Wenige Tage bleiben Klaus Borowski, um seinen letzten Fall zu lösen. Aber ist es überhaupt ein Fall? Für Kriminalrat Schladitz (Thomas Kügel) jedenfalls nicht. „Deine letzte Amtshandlung ist also Sabotage?“, fragt er den Kommissar (Axel Milberg), als der alte Akten wieder auspacken will, die Schladitz damals persönlich geschlossen hatte. Doch Borowski ist sich sicher: Es ist kein Zufall, dass im Kieler Bürgerbüro zwei junge Frauen gestorben sind und der unheimliche IT-Spezialist der Abteilung (August Diehl) seit Wochen verschwunden ist. Mit ihm seine tyrannische Mutter, die ihren Sohn nur demütigt – selbst wenn er sein bestes Gulasch samt liebevoll dekoriertem Nachtisch kocht. Borowski hat natürlich recht.
Der Sohn hat nicht nur eine Servierschüssel mit Knödeln aufgefahren, in der zweiten wartet der Draht, mit dem er die Mutter erwürgt, die ihm 40 Jahre lang kein eigenes Leben zugestanden hat. Was für ein fulminanter Beginn für „Borowski und das Haupt der Medusa“ (Sonntag, ARD, 20.15 Uhr). Überhaupt ist vieles fulminant am letzten Fall von Axel Milberg, der sich nach mehr als 20 Jahren als „Tatort“-Kommissar in den Ruhestand verabschiedet. Was man dabei sieht, ist exzellente Schauspielkunst: allen voran von Milberg selbst und August Diehl, der mit tiefen Furchen im Gesicht den einsamen, von seiner Mutter zu einer psychischen Ruine erzogenen Mörder Robert Frost spielt. So intensiv, dass man warnen muss: Er könnte Sie in Ihre Träume verfolgen.

„Ödipuskomplex reloaded“, so nennt es Schladitz in Anlehnung an die Figur des Ödipus, der in der griechischen Mythologie in einer Ehe mit seiner Mutter lebte. Der Kieler „Tatort“ bleibt bis zum letzten Fall mit dem alten Team seinem Ruf des Intellektuellen, Zweifelnden, nie ganz Eindeutigen treu. Medusa mit den Schlangenhaaren, die der Folge ihren Namen gibt (Regie: Lars Kraume, Buch: Sascha Arango) ist in der antiken Mythenwelt eine Dämonin, die mit ihrem Blick jeden zu Stein erstarren lassen kann. Doch erst die Götter haben sie zu diesem Monster gemacht. Täterin? Opfer? In Medusa ist beides angelegt. Am Ende wird ihr der Kopf abgeschlagen. Robert Frost im „Tatort“ bewahrt den Kopf seiner giftigen Schlange von Mutter im Aquarium auf, mit schillernden Fischen drumherum. Starke Bilder, großes Albtraumpotenzial.
Letzter Tatort aus Kiel: Borowski in Hochform
Bei ihren Ermittlungen bewegen sich Borowski und Mila Sahin (Almila Bagriacik) nahezu ständig im illegalen Bereich. Und der Fast-Rentner bekommt einen Vorgeschmack auf die Zeit, in der keine Dienstmarke mehr die magische Anziehungskraft legitimieren wird, die Gefahr und rätselhafte Orte auf ihn ausüben. Allzu oft waren ihm die Täterinnen und Täter menschlich näher, als ihm lieb sein konnte. Auf seinen Ruhestand ist Borowski überhaupt nicht vorbereitet, er schiebt ihn von sich weg. Sein Vorgesetzter Schladitz legt sich gegen den Abschiedsschmerz einen Schutzschild zu, indem er besonders streng zu seinen Kommissaren ist. Dann übermannen ihn doch die Gefühle: „Mensch, ich werd dich so verdammt vermissen!“ Wir dich auch, Klaus.
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