Die sizilianische Mafia ist nicht mehr das, was sie einmal war. Das ist keine Analyse von Antimafia-Staatsanwälten, Historikern oder Soziologen, sondern die Bestandstaufnahme aus dem Inneren der Cosa Nostra selbst. In der Nacht von Montag auf Dienstag hatten Ermittler und Polizei in Palermo in einer großangelegten Aktion 181 mutmaßliche Mafiosi festgenommen. Die Ermittlungsakten geben nun Aufschluss über den Zustand der einst gefürchteten und berüchtigten sizilianischen Mafia, deren Image sich nicht zuletzt durch Hollywood-Streifen wie „Der Pate“ festigte.
Offenbar herrscht bei arrivierten Bossen in Palermo regelrechte Verzweiflung über die niedrigen kriminellen Standards, mit denen die jüngere Generation die finsteren Geschäfte weiterführt. „Heute nehmen sie einen fest und der wird gleich Kronzeuge“, lamentiert der Boss von Bagheria, Giancarlo Romano, laut Ermittlungsakten. „Ärmliches, niedriges Niveau, wovon reden wir hier überhaupt?“, fügt er hinzu. Die Verzweiflung der Cosa Nostra ist mit Händen zu greifen. Der erfolgreiche Zugriff des Staates, der in den vergangenen 20 Jahren etwa 5000 Mafiosi auf Sizilien dingfest machte, ist mehr als spürbar.
Die Cosa Nostra in Italien war noch nie so schwach wie heute
Cosa Nostra war nie so schwach wie dieser Tage. Die Gegenwart der Mafia kontrastiert mit den kollektiv verankerten Bildern von einer machtvollen kriminellen Organisation, die noch in den 1980er Jahren den internationalen Drogenhandel mitprägte und Anfang der 1990er Jahre den italienischen Staat an den Verhandlungstisch bombte. Die tödlichen Attentate gegen Star-Ermittler wie Giovanni Falcone und Paolo Borsellino 1992 riefen schließlich die Gegenwehr von Justiz und Polizei auf den Plan. Die verantwortlichen Superbosse aus Corleone, Toto Riina (1993) und Bernardo Provenzano (2006) wurden gefasst. 2023 ging auch der letzte Superboss, Matteo Messina Denaro, den Ermittlern in die Fänge. Alle drei sind inzwischen tot.

Cosa Nostra betätigt sich heute als „Juniorpartner“ der kalabrischen ‚Ndrangheta beim Kokainhandel. Das sagt der Chef der italienischen Antimafiabehörde, Giovanni Melillo. Mafioso Romano aus Palermo berichtet laut Ermittlungsakten: „Wenn du mit denen sprichst, die heute richtiges Business machen, lachen sie dich aus. Das soll Business sein? Wir sind ganz weit unten, wir sind am Boden, ragazzi! Wir denken, wir machen Business, aber wir sind nur Zigeuner.“ Während der Drogenhandel auf Sizilien früher ein geringfügiger Randaspekt in den brutalen Machenschaften war, ist er heute zentrales Geschäft der Cosa Nostra. Früher kontrollierte Siziliens Mafia 30 Prozent des Drogenmarktes in den USA.
Cosa Nostra in der Krise: Boss Giancarlo Romano beklagt den Niedergang der Mafia
Es gibt oder gab Versuche des Wiederaufbaus der alten Machtstruktur, die Einrichtung einer cupola, einer Kuppel, in der die mächtigsten Bosse Siziliens sich über Strategien absprachen. Sie gelangen nicht, heute agieren die Clans vor allem in Eigenregie. Zu behaupten, Cosa Nostra sei am Ende, halten die Ermittler dennoch für keine gute Idee. „Cosa Nostra lebt, macht Geschäfte und versucht, seine Armee wieder aufzustellen“, sagt Palermos Oberstaatsanwalt Maurizio De Lucia. Der Eindruck, die Mafia sei endgültig besiegt, wäre kontraproduktiv für ihre Bekämpfung. Denn nichts lieben kriminelle Organisationen mehr als ungestört und in aller Ruhe die eigenen Geschäfte zu pflegen.
Doch für den Niedergang gibt es zahlreiche Anhaltspunkte. So wird bei der Schutzgelderpressung, einst das Standbein der lokalen Macht der Mafia, heutzutage sogar Ratenzahlung akzeptiert - undenkbar in Zeiten der Superbosse aus Corleone. Diese kommunizierten damals auch mit allergrößter Vorsicht und nutzten sogenannte pizzini, also kleine Zettelchen für die Kommunikation. Die heutigen Mafiosi aus Palermo haben verschlüsselte Mobiltelefone. Als es aber ein technisches Problem gab, übertrugen sie die Nummern und Namen ihrer Kumpanen mit lauter Stimme in einen anderen Chat. Die Ermittler hörten mit und schlugen Wochen später zu.
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