volksentscheid zustande gekommen ist, sollte auch nur unter Einbezug der Bürgerinnen und Bürger angetastet werden. Im Koalitionsvertrag heißt es, dass eine "Neubewertung durch die Berlinerinnen und Berliner maßgeblich" sei. Ob das in Form eines erneuten Volksentscheids oder durch ein anderes Mittel geschehen soll, wird nicht konkretisiert.
Volksentscheid kann nur von Berliner Bevölkerung kommen
Mareike Witt machen diese vagen Formulierungen wütend: "Die Pläne sind so schwammig und weichgespült. Was soll denn bitte eine behutsame Randbebauung sein?", sagt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. Etwa ein Drittel der gesamten Fläche könnte bisher veröffentlichten Grafiken zufolge unter Beton verschwinden. Das würde nach Witts Einschätzung die Nutzung des gesamten Feldes verändern. Und außerdem: "Wenn das Gesetz von 2014 jetzt gekippt wird, dann kann die Politik in Zukunft auch weitere Ansprüche an das Feld erheben." Deswegen sei es so wichtig, die angedachte Randbebauung als Bedrohung für das ganze Gelände wahrzunehmen: "Es herrscht Alarmstufe Rot."
Die Feldkoordination setzt in ihrem Kampf gegen eine Randbebauung auf die Unterstützung der Berlinerinnen und Berliner – und auf die Rechtslage. "Die Regierung kann keinen Volksentscheid anordnen", erklärt Witt. "Das muss von unten kommen." Denkbar wäre eine Verfassungsänderung, doch dafür müsste es im Abgeordnetenhaus eine Zweidrittel-Mehrheit geben. "Das schaffen sie nicht, weil sich Grüne und Linke dagegen stellen würden", ist sich Witt sicher. Die zweite Möglichkeit wäre eine Änderung des Abstimmungsgesetzes, sodass die Regierung doch eine Volksbefragung veranlassen darf.
Das Tempelhofer Feld ist die grüne Lunge Berlins
Witt wirft der Berliner Regierung gar eine "populistische Argumentation" vor. "Es wird mit emotional aufgeladenen Szenarien gespielt. Zum Beispiel mit der Mutter mit Kind, die keine bezahlbare Wohnung findet. Da könne man doch unmöglich gegen die Entstehung von neuem Wohnraum sein." Für die Berlinerin ist diese Argumentation jedoch nur Augenwischerei. "Es ist doch ein absolutes Märchen, dass durch die Randbebauung preiswerter Wohnraum entsteht." Als Beleg nennt sie die teils überdurchschnittlich hohen Mieten in den Wohnungen, die bereits an das Feld angrenzen.
Witt und die Feldkoordinatoren insgesamt stellen sich noch aus einem anderen Grund strikt gegen jedwede Form der Bebauung. "Es gibt noch genügend andere Flächen, die nicht erst noch versiegelt werden müssen", sagt etwa Mitglied Pat Appleton und weist auf eine wissenschaftlich untermauerte Tatsache hin: "Das Feld hat schließlich auch eine große ökologische Bedeutung für ganz Berlin, besonders für den Luftaustausch." Dass die Regierung weitere Grünflächen versiegeln möchte, sei in Zeiten des Klimawandels unhaltbar.
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