Bevor es überhaupt losgeht, steht im neuen Werk «Liebe» von Emilia Roig eine Triggerwarnung: «In diesem Buch kommen Beschreibungen von sexueller Gewalt vor.» Konkret geht es um vielfachen Kindesmissbrauch und eine Gruppenvergewaltigung. Aber auch um psychische und emotionale Gewalt des wenig verständnisvollen Vaters. Und um den Verlust des eigenen Kindes. Die knapp 130 Seiten sind sehr persönlich.
Es sind nicht gerade die Themen, die einem beim Überbegriff Liebe als Erstes einfallen. Aber es ist die andere Seite der Medaille, wie Roig schreibt. «Über die Abwesenheit von Liebe zu sprechen ist zugleich eine Anerkennung ihrer Wichtigkeit.»
Vielfalt von Liebe
Und doch schafft es die Politikwissenschaftlerin und Autorin, dass Positives und Hoffnung überwiegen: «Ich liebe die Liebe so sehr, dass mein ganzes Leben auf sie ausgerichtet ist.»
Entsprechend facettenreich hat sie den Essayband gestaltet, der in der Reihe «Das Leben lesen - 10 Bücher über die 10 wichtigsten Themen des Lebens» im Verlag Hanser Berlin erschienen ist. Über die Liebe für Angehörige und «Lovers» hinaus geht die 41-Jährige Stück für Stück immer weiter, bis es um Liebe für Natur, Tiere und schließlich den Kosmos geht.
«Kosmische Liebe ist eine Energie, die weit über zwischenmenschliche Interaktionen hinaus existiert», schreibt Roig. Sie sei von ungeheurer Kraft. Wer sich darauf einlasse, könne verstehen, was es mit der Liebe auf sich habe. «Es ist das Mutigste, was wir in unserem Leben tun können.»
Bruch mit Konventionen
Wem das - samt Avancen zu Spiritualität und Plädoyer für halluzinogene Substanzen - zu weit geht, findet in dem Buch auch Aspekte, die zwischenmenschlicher bleiben. «Liebe ist keine Zustandsbeschreibung, sondern eine Praxis», heißt es da. Und dass es am schwersten sei, sich selbst zu lieben. Auch familiäre Liebe könne so schmerzvoll sein, «weil wir von klein auf lernen, unseren Selbstwert in unserem nächsten Gegenüber zu suchen».
Doch Roig geht darüber hinaus - und bricht mit ihren Denkansätzen gängige Konventionen, die hierzulande weit verbreitet sind. Dass man mehrere Menschen unabhängig voneinander lieben kann, davon gibt sie sich beispielsweise überzeugt. Dass man auch Freundinnen und Freunde lieben kann, mit ihnen körperliche Nähe ohne Sex möglich sein sollte.
Und dass Monogamie und der Fokus auf Paarbeziehungen am Ende Gefühle wie Eifersucht fördern und breitere Unterstützungsnetzwerke verhindern. «Die Idee, dass die Kraft in der Vielfalt liegt, ist nicht nur ein politisches, sondern auch ein biologisches Prinzip», schreibt sie. Das dürfte auf Widerspruch stoßen oder zumindest zum Nachdenken herausfordern.
Über romantische Liebe «ist alles, vielleicht sogar zu viel gesagt»
Die Autorin kombiniert ihre Ansichten unter anderem mit Kapitalismuskritik. Liebe sei kein knappes Gut, sondern stehe im Überfluss zur Verfügung, erklärt sie. Die gängigen Vorstellungen machten Liebe zum Wettbewerb, kritisiert Roig. Beim Dating etwa gehe es darum, «gewählt» zu werden. Dabei sei die sogenannte wahre Liebe ein normiertes Gefühl.
So hätte sie nach eigenen Worten auch am liebsten darauf verzichtet, die romantische Liebe überhaupt zu thematisieren: «Über sie ist alles, vielleicht sogar zu viel gesagt.» Doch sei die Auseinandersetzung damit auch wegen eines anderen Gefühls wichtig: Angst vor Einsamkeit.
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